Schutz der Juden als Staatsziel? Reaktionen unterschiedlich

Das Grundgesetz wurde in diesem Jahr 75 Jahre alt. Bayerns Antisemitismusbeauftragter Ludwig Spaenle nutzte diesen Anlass und forderte in einem Schreiben, den Kampf gegen Antisemitismus und den Schutz jüdischen Lebens als Staatsziel im Grundgesetz und den Verfassungen aller Bundesländer zu verankern.

In seinem Schreiben, das unter anderem an führende Politiker verschiedener Bundestagsfraktionen gerichtet war, verwies er auf positive Erfahrungen in Bundesländern wie Brandenburg, Bremen, Hamburg und Sachsen-Anhalt, die bereits entsprechende Verfassungsänderungen vorgenommen haben. Spaenle regte an, dass Bayern und andere Bundesländer diesem Beispiel folgen sollten. Nicht alle in der Politik gehen da mit.

Dirk Wiese, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, betonte, dass der Schutz jüdischen Lebens eine gemeinsame Aufgabe sei, der mit Entschlossenheit begegnet werden müsse. Allerdings kritisierte er, dass Gespräche über Verfassungsänderungen bisher gescheitert seien, da die CDU/CSU eine solche Anpassung ablehne.

Die Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Britta Haßelmann und Katharina Dröge, äußerten ihre Besorgnis über die anhaltende Bedrohung durch Antisemitismus. Sie signalisierten grundsätzliches Interesse an einer Verfassungsänderung, bedauerten jedoch die fehlende Unterstützung: Für die notwendige Zweidrittelmehrheit im Bundestag seien auch die Stimmen der Opposition erforderlich.

Skepsis bei Union und Linken

Friedrich Merz, Vorsitzender der stärksten Oppositionsfraktion (CDU/CSU) im Bundestag, ist skeptisch gegenüber einer Änderung des Grundgesetzes. Er betonte, dass die bestehende Verfassung bereits ausreichenden Schutz biete und eine zusätzliche Klausel keine nennenswerten Verbesserungen mit sich bringen würde.

Auch Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag, äußerte Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit einer solchen Änderung. Er unterstütze zwar den Kampf gegen Antisemitismus, stelle jedoch infrage, ob eine Verfassungsänderung in der Praxis tatsächlich zu mehr Schutz führen würde.

Die Linke im Bundestag vertrat die Ansicht, dass das Grundgesetz bereits umfassenden Schutz vor Diskriminierung biete, einschließlich des Antisemitismus. Eine spezifische Hervorhebung im Grundgesetz könne den Eindruck erwecken, dass andere Diskriminierungsformen weniger ernst genommen würden.

Ilse Aigner, Präsidentin des Bayerischen Landtags, lobte hingegen Spaenles Engagement und bezeichnete Antisemitismus als eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Sie begrüßte die Idee einer Ergänzung des Grundgesetzes und sicherte zu, den Vorschlag in die weitere politische Diskussion einzubringen.

Redaktion beck-aktuell, bw, 16. August 2024 (dpa).