Für ihre Tätigkeit im Präsidium des Deutschen Anwaltvereins (DAV) erhalten die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte eine Aufwandsentschädigung vom Verband. So auch eine ehemalige Vizepräsidentin und Schatzmeisterin, die sich vor dem SG Berlin gegen einen Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) wandte (Urteil vom 18.04.2024 - S 210 BA 196/20). Nach beck-aktuell-Recherchen dürfte es sich dabei um die Kölner Anwältin Pia Eckertz-Tybussek handeln, die zwischen 2013 und 2023 im DAV-Präsidium tätig war. Der Bescheid der DRV stellte ihre Sozialversicherungspflicht fest. Sie sei in dieser Zeit abhängig beschäftigt gewesen.
Mit ihrer Klage gegen den Bescheid hatte die Anwältin keinen Erfolg: Unter anderem wegen der "signifikanten Aufwandsentschädigung" ging das SG von einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis aus und bestätigte die Sozialversicherungspflicht. Die Zahlungen des DAV an seine Vizepräsidentin hatten zwischen monatlich 1.500 Euro und 4.000 Euro variiert. Dabei handelte es sich nach Überzeugung des Gerichts nicht lediglich um eine Erstattung der von der Klägerin aufgewendeten Kosten, sondern um eine Vergütung ihrer für die Ausübung des Amts aufgewendeten Zeit.
Laut DAV-Website hat der Verband die Höhe der Aufwandsentschädigung inzwischen wieder auf 1.500 Euro monatlich herabgesetzt.
Gericht bejaht Weisungsgebundenheit
In die Erwägungen des Gerichts zur Frage, ob es sich bei der Tätigkeit als Vizepräsidentin und Schatzmeisterin um eine abhängige Beschäftigung gem. § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV handelt, floss außerdem ein Weisungsrecht des Vorstands und Präsidiums ein. Das Gericht bejahte eine solche Weisungsgebundenheit bei der Vizepräsidentin. Sie sei an die Beschlüsse des Vorstands, des Präsidiums und der Mitgliederversammlung gebunden gewesen.
Ihre Tätigkeit sei zudem darauf gerichtet gewesen, den Vereinszweck zu erfüllen, was für das SG ein weiteres Indiz für eine abhängige Beschäftigung war. Dies zeige sich insbesondere an ihrer Tätigkeit als Schatzmeisterin. Denn ohne eine gesicherte wirtschaftliche Grundlage und geordnete Finanzen, deren Überwachung ihre wichtigste Aufgabe war, wäre der Vereinszweck nicht zu realisieren, so das Gericht.
Ehrenamtliche im DAV: Die Krux liegt in der Satzung
Das SG stellt in seinem Urteil außerdem einige Überlegungen zur Abgrenzung einer Erwerbstätigkeit von einem Ehrenamt an. Mit der zeitaufwändigen Präsidiumstätigkeit gingen automatisch Einbußen bei der eigenen Erwerbstätigkeit einher, so das Gericht. Ohne die Zahlung einer Gegenleistung könne der DAV kaum Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte für die Vorstandstätigkeiten begeistern. Umgekehrt hätten die Anwältinnen und Anwälte verständlicherweise eine Vergütungserwartung.
Daher sehe die Satzung des DAV auch eine flexible Aufwandsentschädigung vor, die je nach Zeitaufwand unterschiedlich ausfallen könne. Hier liegt aus Sicht des SG die Krux: Bei der Zahlung, die der DAV allen Vorstandsmitgliedern leiste, handle es sich gerade nicht um eine – häufig eher symbolische – Entschädigung für eine ehrenamtliche Tätigkeit, sondern viel mehr um ein Entgelt für zeitlichen Aufwand und Arbeitskraft.
Der DAV ist der Interessensverband der Anwältinnen und Anwälte. Laut Tätigkeitsbericht (2023) finanziert sich der DAV zu etwas mehr als 50 % aus den Mitgliedsbeiträgen der örtlichen Anwaltvereine und Arbeitsgemeinschaften. Aktuell sind beim DAV neben der Präsidentin und fünf Vizepräsidentinnen und -präsidenten noch 22 weitere Vorstandsmitglieder tätig.
Auf Anfrage von beck-aktuell teilte der DAV mit, man könne die Begründung des Urteils nicht nachvollziehen: "Wir finden die Entwicklung bedenklich, wenn freiberuflich tätige Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte durch ihr ehrenamtliches Engagement sozialversicherungsrechtlich zu Angestellten gemacht werden sollen" heißt es im Schreiben des Vereins. "Die Präsidiumsmitglieder üben keine operative Tätigkeit im Verband aus, diese ist der hauptamtlichen Geschäftsführung und deren Mitarbeitern vorbehalten. Die Tätigkeit besteht in der Repräsentation des Vereins und der Anwaltschaft." Es gehöre zum Bild des freien Berufs, so der DAV, dass sich einzelne Berufsträgerinnen und Berufsträger nicht nur im Rahmen der Selbstverwaltung, sondern auch in der Interessenvertretung für den eigenen Berufsstand engagierten. In dieser Zeit könnten sie ihren Beruf nicht ausüben und erhielten daher eine Aufwandsentschädigung, um ihren Aufwand, aber auch Umsatz- und Einkommensverluste zumindest teilweise zu kompensieren. Schließlich gab der DAV zu bedenken, dass die Betroffenen in obligatorischen Versorgungswerken bereits eine Altersversorgung unterhielten.*
*Anm. d. Red: Statement des DAV ergänzt am Tag der Veröffentlichung, 15:08 Uhr.