Nach Solingen: Bundesregierung stellt Sicherheitspaket vor
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Nach dem Terroranschlag von Solingen waren Rufe nach einem verschärften Waffenrecht und strengeren Abschieberegelungen laut geworden. Jetzt reagiert die Bundesregierung mit einem sicherheitspolitischen Maßnahmenpaket, dass darüber hinaus auch mehr Befugnisse für die Sicherheitsbehörden vorsieht.

Im Bereich des Aufenthaltsrechts will die Regierung das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ermächtigen, Internetdaten biometrisch abzugleichen, etwa, um die Identität Schutzsuchender feststellen zu können. Die Schwelle für ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse soll abgesenkt werden, wenn die Straftat unter Verwendung einer Waffe oder eines sonstigen gefährlichen Werkzeugs begangen worden ist (§ 54 Abs. 1 Nr. 1d AufenthG). Weiter vorgesehen ist, die Ausschlussgründe für die Asylberechtigung und die Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 8 bis 8b AufenthG zu verschärfen. Beispielsweise soll eine schwere Straftat zukünftig auch bei Jugendstrafen von mehr als drei Jahren angenommen werden. Mehr Straftaten können zum Ausschluss von der Schutzberechtigung führen.

Eine Dublin-Task Force von Bund und Ländern soll für mehr Rücküberstellungen in Dublin-Verfahren sorgen. Für Schutzsuchende, die ihr Asylverfahren in anderen Mitgliedsstaaten betreiben müssen (Dublin-Fälle) und die für den Fall ihrer Rückkehr dort Leistungsansprüche haben, soll der weitere Bezug von Leistungen in Deutschland ausgeschlossen werden. Die Bundesregierung will zudem darauf hinwirken, dass die Regelungen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, die Rückführungen erschweren, angepasst werden, um Dublin-Überstellungen und Rückführungen zu erleichtern. Sie kündigte außerdem an, weiter intensiv daran zu arbeiten, Gefährder und Personen, die schwerwiegende Straftaten begangen haben, auch nach Afghanistan und Syrien zurückführen zu können. Auch will sie mit weiteren Staaten, darunter die Republik Moldau, Kirgisistan, Usbekistan, Kenia und die Philippinen, über Migrationsabkommen und -kooperationen verhandeln.

Messerverbote und mehr Kontrollbefugnisse

Im Waffenrecht will die Regierung das individuelle Waffenverbot schärfen, indem sie durch Regelbeispiele klarstellt, wann eine Person keine Waffe besitzen darf. Der Umgang mit gefährlichen Springmessern soll generell verboten werden. Ein absolutes Messerverbot soll es bei großen öffentlichen Veranstaltungen wie etwa Sportfesten oder Märkten geben. Neben dieser bundesrechtlichen Regelung sollen die Länder absolute Messerverbote an kriminalitätsbelasteten Orten wie zum Beispiel an Bahnhöfen einführen können. Im Fernverkehr soll dagegen bundesweit einheitlich für alle Beförderer (Bahn, Fernbus et cetera) eine Messer-Regelung getroffen werden. Ausnahmen von allen Verbotsregelungen sollen bei berechtigtem Interesse möglich sein.

Um die Umsetzung der Verbote sicherzustellen, sollen die Länder erweiterte Kontrollbefugnisse für die Waffenverbotszonen bekommen. Die Bundespolizei soll stichprobenartig Kontrollen durchführen dürfen – und zwar unabhängig von einem Verdacht. Vollzugsbeamte des Bundes sollen Taser nutzen dürfen. Flächendeckend sollen sie bei der Bundespolizei eingesetzt werden.

Damit Extremisten erst gar nicht in den Besitz von Waffen kommen, sollen mehr Behörden als bisher eingebunden werden, wenn es um die Prüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit und die persönliche Eignung geht, unter anderem die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und das Zollkriminalamt. Polizeibehörden sollen künftig verpflichtet sein, die Waffenbehörden über zuverlässigkeitsrelevante Tatsachen zu unterrichten. Auch sollen Waffen gegebenenfalls schneller sichergestellt werden können. Weiter sollen die absoluten Unzuverlässigkeitsgründe für die Erteilung und Aufrechterhaltung von Erlaubnissen im Waffengesetz und im Sprengstoffgesetz durch einen Straftatenkatalog erweitert werdenh, der insbesondere staatsgefährdende Straftaten beinhaltet. Und: Nicht mehr die Jagd-, sondern die Waffenbehörden sollen die Zuverlässigkeit prüfen, wenn jemand einen Jagdschein beantragt.

Verbesserungen bei Aufklärung und Abwehr von islamistischem Extremismus

Zur besseren Aufklärung und Abwehr von islamistischem Extremismus sollen Ermittlungsbehörden die Befugnis zum biometrischen Abgleich von allgemein öffentlich zugänglichen Internetdaten ("Gesichtserkennung") erhalten. So sollen sie Tatverdächtige oder gesuchte Personen leichter identifizieren können. Bei der automatisierten Analyse polizeilicher Daten durch das BKA und die Bundespolizei soll auch KI zum Einsatz kommen dürfen. Banken sollen zur verbesserten Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung Konten nicht allein aufgrund polizeilicher Anfragen kündigen dürfen. Aus der Weiterführung des Kontos sollen der Bank keinerlei Nachteile, zum Beispiel in strafrechtlicher Hinsicht, entstehen. Zudem will die Regierung dem Verfassungsschutz mehr Befugnisse für Finanzermittlungen einräumen. Das Instrument des Vereinsverbotes will die Regierung auch weiterhin "konsequent" einsetzen.

Zur Prävention gegen islamistischen Terror solle eine Task Force Islamismusprävention aus Wissenschaft und operativer Praxis etabliert werden, die die Bundesregierung berät. Präventionsprojekte gegen Islamismus will die Regierung fortführen und ausbauen. Insbesondere soll die Deradikalisierungsarbeit gestärkt und die Beratungsstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge noch besser aufgestellt werden.

Auf EU-Ebene will die Bundesregierung eine Verschärfung des Digital Services Act einfordern, um durch Benennen konkreter Straftatbestände wie dem Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen und Volksverhetzung eine konsequente Bekämpfung strafrechtlicher Inhalte auf Online-Plattformen zu ermöglichen.

Buschmann nennt Paket sinnvoll und nützlich

Justizminister Marco Buschmann (FDP) sprach von einem sinnvollen und nützlichen Paket, um die Sicherheitslage in Deutschland zu verbessern und bei der Migration eine noch verschärfte Realpolitik durchzuführen.

Beim mutmaßlich islamistischen Anschlag von Solingen hatte ein Angreifer vergangenen Freitagabend auf einem Stadtfest drei Menschen mit einem Messer getötet und acht weitere verletzt. Mutmaßlicher Täter ist der 26-jährige Syrer Issa Al H., der in Untersuchungshaft sitzt. Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen ihn unter anderem wegen Mordes und wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Diese hatte die Tat für sich reklamiert. Der mutmaßliche Täter hätte eigentlich im vergangenen Jahr nach Bulgarien abgeschoben werden sollen, was aber scheiterte.

Unzufrieden zeigte sich dagegen die Gewerkschaft der Polizei (GdP): "Wir haben mehr Befugnisse erwartet, als hier heute vorgestellt wurden", sagte der GdP-Bundesvorsitzende Jochen Kopelke der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Er vermisste insbesondere Regelungen zum Speichern von IP-Adressen und sofortige Verbesserungen für die Bundespolizei an den Grenzen mit mehr Personal, besserer Ausstattung und moderner Technik. Auch eine generelle Überprüfung des Hintergrunds von Personen, die aus Operationsgebieten von Terrorgruppen einreisten, sei nötig.

Als Fortschritt wertete die GdP hingegen die Pläne, der Polizei die Nutzung biometrischer Gesichtserkennungssoftware zu erlauben. Die Fahndung nach der RAF-Terroristin Daniela Klette habe gezeigt, wie sehr der Polizei hier die Hände gebunden gewesen seien. Darüber hinaus bräuchten Polizei und Verfassungsschutz aber mehr Personal und Befugnisse im Internet. "Andere Länder machen uns vor, dass die Behörden mit eigenen Online-Ermittlungen potenzielle Radikalisierungen erkennen, bevor es zu einer Tat kommt", sagte Kopelke. "Das geben unsere Gesetze jedoch nicht her. An dieser Stelle wird dem Datenschutz ein zu hoher Standard eingeräumt, der hinsichtlich des unfassbaren Leids, das Terrorattacken auslösen, nicht gerechtfertigt ist."

Arbeitsgruppe mit Opposition soll nächste Woche tagen

Die Arbeit an dem Maßnahmenpaket hatte bereits am Wochenende nach dem Anschlag begonnen. Es solle nun so schnell wie möglich umgesetzt werden, sagte Faeser – jedenfalls nicht erst im nächsten Jahr. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte zudem am Mittwoch Gespräche mit den Ländern und der Union als größter Oppositionskraft angekündigt. Eine Arbeitsgruppe, der Vertreter aller drei Ampel-Parteien angehören, soll nächste Woche erstmals zusammenkommen. 

Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Hessens Regierungschef Boris Rhein, sagte die Teilnahme seines Innenministers Roman Poseck (beide CDU) kurz vor der Vorstellung des Sicherheitspakets zwar zu. Gleichzeitig machte er aber klar, dass er den Vorstoß skeptisch sieht. "Wir brauchen jetzt kein Brainstorming mit der Bundesregierung, sondern die Bundesregierung braucht die Bereitschaft zum Schlussstrich. Wir brauchen eine Zeitenwende in der Migrationspolitik – und zwar jetzt", sagte Rhein der Deutschen Presse-Agentur. Er forderte unter anderem die Verlagerung von Asylverfahren in Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union, mehr sichere Herkunftsstaaten und den Entzug der Staatsbürgerschaft für Straftäter und Gefährder. 

Redaktion beck-aktuell, bw, 29. August 2024 (ergänzt durch Material der dpa).