Sperrzeitverlängerungen rücken vor Gerichten in den Fokus
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© Sebastian Gollnow / dpa

Das Coronavirus lässt auch den Gerichten keine Ruhe: Nach dem Beherbergungsverbot geht es nun vielerorts um Sperrzeitverlängerungen, die vor dem Hintergrund steigender Infektionszahlen erlassen wurden und gegen die vor allem Gastronomen Sturm laufen. Einige Gerichte haben bereits entschieden – mit unterschiedlichem Ausgang. So wurde die Mannheimer Sperrzeitverlängerung bestätigt, Eilanträge aus Gießen, Osnabrück und Aachen hatten dagegen Erfolg.

Mannheim: Sperrstunde ab 23.00 Uhr bestätigt

Vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe scheiterte eine Gaststättenbetreiberin mit ihrem Eilantrag gegen die von der Stadt Mannheim angeordnete Verlängerung der Sperrzeit für Gaststätten und öffentliche Vergnügungsstätten. Diese beginnt aufgrund einer sofort vollziehbaren Allgemeinverfügung im Mannheimer Stadtgebiet nun um 23.00 Uhr. Dabei bliebt es auch. Bereits die bloße Verkürzung der Öffnungszeiten von Gaststätten und öffentlichen Vergnügungsstätten mindere die Zahl der Kontakte gerade zwischen unbekannten Personen oder Personen aus verschiedenen Haushalten und damit das Ansteckungsrisiko, argumentiert das VG Karlsruhe. Daran ändere sich nichts dadurch, dass eine Ansteckungsgefahr nicht von der Uhrzeit abhänge. Die vorgenommene Differenzierung sei vielmehr zulässig, weil die Bereitschaft, sich an Hygiene- und Verhaltensvorschriften zu halten, in den Nachtstunden abnehme.

Hygienekonzepte und Alkoholverbot weniger wirksam

Der Geeignetheit der Maßnahme stehe auch nicht der Einwand entgegen, dass das Infektionsumfeld "Gaststätte" im Vergleich der bekannten Infektionsumfelder nur eine untergeordnete Rolle spiele, so das VG Karlsruhe. Vielmehr seien intensive gesamtgesellschaftliche Maßnahmen erforderlich, um die Folgen der SARS-CoV-2-Pandemie zu minimieren. Dem trage die Vorverlegung der Sperrzeit neben vielen anderen Regelungen Rechnung. Auch ein Ausweichen auf nur eingeschränkt mögliche Treffen im öffentlichen oder privaten Raum sei nicht in nennenswertem Umfang zu erwarten. Hygienekonzepte von Betreibern und das Verbot des Ausschenkens von Alkohol seien nicht in gleichem Maße geeignet, eine Ansteckungswahrscheinlichkeit zu vermindern. Die Einschränkung der Öffnungszeit sei auch kein unzumutbarer Eingriff in die Rechte der Antragstellerin. Die Einschränkung sei vom Umfang her moderat, befristet und werde bei hinreichend sinkender Inzidenz automatisch unwirksam. Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig.

OVG Münster bestätigt Sperrstunden für Kneipen in Nordrhein-Westfalen

Das Oberverwaltungsgericht in Münster hat die Sperrstunden für Gaststätten und Bars in Risikogebieten in Nordrhein-Westfalen ebenfalls bestätigt. Die Regel der Landesregierung in der seit dem 17.10.2020 gültigen Corona-Schutzverordnung sei rechtmäßig, teilte das OVG am Montag mit. Das Verbot des Alkoholverkaufs zwischen 23.00 und 6.00 Uhr diene dem legitimen Zweck, die Weiterverbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Die Sperrstunden leisteten einen Beitrag zur Kontaktreduzierung. Der Beschluss ist nicht anfechtbar (Az.: 13 B 1581/20.NE). Die Entscheidung fiel in einem Normenkontroll-Eilverfahren von 19 Antragstellern, die in Bonn, Köln und im Rhein-Sieg-Kreis Gaststätten betreiben. Weitere Klagen von weiteren Gastronomen sind in Münster anhängig.

Landkreis Gießen: Sperrzeitanordnung rechtswidrig

Erfolg hatte dagegen der Eilantrag eines Gastronomen aus Gießen. Der Verwaltungsgerichtshof Hessen in Kassel hält die vom Landkreis Gießen bis 01.11.2020 auf 23.00 Uhr festgesetzte Sperrzeit für das Gaststättengewerbe sowie für öffentliche Vergnügungsstätten für unverhältnismäßig. Es fehlten sowohl Erwägungen zur Erforderlichkeit als auch zur Angemessenheit der Maßnahme.

Erforderlichkeit unzureichend geprüft

Die Erforderlichkeit setze voraus, dass die Behörde unter mehreren in gleicher Weise geeigneten Maßnahmen das mildere Mittel wähle, also die Maßnahme, die den Bürger am wenigsten belaste. An einer diesbezüglichen Prüfung fehle es vollständig. Der Landkreis habe in der Allgemeinverfügung lediglich dargelegt, dass die Verlängerung der Sperrzeit im Vergleich zur vollständigen Schließung der gastronomischen Betriebe das mildere Mittel sei und damit nur ein stärker einschneidendes Mittel – für das ihm nach dem Gaststättenrecht zudem keine Ermächtigungsgrundlage zur Verfügung stehen würde, benannt. Mit möglichen milderen Mitteln, die in gleicher Weise zur Erreichung des Ziels geeignet sein könnten, habe sich die Behörde gar nicht auseinandergesetzt. Auch eine Angemessenheitsprüfung, wonach hätte geprüft werden müssen, ob der Eingriff in angemessenem Verhältnis zu dem Gewicht und der Bedeutung des Grundrechts der Berufsfreiheit der Gaststättenbetreiberin stehe, fehle vollständig.

Auch in Beschwerdeverfahren getätigter Vortrag des Landkreises nicht ausreichend

Zwar könne die Verwaltungsbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen. Der Vortrag des Landkreises im Beschwerdeverfahren erfülle die Anforderungen, die an die Ergänzung zu stellen seien, jedoch nicht. Sofern der Landkreis in der Antragserwiderung im Beschwerdeverfahren vorgetragen habe, warum ein Alkoholausschankverbot oder ein strenges Hygienekonzept keine gleich effektiven milderen Mittel darstellten, habe er sich auf das Betriebskonzept der Antragstellerin und das von ihr praktizierte Hygienekonzept bezogen. Damit habe er sich aber nicht mit der Angemessenheit der Allgemeinverfügung auseinandergesetzt. Der Beschluss ist unanfechtbar.

Auch Osnabrücker Sperrzeitverfügung unverhältnismäßig

Auch der Eilantrag eines Osnabrücker Gaststättenbetreibers gegen die Sperrstunde der Stadt hatte Erfolg. Das VG Osnabrück verweist auf Ziffer 2 der Allgemeinverfügung der Stadt. Darin sei geregelt, dass Restaurationsbetriebe im Sinn des § 1 Abs. 3 des Niedersächsischen Gaststättengesetzes, insbesondere Restaurants, Freiluftgastronomie, Bars, Imbisse oder Cafes in der Zeit von 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr des Folgetages für den Publikumsverkehr zu schließen sind. Von dieser Sperrzeit ausgenommen seien Liefer- und Abholdienste. Das VG hält die verfügte Ziffer 2 für unverhältnismäßig. Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig.

Eilantrag gegen Land Niedersachsen erfolglos

Keinen Erfolg hatte der Antragsteller vor dem VG Osnabrück hingegen mit seinem Eilantrag gegen das Land Niedersachsen. Der Wirt aus Osnabrück hatte sich nicht nur gegen die städtische Verfügung gewandt, sondern zudem beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht gegen das Land Niedersachsen einen Normenkontrollantrag gegen die am 23.10.2020 in Kraft getretene Regelung des § 10 Abs. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung gestellt. Die Vorschrift sieht eine grundsätzliche Sperrzeit von 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr vor, wenn der Sieben-Tage-Inzidenz-Wert 35 oder mehr Fälle je 100.000 Einwohner beträgt. Gleichzeitig hatte der Gastronom beim VG Osnabrück gegen das Land Niedersachsen einen Antrag auf vorläufige Feststellung, dass § 10 Abs. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung dem Betrieb seiner Gaststätte nicht entgegen steht, gestellt. Über diesen wird das VG eigenen Angaben zufolge am 26.10.2020 entscheiden. Bis zu einer möglicherweise stattgebenden Entscheidung zu einer (vorläufigen) Unwirksamkeit des § 10 Abs. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung dürften weder der Antragsteller noch andere Gaststättenbetreiber ihre Lokale in der Zeit von 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr öffnen.

Aachen: Sperrstundenregelung gekippt

Als voraussichtlich zu umfassend und daher rechtswidrig erachtete am 23.10.2020 das Verwaltungsgericht Aachen die Sperrstundenregelung der Stadt Aachen für öffentliche Vergnügungsstätten, die ein Betriebsende um 24.00 Uhr vorsieht. Es sei nicht ersichtlich, dass die Anordnung einer Sperrstunde für sämtliche öffentliche Vergnügungseinrichtungen erforderlich sei, um eine Eindämmung der Pandemie durch Reduzierung der Neuinfektionen zu erreichen, meint das VG. Spielhallen seien nach der Coronaschutzverordnung ohnehin verpflichtet, Schutz- und Hygienekonzepte zu erarbeiten und zu befolgen. Dass derartige Konzepte nicht ausreichten, um die Bevölkerung vor Neuinfektionen zu schützen, sei nicht erkennbar. Das gesellige Beisammensein sei in Spielhallen von untergeordneter Bedeutung, da der Einzelne sich in der Regel auf die Bedienung seines Spielautomaten fokussiere. Gegen den Beschluss kann die Stadt Aachen Beschwerde einlegen, über die das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.

VG Karlsruhe - 1 K 4274/20

Redaktion beck-aktuell, 26. Oktober 2020.