Persönliches Budget nach § 29 SGB IX vorläufig auch ohne Zielvereinbarung möglich

Unter den Voraussetzungen des § 29 SGB IX besteht ein Rechtsanspruch des Leistungsberechtigten auf ein persönliches Budget. Dieses könne im einstweiligen Rechtsschutz auch ohne die sonst zwingend erforderliche Zielvereinbarung gewährt werden, entschied das Sozialgericht Gießen mit Beschluss vom 29.10.2020. Denn sonst liege es im Einflussbereich der Behörde, den Anspruch auf ein persönliches Budget ins Leere laufen zu lassen.

Eilantrag auf persönliches Budget trotz fehlender Zielvereinbarung

Die Antragstellerin leidet an einer spinalen Muskelatrophie Typ IIa und benötigt eine 24-Stunden-Assistenz. Um diese bezahlen zu können, beantragte sie am 11.02.2020 Leistungen für ein persönliches Budget. Nachdem sie im Oktober 2020 die Zulassung für ein Studium an der Hochschule Mannheim ab dem Wintersemester 2020/2021 erhalten hatte und bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Zielvereinbarung abgeschlossen worden war, machte die Antragstellerin mit ihrem Eilantrag ihren Rechtsanspruch auf ein persönliches Budget geltend.

Zielvereinbarung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht erforderlich

Das Gericht gab der Antragstellerin Recht. Ihr Rechtsanspruch folge dem Grunde nach aus § 29 SGB IX. Auch wenn der Abschluss einer Zielvereinbarung unabdingbare Voraussetzung für die Gewährung eines persönlichen Budgets sei, so sei davon im einstweiligen Rechtsschutzverfahren abzusehen. Denn der Rechtsanspruch auf ein persönliches Budget laufe ins Leere, wenn der Leistungsträger durch sein Unterlassen beliebig den Abschluss einer Zielvereinbarung verhindern könne. Das Gericht konnte hier offenlassen, wie sich das Fehlen der Zielvereinbarung im Hauptsacheverfahren auswirkt. Im Lichte des Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) müsse jedenfalls im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ein persönliches Budget ohne Zielvereinbarung gewährt werden, weil ansonsten keine Leistungsgewährung möglich wäre.

Anspruchshöhe streitig

Lediglich die Höhe der Leistungserbringung war noch streitig. Während der Antragsgegner eine Berechnung vorlegte, aus der sich ein monatlicher Auszahlungsbetrag von gut 12.800 Euro ergab, berechnete die Antragstellerin die Gesamtkosten auf rund 17.800 Euro monatlich. Das Gericht orientierte sich an den Angaben der Gewerkschaft ver.di (3.60 "Tariflöhne sind für mich existenziell"). Danach koste eine 24-Stunden-Assistenz bei Tariflöhnen zwischen 17.000 und 20.000 Euro im Monat.

SG Gießen, Beschluss vom 29.10.2020 - S 18 SO 146/20 ER

Redaktion beck-aktuell, 20. November 2020.