Ein Mann nahm eine Geschlechtsangleichung zu einer Frau vor – inklusive Genitalangleichung und operativem Brustaufbau. Nach dem Eingriff wirkte das äußere Erscheinungsbild sehr weiblich. Nicht so recht dazu passte allerdings die männliche Stimme – trotz logopädischer Behandlung. Die Frau beantragte bei ihrer Krankenversicherung eine "Stimmbandoperation", die sei für erforderlich hält, da sie in ihrem Beruf als Bauleiterin gerade auf Baustellen laut sprechen müsse. Die höhere Stimmlage könne sie nicht künstlich halten, sie rutsche immer wieder in die niedrigere Stimmlage. Am Telefon werde sie daher immer für einen Mann gehalten, was peinliche Outings zur Folge habe. Auf Dauer, so ihr behandelnder HNO-Arzt, seien stimmliche Folgestörungen zu erwarten.
Die Assekuranz lehnte ab. Auch der Medizinische Dienst schloss sich dem an und empfahl der Frau, die Sprachtherapie fortzusetzen. Ein zweiter Antrag scheiterte trotz Bescheinigung eines Psychotherapeuten sowie ihrer damaligen Arbeitgeberin. Sie blieb hartnäckig und zog vors Sozialgericht. Dort las sie einen Text in normaler Stimmlage und lauter vor – und überzeugte das Gericht.
Das SG Augsburg bejaht einen Anspruch der Frau gegen ihre Assekuranz auf eine stimmangleichende OP (Urteil vom 16.03.2023 – S 12 KR 462/21). Die beiden Bescheide der Versicherung seien rechtswidrig. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme unter Einbeziehung der medizinischen Unterlagen, des gerichtlichen Gutachtens und insbesondere des Ohrenscheins in der mündlichen Verhandlung war das Gericht davon überzeugt, dass eine stimmerhöhende Operation "ein weiterer notwendiger Baustein zur Geschlechtsangleichung bei der Klägerin ist".
Männliche Stimme passt nicht zum ansonsten weiblichen Erscheinungsbild
Zwar wirke die Frau nach ihrer Geschlechtsanpassung eindeutig weiblich. Das SG hatte allerdings den Eindruck, dass ihre "männliche" Stimme dazu nicht passe. Das Problem liege eindeutig in der Stimmhöhe. Die normale Sprechstimme der Frau befand die Kammer als relativ tief, selbst für einen Mann. Dies sei deutlich geworden, als sie zu Beginn der mündlichen Verhandlung nur wenige Worte eingeworfen habe, und ihre Stimme dabei deutlich tiefer als beim späteren längeren Sprechen und Vorlesen gelegen habe.
Auch der Gerichtsgutachter habe bestätigt, dass ihre Stimmhöhe von ihm als nicht geschlechtskongruent wahrgenommen wurde. Eine Sprachtherapie verheiße auch keine Besserung. Das Gericht stimmte einer Stimmbandoperation auch deshalb zu, weil ein anhaltender psychischer Leidensdruck wegen des immer wieder beim Sprechen vorkommenden, "ungewollten Outings als Mann" vorhanden sei.