Immer, wenn in einem Land etwas Schreckliches geschieht, sei es eine Naturkatastrophe, sei es – wie kürzlich in Solingen – ein Terroranschlag, fällt der Politik eine undankbare Aufgabe zu. Wählerinnen und Wähler wollen dann hören, was man zu tun gedenkt, damit sich so etwas nicht wiederholt. Das ist zunächst einmal menschlich: Solche Ereignisse machen Angst und rufen den Wunsch nach Sicherheit hervor. Und es ist auch staatstheoretisch nicht ganz falsch, denn eine wesentliche Staatsaufgabe ist es eben, die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten.
Doch was passiert, wenn dieser Wunsch mit der Realität kollidiert, anders gesagt, wenn die geforderte Sicherheit – jedenfalls in einem Rechtsstaat wie dem unseren – schlicht nicht zu gewährleisten ist? Dann bleiben der Politik im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: Entweder sie spricht diese Wahrheit offen aus – mit zu vermutenden Konsequenzen beim nächsten Gang zur Wahlurne – oder sie täuscht Handlungsfähigkeit vor.
Nachdem bereits bei diversen Anschlägen zuvor schärfere Verbote für Messer gefordert worden waren, griffen Medien und Opposition nun schnell darauf zurück. Und die Regierung schwenkte bald ein: Das Innenministerium hatte unter Nancy Faeser (SPD) ohnehin schon einen Entwurf erarbeitet, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sprach sich dafür aus, und auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte nun eine rasche Verschärfung des Waffenrechts an. Die FDP, die sich anfangs noch sträubte, zeigt sich inzwischen ebenfalls offen dafür.
Alle Messer als potenzielle Mordwerkzeuge
Noch ist unklar, was genau letztlich geändert werden soll, doch einige Vorschläge liegen bereits auf dem Tisch. Der wohl populärste ist, die Klingenlänge von in der Öffentlichkeit erlaubten Messern von gegenwärtig zwölf auf sechs Zentimeter zu reduzieren. Hierzu ist vorab ein Blick ins Waffengesetz (WaffG) hilfreich. Dieser offenbart: Waffen im Sinne des Gesetzes sind vor allem Gegenstände, die nach ihrer Beschaffenheit dazu gedacht sind, Menschen zu verletzten (§ 1 Abs. 2 WaffG). Gewöhnliche Messer, unabhängig von ihrer Größe, gehören nicht dazu. Sonst wäre auch das Brotmesser in der heimischen Küchenschublade als Waffe zu qualifizieren.
Der aktuell kursierende Vorschlag zielt daher auf § 42a Abs. 1 Nr. 3 WaffG, der ein Führungsverbot auch für gewöhnliche Messer mit einer Klingenlänge von über zwölf Zentimetern anordnet. Die Vorschrift hat zur Folge, dass solche Gegenstände nicht in der Öffentlichkeit mitgeführt werden dürfen – außer man hat sie gerade im örtlichen Supermarkt erworben. Würde man nun keine Messer mehr oberhalb einer Klingenlänge von sechs Zentimetern erlauben, wären damit auch gewöhnliche Taschenmesser aus der Öffentlichkeit verbannt.
Stefanie Grünewald, Professorin für Öffentliches Recht an der Akademie der Polizei Hamburg, glaubt indes nicht, dass dies Auswirkungen auf die öffentliche Sicherheit hätte: "Man kann natürlich unter diesen Tatbestand noch weitere Messer fassen, wenn es dafür eine parlamentarische Mehrheit gibt", so Grünewald im Gespräch mit beck-aktuell. "Aber man muss sich die Frage stellen, warum jemand so etwas in der Regel mit sich führt. Stellt man alle Messer unter Generalverdacht oder müssen es besonders gefährliche sein?"
"Suggerieren Sicherheit, die nicht da ist"
"Jemand, der willens und überzeugt ist, eine Straftat zu begehen, lässt sich das vom Gesetz nicht verbieten", so Grünewald. Das auszusprechen falle zwar nicht leicht, weil es den Menschen Sicherheit nehme, aber: "Wir werden keine Sicherheit daraus schöpfen, dass wir die Klingenlänge reduzieren. Der Reflex, alles zu verschärfen, darf nicht zur Illusion führen, dass dann nichts mehr passiert würde." Die Tat von Solingen unterstreicht das sogar. Der mutmaßliche Täter benutzte nach bisherigem Stand der Ermittlungen offenbar ein 20 Zentimeter langes Messer. Dieses in der Öffentlichkeit zu führen, ist auch nach derzeitiger Gesetzeslage nicht erlaubt. Von seiner Tat hielt ihn das nicht ab. Solche Klingenlängen hingegen generell zu verbieten, würde in vielen heimischen Küchen die Schublade merklich leeren.
Verhindern könnten Taten wie in Solingen ohnehin keine bloßen Gesetze, sondern nur deren effektive Überprüfung durch die Sicherheitsbehörden, gibt Grünewald zu bedenken. Diese müssten im Übrigen auch das verschärfte Führungsverbot kontrollieren. Ganz praktisch: Beamte stoppen jemanden in der Fußgängerzone, durchsuchen die Taschen der Person und finden ein Messer. Nun müssen sie erst einmal klären, um was für ein Messer es sich handelt: ein ohnehin verbotenes Kampfmesser oder ein gewöhnliches Haushaltsgerät? Sollte es letzteres sein, muss das Zentimetermaß ran. "Das ist sehr eingriffsintensiv", meint Grünewald. "Und es trifft auch jeden Bürger und jede Bürgerin, die niemanden verletzen wollen. Wir stellen eine Gesellschaft dann unter Generalverdacht."
Sinnvoller wäre es daher aus ihrer Sicht, mehr in Personal von Polizei und Verfassungsschutz zu investieren. Doch das koste eben Geld und sei daher in der aktuellen Haushaltsdiskussion schwieriger durchzusetzen, so Grünewald. "Ad-hoc-Maßnahmen bergen dagegen das Risiko, Sicherheit zu suggerieren, die nicht da ist."
Was helfen kann: Waffenverbotszonen und Prävention
Anders beurteilt die Expertin dagegen ein generelles Umgangsverbot mit sogenannten Springmessern, die sich derzeit noch in einer Art Grauzone befänden: "Man muss immer schauen, wo man bestimmte Waffentypen neu erfassen muss, wenn Sinn und Zweck eines Gegenstandes nicht ist, zuhause das Brot zu schneiden, sondern jemanden zu verletzen." Ein generelles Verbot hätte auch zur Folge, dass derartige Messer nicht mehr frei zu erwerben wären. Damit wäre auch die Kontrolle des Verbots deutlich einfacher, als wenn grundsätzlich erwerbsfähige Gegenstände proaktiv aus dem Verkehr gezogen werden müssen.
Nun könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass schärfere Waffengesetze jedenfalls nicht schaden können. Schließlich, so formulierte es Bundesminister Habeck, leben wir "nicht mehr im Mittelalter": "Hieb- und Stichwaffen braucht niemand in Deutschland in der Öffentlichkeit." Dieser Ansatz setzt aber voraus, dass der Staat per se erst einmal alles verbieten könnte, solange kein dringendes Bedürfnis für etwas besteht. Doch im liberalen Rechtsstaat der Bundesrepublik, das bestätigt auch Grünewald, ist es andersherum: Jeder Freiheitsgebrauch ist zunächst einmal erlaubt, solange es nicht ein begründetes Bedürfnis gibt, ihn einzuschränken. Das gilt auch für das Schneiden eines Apfels im Park.
Schließlich schaltete sich jüngst der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, in die Diskussion ein und forderte eine Möglichkeit für die Polizei, anlasslos Personenkontrollen in der Öffentlichkeit auf Waffen durchzuführen. In der Tat darf die Polizei gegenwärtig nicht ohne konkreten Anlass – in der Regel den begründeten Verdacht, dass eine Person potenziell gefährlich sein könnte – Bürgerinnen und Bürger auf der Straße auf Waffen kontrollieren. Das wäre wohl auch grundrechtlich nicht machbar, meint Staatsrechtlerin Grünewald. Gleichwohl habe die Polizei gute Erfahrungen mit sogenannten Waffenverbotszonen gemacht. In diesen Zonen darf auch unabhängig von einer begründeten Gefahr – somit anlasslos – kontrolliert werden. Ganz ohne Weiteres können diese aber auch nicht eingerichtet werden, auch dafür braucht es eine konkreten Gefahrenprognose.
Doch auch mehr Waffenverbotszonen in deutschen Innenstädten könnten Vorfälle wie in Solingen allenfalls durch Zufall verhindern. Was hilft aus Sicht der Polizistinnen und Polizisten, die Grünewald in Hamburg unterrichtet, also wirklich gegen Terrorgefahr? Prävention sei das Stichwort, sagt die Juristin. "Das betrifft nicht nur die Polizei, sondern auch den Verfassungsschutz, aber auch Sozialarbeiterinnen und -arbeiter oder Jugendbehörden. Personen, die solche Taten begehen, sind oft Menschen, die schon zuvor Auffälligkeiten gezeigt haben. Da gilt es, die Kriminalität schon im Keim zu ersticken." Auch weitere Eingriffsbefugnisse für die Sicherheitsbehörden im digitalen Raum seien wichtig. "Man muss heute nicht mehr nach Syrien oder Afghanistan reisen, um sich zu radikalisieren", so Grünewald. Der falsche Umgang im Internet reiche völlig aus. "Da kommt die Polizei im digitalen Zeitalter oft nicht mehr mit."