Bei der Abstimmung über die Vertrauensfrage votierten 207 Abgeordnete für Scholz, 394 gegen ihn, 116 enthielten sich, wie Bundestagspräsidentin Bärbel Bas bekanntgab. Der Kanzler verfehlte damit wie beabsichtigt die notwendige Mehrheit von 367 Stimmen deutlich.
Scholz wird nun ins Schloss Bellevue fahren und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorschlagen, den Bundestag aufzulösen. Der hat dann 21 Tage Zeit zu entscheiden, ob er zustimmt und eine Neuwahl innerhalb von 60 Tagen ansetzt. Da es im Bundestag eine große Einigkeit darüber gibt, dass die ursprünglich für den 28. September 2025 geplante Bundestagswahl vorgezogen werden soll, gilt die Zustimmung Steinmeiers als sicher. Er hat auch schon signalisiert, dass er mit dem angestrebten Termin 23. Februar einverstanden ist.
Scholz an Lindner: "Wochenlange Sabotage"
Die Debatte vor der Abstimmung war schon voll und ganz vom Wahlkampf bestimmt. Scholz nutzte seine Rede für eine harte Attacke gegen die FDP. Die "wochenlange Sabotage" der Liberalen unter Parteichef Christian Lindner habe nicht nur der Ampel-Regierung, sondern auch der Demokratie insgesamt geschadet, sagte er. "In eine Regierung einzutreten, dafür braucht es die nötige sittliche Reife."
Mit der Vertrauensfrage selbst beschäftigte Scholz sich in seiner knapp 30-minütigen Rede nur kurz. Es gehe darum, dass die Bürgerinnen und Bürger den politischen Kurs Deutschlands neu vorgeben könnten. "Die Vertrauensfrage richte ich deshalb heute an die Wählerinnen und Wähler." Den größeren Teil seiner Rede nutzte Scholz dann dafür zu erläutern, mit welchem Programm er die Wähler überzeugen will, für die SPD zu stimmen.
Unions-Fraktionschef Friedrich Merz nannte die Attacke auf Lindner in seiner Erwiderung eine "blanke Unverschämtheit". Im Gegenzug warf der Oppositionsführer Scholz vor, das Land in einer der größten Wirtschaftskrisen der Nachkriegsgeschichte zu hinterlassen und auf EU-Ebene versagt zu haben. "Sie blamieren Deutschland", sagte er. Es sei "zum Fremdschämen", wie der Kanzler sich in der Europäischen Union bewege.
Auch Lindner konterte mit einem Gegenangriff auf die Wirtschaftspolitik des Kanzlers, die am tiefgreifenden Problem mangelnder Wettbewerbsfähigkeit vorbeigehe. Als Beispiel nannte Lindner die gerade erst von Scholz vorgeschlagene Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel. "Der Prinz Karneval, der kann am Rosenmontag Kamelle verteilen um populär zu werden. Aber die Bundesrepublik Deutschland darf so nicht regiert werden."
Vergleichsweise moderat war da die Rede von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Der Kanzlerkandidat der Grünen warnte davor, mit Naivität auf die geplante Neuwahl und die Zeit danach zu blicken. "Alle tun so, als wäre danach alles besser", sagte er. Schwierige Bündnisse, die von den Beteiligten die Fähigkeit zum Kompromiss erfordern, seien aber auch in Zukunft zu erwarten.
Einziger Neuwahl-Hebel des Kanzlers
Scholz wurde von seiner Frau Britta Ernst in den Bundestag begleitet. Die Vertrauensfrage ist für ihn die einzige Möglichkeit, selbst eine vorgezogene Bundestagswahl herbeizuführen. Denn der Bundestag kann sich nicht selbst auflösen. Scholz hatte diesen Schritt bereits am 6. November unmittelbar nach dem Rausschmiss von FDP-Finanzminister Christian Lindner und dem Aus seiner Ampel-Koalition angekündigt, um wieder für stabile Verhältnisse zu sorgen. Seitdem führt er eine von SPD und Grünen getragene Regierung, die im Bundestag keine Mehrheit mehr hat. Ohne Unterstützung aus der Opposition kann sie nichts mehr durchsetzen.
Drei AfD-Abgeordneten wollten für Scholz stimmen
Wie viele der 207 Ja-Stimmen aus der SPD kamen, wird sich erst zeigen, wenn das Stimmverhalten der einzelnen Abgeordneten am späteren Nachmittag veröffentlicht wird. Es ist zwar genau die Zahl der SPD-Abgeordneten. Es waren aber Stimmen aus der AfD für Scholz erwartet worden.
AfD-Chefin Alice Weidel sagte vor der Abstimmung, dass drei Parlamentarier ihrer Fraktion für Scholz stimmen wollten. Diese sorgten sich "um einen Kriegskanzler Friedrich Merz", der damit zündele, Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine zu liefern, sagte Weidel. Namen nannte sie nicht. Nach dpa-Informationen handelt es sich um die Abgeordneten Jürgen Pohl, Christina Baum und Edgar Naujok. Ein oder zwei Abgeordnete könnten sich den Informationen zufolge außerdem enthalten.
Steinmeier: "Wir wollen jetzt nicht huddeln"
Steinmeier will in den nächsten Tagen zunächst Gespräche mit allen Fraktionen und Gruppen im Bundestag führen, in dem insgesamt acht Parteien vertreten sind. Es ist die Aufgabe des Bundespräsidenten zu prüfen, ob es andere Möglichkeiten gibt, eine stabile Regierung zu bilden. Das sei "gute Staatspraxis in Deutschland", sagte Steinmeier in einem am Wochenende veröffentlichten ARD-Interview. "Wir sollten jetzt nicht huddeln. Die Hektik der Tagespolitik und die Schlagzahl der Medien gibt jetzt nicht das weitere Verfahren vor, sondern die Verfassung und ihre Regeln."
Der Kanzler und seine Regierung bleiben derweil im Amt - und zwar im vollen Umfang und nicht nur geschäftsführend. Erst mit der Konstituierung des neuen Bundestags - spätestens 30 Tage nach der Wahl - endet laut Artikel 69 GG das Amt des Bundeskanzlers und seiner Minister. Wenn zu diesem Zeitpunkt die Verhandlungen über eine neue Regierungskoalition noch nicht abgeschlossen sind, kann der Bundespräsident die alte Regierung bitten, die Amtsgeschäfte bis zur Vereidigung der neuen weiterzuführen. Dazu ist sie verpflichtet.
Auch der Bundestag bleibt bis zum Zusammentritt des neuen Bundestags mit all seinen Rechten und Pflichten bestehen. Das Parlament kann jederzeit wieder zusammentreten, es kann weiter Gesetze beschließen, auch seine Gremien wie Untersuchungsausschüsse bestehen bis zum Ende der Wahlperiode fort. Dieses Ende ist mit dem ersten Zusammentreten des neu gewählten Bundestags erreicht.
Scholz wirbt auch für die Verabschiedung mehrerer Gesetzesvorhaben mit finanziellen Entlastungen noch vor Weihnachten. "Ein Schulterschluss der demokratischen Mitte in diesen wichtigen Fragen wäre ein starkes Zeichen", sagte der SPD-Politiker schon nach Einreichung seines Antrags auf Vertrauensfrage. Er appelliere an die Opposition: "Lassen Sie uns gemeinsam handeln im Interesse der Bürgerinnen und Bürger." Union und FDP wollen zumindest punktuell Gesetzen zustimmen, etwa wenn es darum geht, das Verfassungsgericht widerstandsfähiger gegen Einflussnahme und Blockade durch Verfassungsfeinde zu machen. Einem Gesetz zum Ausgleich der kalten Progression bei der Einkommensteuer und für mehr Kindergeld will zumindest die FDP zustimmen - es könnte dann aber im Bundesrat an den unionsgeführten Ländern scheitern. Auch ein Gesetz zur unterirdischen Speicherung klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) könnte noch kommen - hier haben Union und FDP beide Zustimmung signalisiert.