Sechs Monate leichterer Wolfs-Abschuss: Kritik von allen Seiten

Das Gesetz sollte sie eigentlich ins Gleichgewicht bringen: den Naturschutz und die Interessen der Schafhirten und Bauern. Doch ein halbes Jahr, nachdem eine "Lex Wolf" den Abschuss der Tiere erleichtert hat, zeigt sich: Zufrieden ist kaum jemand. Bauern beklagen die steigende Zahl gerissener Nutztiere, Naturschützer den Fokus auf Abschussgenehmigungen, der den Blick auf andere Hilfen verstelle. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner fordert weitere Schritte.

"Lex Wolf" soll Wolfsangriffen entgegenwirken

"Dass die gesetzlichen Änderungen ausreichen werden, glaube ich kaum", sagte die CDU-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur. Ihre Befürchtungen schienen sich zu bewahrheiten. "Die Anzahl der Wolfsangriffe auf Tiere und Herden steigt kontinuierlich, Weidetierrisse nehmen zu." Menschen in ländlichen Regionen seien verunsichert. Von einer "Lex Wolf" könne erst die Rede sein, wenn es ein "Bestandsmanagement" gebe – also auch vorsorglich gejagt werde. Das ist verboten, denn Wölfe sind in der EU und in Deutschland streng geschützt. Am 14.08.2020 ist es ein halbes Jahr her, dass der Bundesrat mit einer "Lex Wolf" den Abschuss dennoch erleichtert hat – jedenfalls ein bisschen. 

Weiter Einzelgenehmigungen erforderlich

Wenn es Angriffe auf Nutztiere gibt, dürfen seitdem auch Wölfe geschossen werden, wenn nicht klar ist, welches Tier genau zum Beispiel die Schafe gerissen hat – so lange, bis die Angriffe aufhören, selbst wenn ein ganzes Rudel sterben muss. Aber es muss weiter jeder einzelne Abschuss genehmigt werden. Eine Bilanz kann das Bundesumweltministerium noch nicht ziehen. Die neue Regelung sei bereits angewandt worden, sagte eine Sprecherin. Das halbe Jahr sei aber zu kurz, um eine erhöhte Anzahl an Tötungen von Wölfen statistisch festzustellen – vor allem, weil während des Frühjahrs Abschüsse oft ausgesetzt würden, wenn es um weibliche Wölfe mit Jungen gehe.

Landwirte: Wölfe gefährden Tierhaltung

Seit der Jahrtausendwende breiten sich Wölfe wieder in Deutschland aus. Ein Erfolg des Naturschutzes, so sieht das auch Klöckner. Doch je mehr Gebiete die Raubtiere besiedeln, desto mehr Tierhalter haben Probleme mit gerissenen Schafen, Ziegen und anderen Nutztieren. "In der Praxis sehen die Weidetierhalter keine Entschärfung der Probleme – im Gegenteil, die Wolfsangriffe nehmen weiter zu", sagte der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, Bernhard Krüsken. Die Änderung sei "halbherzig", nun säßen die Länder sie auch noch auf Kosten der Weidetiere aus. "Ohne eine konsequente Regulierung des Wolfsbestands wird die Haltung von Schafen, Ziegen, Rindern und Pferden auf der Weide in Deutschland zum Auslaufmodell werden, weil die Betriebe aufgeben", warnte er. Herdenschutz funktioniere in der Fläche nicht, wenn die Landschaft zum Schutz der Weidetiere nicht in einen "Hochsicherheitstrakt" verwandelt werden solle.

Expertin: "Lex Wolf" verhindert Blick auf eigentliche Probleme

Von "Obergrenzen" bis zu "wolfsfreien Zonen" reichen die Forderungen. Wolfsexpertin Birte Brechlin vom Naturschutzbund Nabu hat Verständnis dafür, wenn sich ein Betrieb den Kosten für guten Herdenschutz nicht gewachsen sieht. Da Wölfe weite Strecken zurücklegten, sei so etwas aber nicht sinnvoll. Stattdessen müsse sich die Grundsituation der Weidetierhaltung bessern. Alle gemeinsam müssten Lösungen finden. "Romantisierungen haben hier ebenso wenig Sinn, wie die Verteuflung der Tiere." Die "Lex Wolf" habe die Lage eher noch verschärft, sagte sie: "Durch die Unklarheit und den Fokus auf Abschussgenehmigungen werden die eigentlich wirksamen Maßnahmen aus der Debatte verdrängt."

61 Wolfsrudel, 12 Paare und sechs Einzeltiere

Den vorläufigen Zahlen der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf für dieses Jahr zufolge leben in Deutschland derzeit 61 Wolfsrudel, 12 Paare und sechs Einzeltiere. Die endgültigen Zahlen stehen aber erst im Herbst fest, und es dürften mehr sein: Im vergangenen Jahr 2018/19 waren 105 Rudel, 29 Paare und 11 Einzeltiere bestätigt. Wie viele Wölfe das sind, ist schwer zu sagen. Ein Rudel besteht aus Wolfseltern und ihren Nachkommen, und die Sterblichkeit der Welpen ist hoch. 2019 wurden deutschlandweit bei 887 Wolfsübergriffen 2894 Nutztiere verwundet oder getötet. Schafe und Ziegen hatten mit 2500 den größten Anteil, aber es waren auch Rinder und Pferde dabei. Die meisten Wölfe gibt es den vorläufigen Angaben zufolge in Sachsen, wo bisher 24 Rudel gemeldet wurden, und in Niedersachsen mit 22 Rudeln, sechs Paaren und einem Einzeltier. Auch diese Zahlen dürften sich noch ändern. In Brandenburg wurden für den Zeitraum 2018/2019 sogar 41 Rudel und acht Paare gemeldet, in diesem Jahr sind erst vier gemeldet, die Daten werden nach Angaben des Umweltministeriums gerade ausgewertet.

"Kurti" war erster legal geschossener Wolf

Nach Angaben des sächsischen Umweltministeriums wurde in diesem Jahr – wie schon im Vorjahr – bisher keine Genehmigung zum Abschuss erteilt. Auch in Niedersachsen wurde dieses Jahr noch kein Wolf geschossen. 2016 war der "Kurti" genannte Wolf MT6 in der Lüneburger Heide der erste legal geschossene Wolf in Deutschland seit der Rückkehr der Tiere.

Gericht setzte Genehmigungen aus

Vorerst soll es in Niedersachsen auch keine Tötung geben: Die letzte von drei Genehmigungen nach den neuen Regeln wurde im April auf Bitte des Verwaltungsgerichts Lüneburg ausgesetzt. Den Umgang mit den Tieren soll eine niedersächsische Wolfsverordnung ab September regeln. In Brandenburg, mit vier Rudeln auf Platz vier der "Wolfsländer", gab es bisher noch keinen Abschuss. Die derzeitigen Handlungsmöglichkeiten seien ausreichend, teilte das dortige Agrar- und Umweltministerium mit.

Redaktion beck-aktuell, Teresa Dapp, 14. August 2020 (dpa).