Wer als Anwalt oder Anwältin in Zivilsachen vor dem BGH vertreten möchte, braucht dafür eine gesonderte BGH-Zulassung. Die Zulassungshürden sind hoch, der Zirkel klein, meist um die 40 Advokaten. Aktuell gibt es 37 zugelassene BGH-Anwältinnen und -Anwälte. Diese Regelung sowie das dazugehörige Wahlverfahren sind seit Jahren umstritten.
Im Jahr 2019 hat die Hauptversammlung der BRAK auf Antrag der Rechtsanwaltskammern Berlin und Düsseldorf über die Abschaffung der sogenannten Singularzulassung diskutiert, letztlich entschied sich eine Mehrheit der Kammern aber dafür, das System weitgehend beizubehalten. Am Freitag kommen die Kammern erneut zusammen und wieder liegt ein Antrag der RAK Berlin vor. Deren Präsidentin Vera Hofmann hält es für möglich, dass es dieses Mal anders läuft.
System BGH-Anwalt: Fossil oder notwendig?
Einer gesonderten Zulassung bedarf es inzwischen nur noch beim BGH und ausschließlich in Zivilsachen. Bis 2002 gab es auch bei den OLG noch Beschränkungen. Als damals das Lokalisationsprinzip entfiel, prophezeiten viele eine düstere Zukunft. Bewahrheitet hat sich das nicht. Vor den OLG, den Bundesgerichten und sogar vor dem BGH in Strafsachen kann jeder Anwalt und jede Anwältin vertreten, ohne dass es seither zu ersichtlichen Einbußen bei der Qualität der Beratung gekommen wäre.
Die Argumente für und gegen die Singularzulassung sind bereits breit diskutiert worden: Die Bewahrer mahnen die Funktion der Revision als Instanz der Rechtsvereinheitlichung und -fortbildung an und halten es für wichtig, dass auf Revisionsrecht spezialisierte Anwältinnen und Anwälte eine ausgewogene und qualitativ hochwertige Vertretung sicherstellen. Die Gegnerinnen und Gegner der Singularzulassung kritisieren die mangelnde Spezialisierung auf einzelne Fachgebiete sowie den hohen Eingriff in die Berufsfreiheit, den die Zugangsbeschränkung darstellt.
Dabei landen nur die wenigsten Zivilrechtsfälle auch tatsächlich vor dem Gerichtshof – den Anwältinnen und Anwälten entgeht also nicht gerade das Geschäft ihres Lebens. Dennoch ist es Mandantinnen und Mandanten schwer zu vermitteln, dass sie sich für die Revisionsinstanz einen ganz neuen Rechtsbeistand suchen müssen, selbst wenn sie mit ihrem bisherigen Anwalt oder ihrer Anwältin zufrieden sind.
Hinzu kommt die Kritik an dem Auswahlverfahren neuer BGH-Anwältinnen und -Anwälte: Über die Zulassung entscheiden – auf Vorschlag der Rechtsanwaltskammern – im Wesentlichen BGH-Richterinnen und Richter, was einmalig ist und in der Branche seit Jahren für Irritation sorgt. Auch die Feinheiten des Auswahlverfahrens bei diesem Wahlausschuss für Rechtsanwälte beim BGH (§§ 164, 165 BRAO) gelten als intransparent, sie sind gesetzlich kaum geregelt. Die Sitzungen sind nichtöffentlich und werden von Eingeweihten hinter vorgehaltener Hand gern mit Staatsexamina oder gar mit Inquisitionen verglichen. Es ist auch nicht festgelegt, in welchem Turnus die Wahlen stattfinden sollen. Erst im vergangenen Jahr hatte BGH-Präsidentin Bettina Limperg offenbar Bedarf an neuen BGH-Anwälten und -Anwältinnen festgestellt und eine Wahl in die Wege geleitet. Es ist die erste seit 2013.
Zuletzt keine Mehrheit für Veränderungen
Die Unstimmigkeiten im Auswahlprozess neuer BGH-Anwältinnen und -Anwälte stießen auch den Vertreterinnen und Vertretern der Rechtsanwaltskammern auf. Auf Antrag unter anderem der Kammer Berlin befassten sich die RAK-Präsidentinnen und -Präsidenten schon 2019 mit der Singularzulassung.
Ein eigens dafür eingesetzter Ausschuss hatte damals verschiedene Modelle erarbeitet, wie die BGH-Zulassung modernisiert werden könnte. Von einer ersatzlosen Streichung der Singularzulassung über ein ausgeklügeltes Fortbildungsprogramm – einer Art Fachanwalt für Revisionsrecht – bis hin zu einem neuen Wahlverfahren wurden alle Möglichkeiten durchdacht. Doch letztlich fand sich für eine Lockerung der Zulassungsregeln keine Mehrheit.
Stattdessen beschloss die Hauptversammlung, dass das Wahlverfahren transparenter und die Zusammensetzung des Wahlausschusses angepasst werden müsse. Zudem sollte für das Auswahlverfahren nicht mehr das Bundesjustizministerium zuständig sein, sondern die BRAK.
Einen entsprechenden Vorschlag hat die BRAK 2019 auch an die damals amtierende Justizministerin Katharina Barley weitergereicht, die Bundesregierung wollte mögliche Rechtsänderungen prüfen. Doch es geschah – nichts. Nach heutigem Erkenntnisstand hat das Ministerium das Anliegen nicht weiterverfolgt. Die anstehende Wahl findet nach den altbekannten Regeln statt.
Mehr Spezialisierung, neue Gesichter, mehr Macht für größere Kammern
Nun ist das Thema wieder auf dem Tisch und Vera Hofmann ist zuversichtlich, dass die Kammern dieses Mal aufgeschlossener sein könnten. Denn auf Seiten der Anwaltschaft hätten sich in den vergangenen Jahren Dinge geändert. "Der Kompromiss von 2019 muss als gescheitert betrachtet werden. Schon damals waren die meisten Kammern der Auffassung, dass sich etwas ändern muss – jedenfalls beim Wahlverfahren. Ich glaube, dass viele Kammern an einem neuen Kompromiss interessiert sind."
Die Spezialisierung innerhalb der Anwaltschaft habe in den vergangenen fünf Jahren noch weiter zugenommen, so Hofmann. BGH-Anwältinnen und -Anwälte seien Generalisten, der Prozessstoff verlange aber zunehmend nach spezialisiertem Fachwissen. Tatsächlich verfügen die meisten der 37 BGH-Anwältinnen und -Anwälte nicht über einen Fachanwaltstitel. Der Vorschlag der RAK sieht deshalb vor, dass zukünftig alle Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte vor dem BGH in Zivilsachen auftreten dürfen, die eine Fortbildung im Revisionsrecht im Umfang von 60 Zeitstunden besucht sowie drei Klausuren bestanden haben und anschließend eine jährliche Fortbildung nachweisen.
Auch personell habe sich in den Kammern einiges verändert, so Hofmann. Mehrere Kammerpräsidenten seien seit 2019 ausgeschieden. "Es gibt viele neue Gesichter." Vor allem aber gebe es Neuerungen im Berufsrecht – und die betreffen auch die Abstimmungsregeln der Hauptversammlung. "Früher hatte jede Kammer eine Stimme, nun wird nach Größe der Kammern gewichtet." So hat nach dem 2022 geänderten § 190 BRAO nun jede Kammer zwischen einer und neun Stimmen, je nach Anzahl ihrer Mitglieder. Die RAK Berlin beispielsweise hat sieben Stimmen, die RAK München neun – und die RAK beim BGH hat eine Stimme.
Wie die Abstimmung verlaufen wird, kann Hofmann nicht vorhersagen, doch sie hält es für wahrscheinlich, dass am Freitag ein Beschluss gefasst werden wird. "Das Thema ist ausdiskutiert", so Hofmann. "Meines Erachtens sollte die Anwaltschaft sich jetzt an die Spitze der Entwicklung stellen, statt in einer Situation zu verharren, die nicht mehr zeitgemäß ist."