SG Berlin gewährt nach zwei Monaten Ehe Witwenrente wegen bürokratisch bedingten Verzögerungen der Hochzeit

Das Sozialgericht Berlin hat einer Witwe nach nur zwei Monaten Ehe einen Anspruch auf Witwenrente zuerkannt, obwohl bereits am Hochzeitstag absehbar war, dass der krebskranke Ehemann sehr bald sterben würde. Es sah die Vermutung einer Versorgungsehe nach § 46 Abs. 2 a SGB VI als widerlegt an, da die Beschaffung der erforderlichen Papieren aus dem Ausland (hier: Ukraine) mehrere Monate gedauert und eine frühere Hochzeit verhindert habe (Urteil vom 11.09.2017, Az.: S 11 R 1839/16, BeckRS 2017, 125580).

Klägerin begehrt nach zwei Monaten Ehe Witwenrente

Die aus der Ukraine stammende Klägerin lernte 2007 ihren späteren Ehemann kennen, der bei der Beklagten, der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg, versichert war. Im Dezember 2010 wurde bei ihm eine bereits fortgeschrittene Krebserkrankung festgestellt. Im Februar 2011 beantragten beide die Eheschließung beim Standesamt, Ende März 2011 heirateten sie. Bereits zwei Monate später, Anfang Juni 2011, starb der Versicherte.

Rentenversicherung: Vermutung einer Versorgungsehe nicht widerlegt

Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Witwenrente ab. Sie vertrat die Auffassung, dass die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe nach § 46 Abs. 2 a SGB VI im Falle einer Ehe, die nicht mindestens ein Jahr gedauert habe, nicht widerlegt worden sei. Obwohl die Klägerin den Versicherten bereits 2007 kennengelernt habe, sei mit der Vorbereitung der Eheschließung erst begonnen worden, als der lebensbedrohliche Zustand des Versicherten unübersehbar geworden sei. Dagegen erhob die Klägerin Klage vor dem SG.

SG: Gesamtbetrachtung bei Prüfung einer Versorgungsehe maßgeblich

Das SG gab der Klage statt und verpflichtete die Beklagte zur Gewährung einer Witwenrente. Maßgeblich bei der Prüfung, ob eine Versorgungsehe vorliege, sei eine Gesamtbetrachtung. Immer dann, wenn für eine Heirat andere Beweggründe als eine Versorgungsabsicht überwögen oder zumindest gleichwertig seien, sei die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe nicht gerechtfertigt. Das Vorliegen anderer Beweggründe müsse der hinterbliebene Ehegatte beweisen.

Krankheitsbild zum Zeitpunkt der Eheschließung kommt erhebliche Bedeutung zu

Eine gewichtige Bedeutung kommt dabei laut SG dem Krankheitsbild des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung zu. Je offensichtlicher die Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit gewesen sei, desto größer seien die Zweifel daran, dass die Ehe nicht mit dem Ziel der Versorgungsabsicherung geschlossen wurde. Nicht ausschlaggebend sei hingegen, wie lange eine Liebesbeziehung bereits bestanden habe. Im Gegenteil spreche eine lange Partnerschaft ohne Trauschein vielmehr dafür, dass eigentlich gar keine Eheschließung beabsichtigt war.

Vermutung hier trotz weit fortgeschrittener Krankheit widerlegt

Im vorliegenden Fall sieht das SG die Vermutung einer Versorgungsehe widerlegt. Die lebensbedrohliche Krankheit des Versicherten zum Zeitpunkt der Hochzeit sei zwar offenkundig weit fortgeschritten gewesen. Darüber seien sich auch die Eheleute völlig im Klaren gewesen. Allerdings hätten konkrete und ernsthafte Heiratsabsichten schon mehrere Monate bestanden, bevor beim Versicherten im Dezember 2010 die tödliche Krankheit festgestellt worden sei.

Beschaffung von Papieren aus dem Ausland verhinderte frühere Hochzeit

So hätten sich sowohl der Versicherte als auch die Klägerin bereits im Laufe des Jahres 2010 um die Beschaffung der erforderlichen Papiere bemüht. Dies sei besonders schwierig gewesen, weil beide Eheleute zuvor schon einmal verheiratet gewesen seien. Die Klägerin habe monatelang auf Unterlagen aus der Ukraine warten müssen. Auch das Standesamt habe bestätigt, dass bei der Eheschließung mit einer ausländischen Staatsangehörigen zwischen einer ersten Auskunft über die erforderlichen Papiere bis zu deren Beschaffung im Allgemeinen mehrere Monate vergingen.

SG Berlin, Urteil vom 11.09.2017 - S 11 R 1839/16

Redaktion beck-aktuell, 29. September 2017.

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