Noch keine Abstimmung innerhalb der Regierung
So sollen die Bafin neu aufgestellt und die Transparenz verbessert sowie Absprachen zwischen den Behörden vereinfacht werden. Ziel sei, entsprechende Gesetze bis Frühling 2021 zu verabschieden. Die zentralen Inhalte des Plans wurden der Deutschen Presse-Agentur in Koalitionskreisen bestätigt. Der Aktionsplan ist dem Vernehmen nach innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgestimmt. Das Finanzministerium wollte zunächst keine Stellungnahme abgeben. Der Finanzminister hatte bereits Reformen bei der Bilanzkontrolle sowie einen Aktionsplan angekündigt. Er hatte Ende Juni 2020 betont, der Staat müsse in der Lage sein, "komplizierte internationale Firmenkonstrukte wie Wirecard" effizienter und wirksamer zu kontrollieren.Bafin soll Sonderermittler einsetzen können
Der nun gefasste Plan sieht laut Zeitung konkret vor, dass der Staat künftig über die Finanzaufsicht Bafin bei Verdacht auf Unregelmäßigkeiten bei Unternehmen wie Banken, Versicherungen und Zahlungsdienstleistern schnell und direkt eingreifen und Sonderermittler einsetzen kann. Das bisherige zweistufige System bei der Bilanzkontrolle solle abgeschafft werden. Es solle auch untersucht werden, wie Hinweise von "Whistleblowern" stärker genutzt und wie Anreize für Hinweisgeber verbessert werden können.
Beratung und Kontrolle schärfer trennen
Der Reformplan für die Finanzaufsicht sieht laut Zeitung auch vor, Anleger besser zu schützen. Um Betriebsblindheit zu vermeiden, sollten Bilanzprüfer von Unternehmen, die mit gelisteten Wertpapieren arbeiten, künftig alle zehn Jahre ausgetauscht werden. Außerdem sollten Beratung und Kontrolle schärfer getrennt werden, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Verfehlungen sollen außerdem schneller und strenger geahndet werden. Die zivilrechtliche Haftung von Abschlussprüfern solle überprüft werden.
Wirecard: Luftbuchungen in Milliardenhöhe
Der inzwischen insolvente Dax-Konzern Wirecard hatte im Juni 2020 Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt. Der Skandal hatte auch die Bundesregierung und Scholz in Erklärungsnot gebracht. Zentrale Fragen sind, wann genau die Regierung von Unregelmäßigkeiten wusste, ob sie zu wenig dagegen unternommen hat - und ob die Bundesregierung womöglich Wirecard unterstützte, obwohl der Verdacht von Unregelmäßigkeiten bereits im Raum stand. Die Opposition droht mit einem Untersuchungsausschuss, falls die Bundesregierung aus ihrer Sicht nicht ausreichend zur Aufklärung der Vorgänge rund um Wirecard beiträgt.
Gewerbsmäßiger Bandenbetrug seit 2015?
Der Betrugsskandal beim Dax-Konzern Wirecard hatte am 22.07.2020 eine neue Dimension erreicht. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht mittlerweile von "gewerbsmäßigem Bandenbetrug" seit 2015 aus, mehr als drei Milliarden Euro könnten verloren sein. Ex-Vorstandschef Markus Braun wurde zum zweiten Mal innerhalb eines Monats in Untersuchungshaft genommen – und anders als Ende Juni 2020 auch nicht mehr gegen Millionenkaution auf freien Fuß gesetzt. Ebenfalls mit Haftbefehl hinter Gittern sitzen nun der frühere Finanzvorstand Burkhard Ley und der ehemalige Chef der Buchhaltung. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft laufen darauf hinaus, dass der Dax-Konzern womöglich seit 2015 von einer kriminellen Bande geführt wurde – ein in der Geschichte der deutschen Börsen-Oberliga noch nicht da gewesener Vorgang.
Anlegergemeinschaft pocht auf Aufklärung
Die Anlegergemeinschaft SdK forderte rückhaltlose Aufklärung des Skandals – inklusive der Rolle der Staatsanwaltschaft. "Es ist dringend notwendig, dass der Sachverhalt und auch das Agieren der Bafin und der Staatsanwaltschaft in den letzten Jahren aufgearbeitet wird und einer externen Untersuchung unterzogen wird", sagte SdK-Vorstandsvorsitzender Daniel Bauer am 23.07.2020. "Dass sich die Organe von Wirecard trotz der gravierenden Vorwürfe so leicht Zugang zu politischen Eliten im Lande verschaffen konnten, ist aus unserer Sicht beängstigend." Es müsse auch geklärt werden, ob eventuell auch von politischer Seite in der Vergangenheit Einfluss auf die Finanzaufsichtsbehörde Bafin und auf die Staatsanwaltschaft genommen wurde.
Amtshaftungsklage gegen Bafin
Die Kanzlei Tilp hat unterdessen nach eigenen Angaben vom 24.07.2020 Amtshaftungsklage beim Landgericht Frankfurt eingereicht. "Die Bafin hat sich unseres Erachtens jahrelang unter grober Missachtung ihrer gesetzlichen Aufgaben und Befugnisse eigener Ermittlungen gegenüber der Wirecard AG wegen Marktmanipulation verweigert", argumentierte Rechtsanwalt Andreas Tilp. Die Aufsicht habe einseitig gegen Journalisten und Leerverkäufer agiert, obwohl sie die öffentliche Berichterstattung über massive Unregelmäßigkeiten der Wirecard AG gekannt habe. "Hätte sie (Bafin) ordnungsgemäß ermittelt, wäre der Bilanzbetrug am Freitag, dem 15. Februar 2019, längst öffentlich bekannt gewesen", argumentierte Tilp. Das Landgericht Frankfurt und die Finanzaufsicht waren für eine Stellungnahme zunächst nicht zu erreichen. Die Bafin hat mehrfach darauf hingewiesen, dass sie nicht die volle Aufsicht über Wirecard hatte, weil lediglich die Tochterbank des Skandalunternehmens als Finanzdienstleister eingestuft war, nicht jedoch der gesamte Konzern.