Springer-Mitarbeiter sollen Beziehungen mit Vorgesetzten offenlegen
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© Malte Ossowski / SVEN SIMON

Das Medienhaus Axel Springer will seine Mitarbeiter verpflichten, Beziehungen mit Kollegen und Vorgesetzten gegenüber der Konzernspitze offenzulegen. Anlass ist die Affäre um Ex-"Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt. Dieser war im Oktober nach wiederholten Vorwürfen zur Vermischung von Privatem und Beruflichem von seinen Aufgaben entbunden worden. Ob eine derartige Transparenzpflicht in Deutschland rechtlich haltbar wäre, ist derzeit offen. Wir geben einen Überblick über die Meinungs- und Rechtslage.

Liebesbeziehungen in Hierarchien

Bis zum Jahresende soll das Regelwerk stehen, das die rund 16.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Axel Springer dazu verpflichtet, ihre internen Liebesbeziehungen zu offenbaren. Das bestätigte der Konzern zunächst gegenüber der Zeitung "Financial Times". Im Kern gehe es darum, dass der Arbeitgeber über Beziehungen informiert werde, bei denen ein Interessenkonflikt entstehen könnte, so die Erklärung. Ein generelles Verbot von Beziehungen solle es aber nicht geben. Vorstandsvorsitzender Mathias Döpfner gab in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung an, er hätte sich schon vor einigen Jahren anlässlich der "me too"-Bewegung in den USA für eine derartige Transparenzpflicht eingesetzt. Dies sei damals aber vom Betriebsrat vehement abgelehnt worden.

Ex-Chefredakteur wird Machtmissbrauch vorgeworfen

Anlass für den erneuten Vorstoß war nun offenbar die Affäre um den ehemaligen "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt. Dieser wurde im Oktober endgültig von seinen Aufgaben im Medienhaus entbunden. Nachdem wegen des Verdachts auf Machtmissbrauch in Form sexueller Beziehungen zu ihm unterstellten Mitarbeiterinnen zunächst ein Compliance Verfahren gegen ihn geführt wurde, warf ihm der Vorstand zuletzt vor, Berufliches und Privates auch nach Abschluss des Verfahrens noch nicht getrennt und darüber gelogen zu haben. Reichelt selbst bestreitet die Vorwürfe.

Transparenzpflicht mit dem deutschen Recht vereinbar?

Ob die geplante Transparenzpflicht in Deutschland rechtlich haltbar wäre, ist derzeit offen. Bereits 2005 hat das LAG Düsseldorf jedenfalls eine sogenannte "Ethikrichtlinie" der US-Supermarktkette "Walmart" für nichtig erklärt, die für Mitarbeiter in Deutschland ein Verbot von privaten Beziehungen enthielt. Das Verbot verstieß nach Ansicht des Gerichts gegen das Persönlichkeitsgrundrecht der Angestellten nach Art. 1 und 2 GG. Letztlich sei die Beziehung zwischen Vorgesetzten und Untergebenen eine Privatangelegenheit der beteiligten Personen, so das Gericht. Im Jahr 2008 hat dann auch das BAG entschieden, dass ein generelles Verbot von Liebesbeziehungen im Betrieb wegen des darin liegenden schweren Grundrechtseingriffs regelmäßig unzulässig ist. Außerdem habe der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht, wenn der Arbeitgeber in einem Verhaltenskodex das Verhalten der Arbeitnehmer und die betriebliche Ordnung regeln wolle.

Springer-Maßnahmen sollen Missstand vorbeugen

Obschon auch die von Springer geplante Meldepflicht einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt, liegt der wesentliche Unterschied zwischen den bisher entschiedenen Fällen und dem geplanten Regelwerk von Springer, dass letzteres explizit kein Verbot von Beziehungen enthält. Vielmehr soll eben jenen Missständen vorgebeugt werden, die in der Reichelt-Affäre nicht verhindert werden konnten. Dies könne den Grundrechtseingriff rechtfertigen, mutmaßt der "Tagesspiegel". Außerdem sei fraglich, ob die Beziehung zwischen Chef und Untergebenem auch heute noch mehrheitlich als "Privatangelegenheit" angesehen werde.

"Meldepflicht der falsche Weg"

Dem tritt Rechtsanwalt Carsten Brennecke auf Twitter entgegen. Da mit einer Meldung der Beziehung zwangsläufig auch Informationen über die eigene sexuelle Orientierung preisgegeben würden, bezweifle er, dass eine Offenbarungspflicht arbeitsrechtlich tragbar sei. Auch der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands, Frank Überall, sprach sich gegenüber dem Online-Newsdienst "kress" gegen eine Offenlegungspflicht aus. Das Einfordern sexueller Gefälligkeiten durch einen Vorgesetzten sei inakzeptabel und könne strafrechtlich relevant sein. Ein Transparenzbericht sei jedoch das falsche Gegenmittel. Stattdessen müsse Springer die Machtfülle von Chefredakteuren beschneiden, die die Reichelt-Affäre erst möglich gemacht habe, betont Überall.

Andere Länder, andere Sitten

Beim Thema Liebe am Arbeitsplatz geht die kulturelle Schere im Übrigen weit auseinander. Was in Deutschland noch umstritten ist, ist in den USA schon gang und gäbe. Laut einem Bericht des "Handelsblattes" müssen Angestellte in den USA eine Versetzung oder sogar eine Kündigung fürchten, wenn sie eine Beziehung am Arbeitsplatz eingehen. Entsprechende Klauseln finden sich beispielsweise in den Arbeitsverträgen von Google oder Facebook. Demgegenüber stellt die Mitsubishi-Gruppe in Japan ihren Mitarbeitern sogar eine konzerninterne Partnerbörse zur Verfügung, die für umgerechnet etwa 670 Euro potentielle Partner innerhalb der Mitsubishi-Familie vermittelt. Bei Eheschließung fallen weitere 500 Euro an.

Redaktion beck-aktuell, 15. November 2021.