Boni-Verbot: Kein vorbeugender Rechtsschutz für Doc Morris

Der Antrag der Online-Versandapotheke Doc Morris auf Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes gegen mögliche Vertragsstrafen wegen Verstoßes gegen das Verbot von Zuwendungen bei der Abgabe verordneter Arzneimittel ist unzulässig. Die Antragstellerin habe kein Rechtsschutzbedürfnis für die vorläufige Feststellung, dass die Paritätische Stelle des GKV-Spitzenverbandes und des Deutschen Apothekerverbandes nicht berechtigt sei, Sanktionen gegen sie zu verhängen, so das Sozialgereicht Berlin.

Hintergrund: Vor-Ort-Apotheken-Stärken-Gesetz

Das am 15.12.2020 in Kraft getretene Vor-Ort-Apotheken-Stärken-Gesetz verbietet Apotheken die Gewährung von Vergünstigungen bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel an gesetzlich Versicherte. Verstöße hiergegen können mit Vertragsstrafen von bis zu 250.000 Euro und der Aussetzung der Versorgungsberechtigung bestraft werden (§ 27 Abs. 4 Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 2 SGB V). Zuständig für die Überwachung des sogenannten Rx-Boni-Verbotes ist die zum 01.10.2021 geschaffene Paritätische Stelle des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) und des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), die vorliegend Antragsgegnerin war.

Doc Morris kämpft um Geschäftsmodell

Die in den Niederlanden ansässige Antragstellerin betreibt eine Online-Versand-Apotheke und gewährte ihren Kunden in der Vergangenheit im Rahmen von Treue-Programmen Gutschriften für eingelöste Rezepte. Sie möchte weiterhin derartige Zuwendungen gewähren und damit werben. Mit Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vom 29.10.2021 begehrte sie die Feststellung, dass die Antragsgegnerin nicht berechtigt sei, Vertragsstrafen zu verhängen oder ihre Versorgungsberechtigung auszusetzen.

Verweis auf Warenverkehrsfreiheit

Zur Begründung führte Doc Morris aus, dass der gesetzlich verlangte Verzicht auf die beabsichtigte Preiswerbung zu erheblichen Umsatzeinbußen führen würde. Das Rx-Boni-Verbot verstoße zudem gegen die im EU-Recht verankerte Warenverkehrsfreiheit, insbesondere auch im Hinblick auf ein EuGH-Urteil vom 19.10.2016 (EuZW 2016, 958) zu § 78 AMG a.F. Der Anteil von EU-Versandapotheken am Markt verschreibungspflichtiger Arzneimittel mache zudem nur 1% aus, weshalb eine Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts der gesetzlichen Krankenversicherung durch eine Fortsetzung der Boni-Praxis ohnehin ausscheide.

SG: Nachträglicher Rechtsschutz ausreichend

Das SG Berlin hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, da er unzulässig sei. Die Antragstellerin habe kein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis für den begehrten vorläufigen Rechtsschutz. Ihr drohten nämlich keine unzumutbaren, insbesondere keine nicht wiedergutzumachenden Nachteile. Deshalb könne sie erforderlichenfalls auf nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden.

Begleichung der Vertragsstrafe möglich

Die Antragstellerin sei in der Lage, eine etwaige Aussetzung der Berechtigung zur weiteren Versorgung mit Sachleistungen durch die fristgemäße Begleichung einer etwa verhängten Vertragsstrafe von bis zu 250.000 Euro zu verhindern, heißt es im Beschluss weiter. Denn erst nach Fristablauf könne die Aussetzung als Druckmittel erforderlich sein, um die Zahlung einer Vertragsstrafe durchzusetzen. Dass schon eine solche Vertragsstrafe eine unzumutbare Belastung darstelle, habe die Antragstellerin nicht dargelegt.

Umsatz- und Gewinneinbußen bei Boni-Verbot nicht nachgewiesen

Aber selbst wenn man die durch Sanktionen drohenden Nachteile als unzumutbar einstufen würde, wäre vorbeugender Rechtsschutz nicht erforderlich, da die Antragstellerin diese auch dadurch abwenden könnte, dass sie auf die Gewährung der umstrittenen Zuwendungen verzichtet. Sie habe nämlich auch nicht glaubhaft gemacht, durch die Einhaltung des Boni-Verbots tatsächlich erhebliche Umsatz- und Gewinneinbußen gehabt zu haben. Zudem sei davon auszugehen, dass die Antragstellerin durch die Einführung des E-Rezeptes zum 01.01.2022 ohnehin nicht unerhebliche Zuwächse bei der Abgabe verordneter Arzneimittel erzielen werde.

SG Berlin, Beschluss vom 10.12.2021 - S 208 KR 1782/21 ER

Redaktion beck-aktuell, 15. Dezember 2021.