Sommermärchen-Prozess verjährt – Schweizer Justiz und FIFA unter Druck

Das Sommermärchen-Verfahren gegen drei ehemalige Funktionäre des Deutschen Fußball-Bundes wird wie erwartet wegen Eintritts der Verjährung eingestellt. "Es ist festzuhalten, dass unseren Mandanten aufgrund einer voreingenommenen und von geradezu unglaublichem Fehlverhalten geprägten Verfahrensführung der Schweizer Bundesanwaltschaft kein faires Verfahren gewährleistet worden ist", teilten die Verteidiger der ehemaligen DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach und Theo Zwanziger sowie des früheren DFB-Generalsekretärs Horst R. Schmidt am 28.04.2020 mit.

Gericht verwehrt sich gegen Verschleppungsvorwurf

Die Vorwürfe gegen das Trio und den einstigen FIFA-Generalsekretär Urs Linsi waren am 27.04.2020 verjährt. Das Verfahren war wegen der Corona-Krise seit März 2020 ausgesetzt und nicht weiter fortgeführt worden. Das Bundesstrafgericht in Bellinzona verwehrte sich gegen Verschleppungsvorwürfe. "Prozessuale Umstände und die Vorgaben im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie und nicht Verfahrensmängel am Bundesstrafgericht" hätten dazu geführt, dass es zu keinem Urteil gekommen ist, teilte die Behörde mit.

Verteidiger kritisieren Schweizer Strafverfolgungsbehörden

"Dass unsere Mandanten durch den Eintritt der Verjährung um eine Rehabilitation in Form eines vollumfänglichen Freispruchs gebracht werden, passt in das unrühmliche Bild, welches die Schweizer Strafverfolgungsbehörden im `Sommermärchen-Prozess` abgegeben haben", schrieben dagegen die Anwälte. "Es ist abschließend in aller Deutlichkeit festzustellen, dass im `Sommermärchen-Prozess` kein strafbares Verhalten der beschuldigten Personen festgestellt wurde."

DFB hatte auf weitere Aufklärung gehofft

Der DFB war an dem Prozess als Privatkläger beteiligt – und zeigte sich enttäuscht. "Unsere Hoffnung war, dass die Vorgänge um die Zahlung der 6,7 Millionen Euro (...) und ihre Hintergründe weiter aufgeklärt werden, insbesondere auch, was die Zahlungsvorgänge aus 2002 betrifft, die wohl nur in der Schweiz hätten aufgeklärt werden können", sagte DFB-Schatzmeister Stephan Osnabrügge einer Mitteilung zufolge. "Mit der Verjährung und Einstellung des Verfahrens bleibt diese Chance ungenutzt. Das bedauern wir sehr. (...) Die vollständige Aufklärung der Hintergründe des Zahlungsflusses bleibt unverändert Ziel des DFB."

Grund für Millionenüberweisung des DFB an Unternehmer ungeklärt

Zwanziger (74), Schmidt (78) und Linsi (70) waren wegen Betruges, Niersbach (69) wegen Gehilfenschaft zum Betrug angeklagt. Im Kern ging es um eine Überweisung des DFB im April 2005 in Höhe von 6,7 Millionen Euro über die FIFA an den inzwischen gestorbenen Unternehmer Robert Louis-Dreyfus. Das Geld wurde als Beitrag für eine Gala zur WM 2006 deklariert, die nie stattfand. Im Jahr 2002 hatte der damalige WM-Organisationschef Franz Beckenbauer ein Darlehen von Louis-Dreyfus in gleicher Höhe erhalten, das letztendlich auf Konten des damaligen FIFA-Finanzchefs Mohamed bin Hammam verschwand. Wofür, ist immer noch unklar.

FIFA in der Schweiz unter Druck

In der Schweiz wurde das stille Ende des "Sommermärchen-Prozesses" zur Randnotiz. Nach neuerlichen Medienberichten über die enge Verstrickung von FIFA-Präsident Gianni Infantino in die Schweizer Justiz steht der Fußball-Weltverband an seinem Amtssitz gehörig unter Druck. "Wir, die Bananenrepublik", schrieben am 28.04.2020 mehrere Schweizer Zeitungen über die Irrungen der Ermittler und die geheimen Treffen von Infantino mit Bundesanwalt Michael Lauber. Die FIFA reagierte ungewöhnlich erbost – und mit viel Pathos.

FIFA-Präsident in der Schusslinie

"Konzentrieren wir uns auf die Bestrafung der Kriminellen, ohne uns auf lokale politische Streitigkeiten zwischen einigen Abgeordneten, Medien und/oder Staatsanwälten einzulassen", appellierte der Weltverband. Unter anderem das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hatte am 27.04.2020 berichtet, Infantino habe versucht, unerlaubten Einfluss auf Ermittlungen zu nehmen. Konkret ging es bei den Untersuchungen um einen TV-Vertrag der UEFA mit südamerikanischen Rechtehändlern, den Infantino noch in seiner Zeit bei der Europäischen Fußball-Union unterzeichnet hatte. Laut FIFA war der Vertrag rechtlich einwandfrei. In einer E-Mail an einen Freund aus hohen Justizkreisen soll Infantino vor einem anberaumten Treffen mit Lauber im Jahr 2016 geschrieben haben: "Ich werde versuchen, es der Bundesanwaltschaft zu erklären, da es ja auch in meinem Interesse ist, dass alles so schnell wie möglich geklärt wird, dass klar gesagt wird, dass ich damit nichts zu tun habe." Der Schweizer "Tagesanzeiger" schreibt dazu, es sei durch die E-Mail erwiesen, "dass sich Weltfußball-Chef Infantino in einer Zusammenkunft mit Lauber reinwaschen wollte".

FIFA erbost über E-Mail-Veröffentlichung

Die Treffen sind durch ein Disziplinarverfahren der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft inzwischen verbürgt. Lauber habe seine Pflichten "verschiedentlich und teilweise erheblich verletzt", so das Ergebnis. Schweizer Medien zufolge wird in der Politik die Möglichkeit eines Amtsenthebungsverfahrens geprüft. "Tatsächlich war Herr Infantino weder Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens noch gab es gegen ihn zu diesem Zeitpunkt oder später ein Verfahren. Daher musste er nie seinen Namen reinigen“, hieß es von der FIFA. Zudem sei die E-Mail "offensichtlich durch Hacking" öffentlich geworden, "was eine illegale und kriminelle Handlung ist. Solche E-Mails werden nicht nur gehackt, sondern können auch leicht manipuliert werden". Der "Spiegel" hatte berichtet, die Informationen über die Enthüllungsplattform Football Leaks erhalten zu haben.

LG Frankfurt am Main prüft weiteres Vorgehen nach Schweizer Verfahrensausgang

"Das Sommermärchen-Debakel kratzt nicht nur am Image der Schweizer Justiz im Ausland. Es wird die Schweizer Steuerzahler zudem teuer zu stehen kommen", schrieb die Boulevardzeitung "Blick". Und ob die Zahlungen aus dem Jahr 2002 und 2005, an denen der damalige WM-Organisationschef Franz Beckenbauer maßgeblich beteiligt war, auch noch einmal vom Landgericht Frankfurt am Main wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung aufgegriffen werden, ist noch offen. Das Gericht prüfe die Auswirkungen des Verfahrensausgangs in der Schweiz, hieß es dazu am 28.04.2020.

Redaktion beck-aktuell, Jan Mies und Florian Lütticke, 29. April 2020 (dpa).