Jobcenter verwehrt Umzugskosten: Gericht übt heftige Kritik
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Wenn ein Bezieher von Grundsicherung umzieht, kann er einen Anspruch auf Kostenersatz haben. Das entschied das SG Karlsruhe und attestierte dem Jobcenter, das die Übernahme abgelehnt hatte, "missgünstigen Sozialneid öffentlich Bediensteter".

Vergeblich hatte eine Frau beim Karlsruher Jobcenter beantragt, dass dieses ihren Umzug bezahlt. Die 1980 geborene Bezieherin von Grundsicherung (jetzt: Bürgergeld) nach dem SGB II ist Mutter zweier nachweislich pflegebedürftiger Kinder und selbst schwer depressiv. Sie kündigte ihre bisherige Mietwohnung, um in eine andere Bleibe im nahe gelegenen Ettlingen umzuziehen. Die war deutlich preiswerter, und dort konnte ihre eigene Mutter gelegentlich auf die Enkelkinder aufpassen. Pflichtgemäß holte sie drei Kostenvoranschläge von Speditionen ein.

Die Behörde lehnte die Kostenübernahme dennoch ab: Die Hilfesuchende solle den Umzug in Eigenregie unter Zuhilfenahme von Familie, Freunden und Bekannten oder kostengünstigen Alternativen wie etwa studentischer Helfer oder caritativer Einrichtungen organisieren. Sogar ihr nach mehreren Schriftwechseln eingeschalteter Bevollmächtigter sollte beim Schleppen helfen (insgesamt waren sieben Stockwerke ohne Fahrstuhl zu überwinden) oder zumindest Kisten und Kartons fahren – das habe sein eigener Rechtsanwalt auch schon fünfmal geschafft, schrieb ihr der Sachbearbeiter. Überdies sollten die von ihm empfohlenen Laien einen Starkstromherd anschließen, was zwar prinzipiell erlaubt, aber ohne die entsprechende Ausbildung hochgefährlich ist.

Nach erfolglosem Widerspruch zog die Frau vor das SG Karlsruhe, das ihr in deutlichen Worten Recht gab (Urteil vom 01.10.2014 – S 12 AS 2387/22). Vorab ermittelte es teilweise die Schätzgrundlagen für Kosten eines hypothetischen Umzugs in Eigenregie im Internet: "Es hat hierzu entsprechende Webseiten ermittelt, Screenshots erstellt und den Beteiligten mit dem Hinweis zur Verfügung gestellt, dass es beabsichtige, die dortigen Angaben zur Grundlage der Schätzung der hypothetischen Alternativkosten zu machen", schrieb es den Prozessbeteiligten. Auch lud der Kammervorsitzende Familienangehörige als Zeugen zu der Frage, ob sie beim Transport der Möbel und sonstigen Utensilien mithelfen könnten, verzichtete dann aber in der mündlichen Verhandlung auf deren Befragung, weil eine Mithilfe der beiden Brüder, der Schwester und der Großmutter offenkundig nicht möglich war. Denn, so heißt es im Urteil, das pauschale Bestreiten durch das Jobcenter sei "ohne jede Substanz" und "ins Blaue hinein" geschehen. Freunde, die man um einen "so großen Gefallen" hätte bitten können, hatte die isoliert lebende Kranke ebenfalls nicht. 

Es kommt noch krasser: Der Beklagte sei unglaubwürdig, zitiert die Kammer ihre eigenen Überlegungen zum Verzicht auf die Vernehmung der Zeugen, "da er nachweislich auch unwahre Behauptungen zulasten der Klägerin aufgestellt habe wegen vermeintlich verfügbarer Umzugshelferangebote der Caritas, wegen des vermeintlich üblichen Stundenlohns studentischer Umzugshelfer, wegen der Mietkosten eines vermeintlich geeigneten Umzugsfahrzeugs und wegen der vermeintlichen Wirtschaftlichkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts mit Umzugsdienstleistungen".

Behörde spart durch Wohnortwechsel

"Durch den Umzug minderten die drei Grundsicherungsleistungsberechtigten die öffentlichen Grundsicherungsleistungen für ihre Kosten für Unterkunft und Heizung um 126,11 Euro monatlich von 1.014,01 Euro in Karlsruhe auf angemessene 887,90 Euro in Ettlingen", heißt es in dem Richterspruch. Überdies sei es zum Schutz der psychischen Gesundheit der pflegebedürftigen Tochter erforderlich, aus dem in Karlsruhe-Nordstadt bewohnten Mehrfamilienhaus wegzuziehen, weil sie dort unter Streitigkeiten mit Nachbarskindern litt. Mit der Folge, dass polizeiliche Ermittlungen wegen Beleidigung, Körperverletzung, Diebstahl sowie Stalking eingeleitet und eine therapeutische Behandlung der seelischen Folgen veranlasst worden seien. Ferner war demnach ein Wechsel nach Ettlingen "besonders zweckförderlich", weil die dort wohnende Großmutter zeitweilig Aufsicht und Betreuung ihrer Enkelkinder übernehmen konnte.

Das SG räumt ein, dass Bezieher von Grundsicherung generell ihre Umzugskosten möglichst niedrig halten müssten. "Sind Eigenbemühungen aber wegen Alter, Krankheit oder Behinderung nicht zumutbar, müssen die Kosten für ein Umzugsunternehmen übernommen werden", schreibt es unter Hinweis auf juristische Kommentare zu § 22 SGB II. Hier sei das Ermessen der Behörde auf Null reduziert: "Der Höhe nach handelte es sich bei dem Betrag von 2.200 Euro um einmalige Aufwendungen, die sich im Fall der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin zugunsten der öffentlichen Hand bereits nach 17,4 Monaten amortisierten, weil die monatlichen Einsparungen für (öffentliche Leistungen für) Unterkunft und Heizung der Bedarfsgemeinschaft durch den Umzug um 126,11 Euro monatlich sanken und die umzugsbedingte Gesamtersparnis der öffentlichen Hand schon nach 18 Monaten 2.269,18 Euro betrug." Denn bereits für zwei Bewilligungsmonate fielen für die Familie Regel- und Mehrbedarfe in Höhe von insgesamt 2.477,76 Euro an, welche die einmaligen Umzugskosten in Höhe von 2.200 Euro – dem preiswertesten der drei Kostenvoranschläge – überstiegen.

Rechtsanwalt kein günstiger Umzugshelfer

Und dann folgt eine Reihe ausgesprochen harscher Anmerkungen. "Ein Rechtsanwalt stellt regelmäßig einen dreistelligen Stundensatz als Honorar in Rechnung", kontert die Kammer die Vorschläge der Behörde zum Verzicht auf ein professionelles Transportunternehmen. Damit sei er zwar um ein Vielfaches teurer als Beschäftigte einer Umzugsfirma oder sonst übliche Umzugshelfer, aber nicht denknotwendig auch entsprechend effektiver beim Transportieren von Hausrat. "Denn weder das juristische Studium noch der juristische Vorbereitungsdienst ertüchtigen den künftigen Rechtsanwalt dazu, besser oder schneller als andere Menschen Umzugsgut zu befördern." Auch sei die Verwaltungspraxis des Jobcenters Karlsruhe, als Tageslohn für studentische Umzugshelfer pauschal nur 50 Euro zu übernehmen, "evident rechtswidrig": Der gesetzliche Mindestlohn betrage nämlich 12,50 Euro, und ein regulärer Arbeitstag dauere acht Stunden, so dass die Tagespauschale mindestens doppelt so hoch sein müsse. Hinsichtlich der Einbauküche könne man die Frau nicht auf den Vorrang der Selbsthilfe verweisen: "Der Ausbau und Einbau (...) erfordert weitergehende handwerkliche Kenntnisse, die im Normalfall weder von einem Leistungsberechtigten noch von dessen freiwilligen oder studentischen Gelegenheitshelfern erwartet werden können."

Geradezu als Ohrfeige muss man den letzten Leitsatz der Entscheidung werten. "Die Angemessenheit von Umzugskosten nach § 22 Abs. 6 SGB II bemisst sich nicht nach dem im Einzelfall missgünstigen Sozialneid öffentlich Bediensteter", lautet der. Im Urteil wird dem Bediensteten dann die Lehre erteilt: "Bei der behördlichen Ermessensausübung (...) kommt es nicht darauf an, ob Mitarbeiter des zuständigen Jobcenters Menschen im Grundsicherungsbezug generell keine Geldleistungen gönnen, die Jobcenterbeschäftigte ihrerseits als nicht hilfebedürfte Erwerbstätige nicht ebenfalls von der öffentlichen Hand beanspruchen können." Maßgeblich seien allein die Möglichkeiten zur Selbst- und Fremdhilfe der betroffenen Menschen in existentieller Not und nicht diesbezügliche persönliche Selbsthilfemöglichkeiten der behördlichen Entscheidungsträger in vergleichbaren Lebenslagen.

SG Karlsruhe, Urteil vom 01.10.2024 - S 12 AS 2387/22

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 24. Oktober 2024.