Schwierige Bilanz: Was bringt das Fachkräfteeinwanderungsgesetz?

Die Erwartungen an das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz waren hoch: IT-Spezialisten, Handwerker, Pflegekräfte - für sie alle sollte der Weg in die Bundesrepublik ab dem 01.03.2020 leichter werden. Ein Jahr später loben Regierungsvertreter das Gesetz zwar in den höchsten Tönen. Ob zu Recht, ist allerdings schwer zu sagen. Denn die Pandemie hat Reisen und Einwanderung massiv erschwert. 

Mehr gewünscht als gegangen

Fast 30.000 Visa für qualifizierte Fachkräfte und Auszubildende aus Nicht-EU-Staaten sind laut Bundesregierung erteilt worden. Wie viele dieser Menschen tatsächlich eingereist sind? Unklar. Daniel Terzenbach, im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit unter anderem für die internationale Kooperation zuständig, ist ein Verfechter des Gesetzes. Seine Prognose vor einem Jahr: 10.000 Zuwanderer im ersten Jahr, das halte er für realistisch. Nun, im Rückblick, resümiert er: "Wir hätten uns viel mehr gewünscht, aber es ist nicht nichts gegangen."

Fachkräfteeinwanderungsgesetz erleichterte die Einwanderung

Bis zum 01.03.2020 konnten nur Uni-Absolventen aus Nicht-EU-Staaten ohne Arbeitsplatzangebot in Deutschland nach Jobs suchen. Das wurde nun auch für Fachkräfte möglich, vorausgesetzt sie sprechen Deutsch und können ihren Lebensunterhalt bestreiten. Die Vorrangprüfung, bei der untersucht wird, ob nicht auch ein inländischer Bewerber zur Verfügung steht, entfiel für qualifizierte Ausländer mit Arbeitsvertrag. Visa sollten schneller vergeben werden. Rund 2.000 Fachkräfte kamen über spezielle Programme der Bundesagentur in den vergangenen zwölf Monaten nach Deutschland. Darunter waren Arbeitskräfte aus den Philippinen (362), Mexiko (200), Brasilien (98), Vietnam (85), Iran (71), Indien (39), Ukraine (34), Tunesien (27) sowie auch 18 Auszubildende aus El Salvador.

Corona "lenkt den Bedarf um"

Die Reisebeschränkungen durch die Corona-Krise und die pandemiebedingten Voraussetzungen in den Herkunftsländern ließen nicht mehr zu. "Einige Länder - zum Beispiel Brasilien - mussten die Vermittlungsaktivitäten für einige Zeit stark zurückfahren. Dort ist der Fokus durch die extreme Corona-Situation im Land im Moment ein komplett anderer", sagt Terzenbach. In der Corona-Krise habe sich auch das Profil der Einwanderer verändert. "Die Pflege bleibt ganz wichtig, die IT bleibt ganz wichtig. Aber vor Corona hatten wir großen Bedarf in der Gastronomie", berichtet Terzenbach. "Da gucken wir jetzt erst auf den heimischen Arbeitsmarkt, wo die Menschen ihre Arbeit verloren haben. Der Bedarf lenkt sich durch Corona ein wenig um." 

Bundesagentur: Zuwanderung ist weiter nötig

Die Zahlen der Bundesagentur machen deutlich: Schon in den vergangenen Jahren hat die Einwanderung aus Nicht-EU-Ländern die Beschäftigung in Deutschland massiv gestützt. Im Corona-Jahr 2020, als im Inland die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung einbrach, konnten die Einwanderer sogar einen kleinen Gegenpol bilden. Zwischen November 2019 und November 2020 kamen 66.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte aus Drittstaaten hinzu, während 171.000 andere Stellen wegbrachen. BA-Vorstand Terzenbach weist darauf hin, dass die Anstrengungen längerfristig angelegt sind. Er verweist auf die Demografie, also die alternde Gesellschaft - das ändere sich nicht durch Corona. "Auch die sozialen Sicherungssysteme, die auf viele erwerbstätige Menschen angewiesen sind, brauchen ausreichend Fachkräfte, die diese Systeme finanzieren."

Experten loben Gesetz und sehen Verbesserungsbedarf

Marius Tollenaere und Nima Sarvari, zwei Anwälte der auf Mitarbeiterentsendung und Arbeitsmigration spezialisierten Anwaltskanzlei "Fragomen Global" sehen noch Luft nach oben beim neuen Gesetz. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Einwanderung selbst seien im internationalen Vergleich für Fachkräfte sogar recht attraktiv, erklärt Tollenaere. "So können hoch qualifizierte Fachkräfte hier bereits nach 21 Monaten eine Niederlassungserlaubnis erhalten, also das Recht auf einen dauerhaften Aufenthalt und freien Arbeitsmarktzugang." Aber das reiche eben nicht: "Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass gesetzliche Regelungen ein Land als Zielort für qualifizierte Fachkräfte attraktiver machen." So seien Kanada und Australien trotz hoher Hürden "Magneten für viele Hochqualifizierte".

Kritik: Regelungen zu umständlich ausgestaltet

Einiges sei aber doch recht umständlich ausgestaltet, meint Tollenaere, etwa die Regelungen zum Nachweis, dass ein Berufsabschluss gleichwertig ist mit hierzulande erlangten Qualifikationen. "Wir sollten da nicht alles am deutschen Maßstab messen. Statt umständlich zu prüfen, ob auf dem Papier bescheinigte Ausbildungsgänge mit deutschen Abschlüssen vergleichbar sind, wären etwa berufsspezifische und fähigkeitsbezogene Tests denkbar." Das deutsche System der dualen Berufsausbildung sei eben eine Besonderheit. Andererseits: Bei zu niedrigen Hürden könnte Missbrauch drohen. Terzenbach warnt, man müsse besonders aufpassen, dass die Zuwanderer nicht in die Hände der falschen Leute gerieten. "Wenn das zu einem verkappten Menschenhandel würde, dann hätten wir ein großes Problem."

Fazit: Probleme bei der Umsetzung

Sarvari merkt an: "Manche Neuerungen sehen nur auf dem Papier gut aus." Etwa der Termin beim Konsulat innerhalb einer bestimmten Frist im beschleunigten Fachkräfteverfahren. "Das klappt aber nicht oder führt zur Verdrängung anderer laufender Verfahren, wenn die Personaldecke dort zu dünn ist. Das beste Gesetz bringt wenig, wenn den Behörden die nötige Ausstattung fehlt." Auf dem Balkan etwa seien Visatermine schon seit Jahren schwer zu bekommen. "Das dauert teilweise acht oder neun Monate." Es hapere beim Fachkräfteeinwanderungsgesetz einfach an der Umsetzung, bilanziert Sarvari. "Da bräuchten wir unbürokratischere, schnellere und digitalere Verfahren."

Redaktion beck-aktuell, Michael Donhauser und Martina Herzog, 2. März 2021 (dpa).