Sexueller Missbrauch auf hohem Niveau
Mehr als 17.000 Kinder in Deutschland waren 2022 Opfer sexueller Gewalt, rief Martina Link, Vizepräsidentin des Bundeskriminalamtes, in Erinnerung. Die Zahl der Taten des sexuellen Missbrauchs verharre auf unverändert hohem Niveau. 101 Kinder verloren ihr Leben. Zusätzlich zu den bearbeiteten Fällen müsse man von einer Dunkelziffer an Vorfällen ausgehen. Für die Anbahnung von Kontakten zwischen meist erwachsenen Tätern und Kindern spiele der digitale Raum mit Gaming-Plattformen und Chat-Communities eine immer bedeutendere Rolle. Die Polizei habe angesichts dieser Lage nachgerüstet und die Zahl der endbearbeiteten Fälle von kinder- und jugendpornografischen Inhalten deutlich steigern können. Für die Ermittlungsarbeit würden sowohl IP- als auch E-Mail-Adressen sowie Telefonnummern herangezogen, um verdächtige Personen ausfindig zu machen.
Erfolgsquote von über 85% wäre bei 14 Tagen Speicherdauer möglich
Dabei sei man auf eine möglichst lange Speicherung der Verbindungsdaten seitens der Provider angewiesen. Während die Trefferquote bei Telefonnummern bei knapp 50% und bei IP-Adressen bei 41% liege, führten E-Mail-Adressen, meist mit Phantasienamen, gerade mal in 17% zum Täter. Link unterstrich die Bedeutung der IP-Adresse bei der Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen. In vielen Fällen sei die IP-Adresse der einzige Hinweis auf die Täter. Die Ermittlungserfolge ließen sich noch steigern, wenn man die Dauer der Speicherung durch die Telekommunikationsfirmen auf 14 Tage erhöhe und auf Nachfrage stets auch die Port-Adresse übermittelt bekäme. "Bei einer Speicherdauer von 14 Tagen von IP- und Port-Adresse kämen wir auf über eine Erfolgsquote von über 85%."
Überwachung von Chat-Diensten nicht für sinnvoll erachtet
Während sich Link für die umfassende, anlasslose Speicherung der IP-Adressen aussprach, sei eine flächendeckende Überwachung von Chat- und Messenger-Diensten abzulehnen, da damit Schutzräume der Kinder wegfielen. Um Übergriffe etwa bei Onlinespielen zu melden, müsse es für Kinder einen niedrigschwelligen Zugang etwa zu "Onlinewachen" geben. Umgekehrt seien mittlerweile die Polizeidienststellen für das Thema sensibilisiert und es gebe eine Reihe spezialisierter Dienststellen.
EU-Kommission will Kommunikationen durchsuchen
Kerstin Claus, Unabhängige Beauftragte des Bundes für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, erläuterte den Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission zu dem Thema, der darauf ziele, durch ein systematisches Durchsuchen von Kommunikation und Materialien im Netz durch die Strafverfolgungsbehörden Täterstrukturen aufzudecken und Täter zu identifizieren. Wie beim Kinderschutz in der analogen Welt müsse man auch im digitalen Raum, in dem sich Kinder und Jugendliche zunehmend bewegten, deren Schutz durch entsprechende Funktionen bei den Einstellungen in den Spiele-Apps sowie durch Beschwerdesysteme sicherstellen. Eine Risikoanalyse für Spiele-Plattformen müsse dazu führen, dass Gefahren für Kinder eliminiert würden. Der Kommissionsentwurf verpflichte die Anbieter zu einem solchen Verfahren.
Auch Eltern in der Pflicht
Leider könne man das sogenannte Nahfeld kindlicher Kontakte heute nicht mehr wie früher völlig überblicken. Eine mit der analogen Welt vergleichbare soziale Kontrolle habe man im digitalen Raum nicht. "Daher verschärfen sich die Risiken." Aber es gebe Möglichkeiten, die Kinder zu schützen.
Umfassende Änderungen in Bildungspolitik erforderlich
Für eine Gesamtstrategie für beide Bereiche sprach sich Joachim Türk, Vizepräsident des Kinderschutzbundes, aus. Man könne analoge und digitale Welt nicht trennen. "Es ist ein gesellschaftliches Problem." Das erfordere umfassende Änderungen in der Bildungspolitik. Es gelte die Wirtschaft ebenso wie die Eltern und die Kinder und Jugendlichen selbst in die Erarbeitung von Präventions- und Schutzkonzepten und in eine breite gesellschaftliche Debatte einzubeziehen.
Eltern oft unwissend
Momentan gebe es leider noch zu wenig Wissen über die Rolle des digitalen Raums als Teil des kindlichen Nahfeldes. Zum Kinderschutz in diesem Bereich könne das geplante europäische Zentrum beitragen. "Wir brauchen aber auch eine deutsche Einrichtung", sagte Türk. Dort könnten Erfahrungen für alle Beteiligten gebündelt werden. Vor allem die Eltern wüssten noch zu wenig über den digitalen Raum und seine Gefahren. "Mehr als 50% der Kleinen können unbeaufsichtigt mit den Smartphones der Eltern spielen."