Schlagabtausch über Impfpflicht im Bundestag

Vor dem Hintergrund immer neuer Höchststände bei den Corona-Infektionen hat sich der Bundestag einen Schlagabtausch über eine mögliche Impfpflicht in Deutschland geliefert. Die Abgeordneten debattierten erstmals zwei Gesetzentwürfe und drei Anträge für oder gegen eine Impfpflicht. Mehrere Rednerinnen und Redner warnten vor neuen Freiheitseinschränkungen im Herbst ohne Impfpflicht. Andere wandten sich strikt gegen eine Pflicht.

Lauterbach stellt Ende der Pandemie in Aussicht

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte vor den Abgeordneten: "Wir können die Pandemie für Deutschland zum ersten Mal beenden mit der Impfpflicht. Wir stehen im Herbst an der gleichen Stelle wie jetzt, wenn wir diese einmalige Chance nicht gemeinsam ergreifen." Um das abzuwenden, braucht es laut Lauterbach eine Impfquote von deutlich über 90% bei Über-60-Jährigen und eine hohe Quote insgesamt. Derzeit sind 75,8% der Bevölkerung grundimmunisiert. 58,1% haben zusätzlich eine Auffrischimpfung. Bei den Über-60-Jährigen haben 78,3% Auffrischimpfungen bei 88,7% Grundimmunisierten.

Auch Habeck für Impfpflicht 

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte: "Die Menschen in diesem Land haben es satt. Bringen wir diese Pandemie endlich hinter uns, erledigen wir das Virus und kehren wir dann zur Freiheit zurück." Habeck mahnte: "Die Freiheitsinterpretation der wenigen darf nicht zur permanenten Freiheitseinschränkung der vielen führen." 

Stimmen gegen Impfpflicht

Deutlich wurden gegensätzliche Ansichten quer durch die Fraktionen. So wandte sich Tabea Rößner von den Grünen gegen eine Impfpflicht: "Viele haben Ängste, einige berichten von starken Impfreaktionen." Der Linken-Politiker Gregor Gysi sagte: "Bei Masern war ich dafür, weil das die Krankheit ausrottete, das schafft der Impfstoff hier nicht." 30.000 Menschen pro Tag müssten überzeugt werden – das könne gelingen. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel rief die Befürworter auf, ihre Anträge zurückzuziehen: "Sie reiten ein totes Pferd, bitte steigen Sie ab." Eine Impfpflicht verletze Grundrechte.

Union wirbt für Impfregister

Der CDU-Abgeordnete Sepp Müller warb um Zustimmung für den Antrag der Union zum Aufbau eines Impfregisters. Dieser sei mehrheitsfähig. "Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Impfpflicht tot." In wütendem Stakkato forderte die jüngste Abgeordnete, Emilia Fester (Grüne), die Impfpflicht: "Nicht die Impfpflicht ist die Zumutung, sondern keine Impfpflicht ist die Zumutung." Der FDP-Abgeordneten Andrew Ullmann warb für den von ihm mitinitiierten Antrag als Kompromiss. "Unser Gesetzentwurf baut Brücken." Es dürfe in diesem Jahr nicht wieder zu einem Weihnachten mit Einschränkungen kommen, mahnte Ullmann.

Kompromissvorschlag: Zunächst verpflichtende Beratung

Der Entwurf von Ullmann und anderen sieht zunächst eine verpflichtende Beratung vor – und dann eine mögliche Impfpflicht ab 50. Bei dem weitestgehenden Entwurf für eine Impfpflicht ab 18 ist auch Beratung vorgesehen – die Impfpflicht würde ab 1. Oktober greifen und wäre bis Ende 2023 befristet. Der Antrag wird laut der SPD-Abgeordneten Heike Baehrens von 237 Abgeordneten aus vier Fraktionen unterstützt.

Oder Impfpflicht nur für bestimmte Gruppen?

CDU und CSU machen als Fraktion den Vorschlag, ein Impfregister aufzubauen – nach einem Stufenplan soll eine Impfpflicht für bestimmte besonders gefährdete Bevölkerungs- und Berufsgruppen kommen können. Einen Antrag gegen die Einführung einer Impfpflicht hat eine Abgeordnetengruppe um FDP-Vize Wolfgang Kubicki eingebracht. Auch die AfD hat einen Antrag gegen die Impfpflicht eingebracht.

Abstimmung ohne Fraktionsdisziplin

Vorgesehen ist eine Abstimmung ohne die sonst übliche Fraktionsdisziplin. Sie ist in drei Wochen geplant. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) war immer wieder vorgeworfen worden, seine Koalition bringe keine eigene Mehrheit zustande. Parallel zur Debatte verwies er auf Twitter auf seine bekannte persönliche Position: "Ich bin für eine zeitlich befristete allgemeine Impfnachweispflicht", so Scholz. "Wir alle haben jetzt lange auf vieles verzichtet."

Neue Corona-Rekorde - Streit um Corona-Auflagen

Bei der Corona-Ausbreitung gab es einen neuen Höchststand von 294.931 gemeldeten Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden. Die Sieben-Tage-Inzidenz stieg auf einen Rekord von 1.651,4 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen. 278 Menschen starben binnen eines Tages mit Corona. Vor einer Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) zu den Folgen des Ukrainekriegs und zum Coronakurs kritisierte der MPK-Vorsitzende, Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst (CDU), die Lockerungspläne des Bundes. So sei die geplante Hotspot-Regelung nicht gerichtsfest. "Da werden wir uns alle schön vor den Gerichten wiedersehen, weil das alles sehr unbestimmt, sehr Wischiwaschi ist", sagte Wüst in der ARD. Die MPK tagte am Nachmittag.

Kaum bundesweite Schutzmaßnahmen mehr

Die meisten bundesweiten Schutzmaßnahmen sollen nach dem Plan der Ampelregierung am Samstag auslaufen. Bestehen bleiben soll ein weit schmalerer Basisschutz. Die Länder haben eine Übergangszeit bis 2. April. Spätestens dann sollen ihnen weitergehende Corona-Auflagen nur nach Landtagsbeschluss in Hotspots möglich sein.

Abstimmung in Bundestag und Bundesrat am Freitag

FDP-Chef Christian Lindner verteidigte die Pläne. "Es ist ein Schritt in Richtung Normalität, und ich sage, den brauchen wir auch", sagte Lindner in der ARD. Der entsprechende Gesetzentwurf von Lauterbach und Justizminister Marco Buschmann (FDP) soll an diesem Freitag in Bundestag und Bundesrat beschlossen werden.

Redaktion beck-aktuell, Basil Wegener, Sascha Meyer und Jörg Ratzsch, 17. März 2022 (dpa).

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