Sachverständige kritisieren GKV-Finanzstabilisierungsgesetz

Die von der Bundesregierung geplante Finanzreform zur Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) stößt bei Sachverständigen auf Kritik. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses deutlich. Kritisiert wurde insbesondere, dass die Reform nicht zu einer Konsolidierung der GKV-Finanzen führe, sondern die finanzielle Stabilität der GKV vielmehr fundamental gefährde und das geplante Maßnahmenpaket eine gravierende Unwucht zu Lasten der Beitragszahlenden aufweise.

Höherer Bundeszuschuss, höhere Beiträge und Einsparungen

Der Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds soll für 2023 um zwei Milliarden Euro auf 16,5 Milliarden Euro erhöht werden. Ferner will der Bund der GKV ein unverzinsliches Darlehen in Höhe von einer Milliarde Euro gewähren. Vorgesehen ist auch, die Liquiditätsreserven der Gesetzlichen Krankenkassen weiter abzuschmelzen. Zugleich soll die Obergrenze für die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds halbiert werden. Als Beitrag zu den Sparmaßnahmen soll die extrabudgetäre Vergütung vertragsärztlicher Leistungen bei sogenannten Neupatienten abgeschafft werden. Auch ist für 2023 ein um fünf Prozentpunkte erhöhter Herstellerabschlag insbesondere für patentgeschützte Arzneimittel eingeplant. Leistungskürzungen soll es nach Angaben der Regierung aber nicht geben.

Verbände sehen Nachbesserungsbedarf

Aus Sicht des AOK-Bundesverbandes und des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen wird die Reform nicht zu einer Konsolidierung der GKV-Finanzen führen. Es handele sich lediglich um "kurzfristige Notmaßnahmen". Zu kritisieren sei auch, dass nach derzeitiger Ausgestaltung die Versichertengemeinschaft mit bereits erbrachten oder künftig deutlich erhöhten Beitragszahlungen die Hauptlast tragen solle. Der Dachverband der Betriebskrankenkassen hält die Maßnahmen für "unausgewogen und stückhaft". Sie wären nicht nötig, wenn die Beiträge für Bezieher von Arbeitslosengeld II aus Steuermitteln finanziert würden, es eine regelhafte Dynamisierung des Bundeszuschusses zur GKV gäbe und eine Absenkung des Mehrwertsteuersatzes auf Arzneimittel auf  7%, "wie in anderen europäischen Ländern längst üblich", erfolgen würde.

Fachkräftemangel befürchtet

Der Vertreter der Deutschen Krankenhausgesellschaft betonte, dass die Krankenhäuser von der nicht nachhaltigen Vorgehensweise der Bundesregierung in vielfacher Hinsicht schmerzhaft betroffen seien. Wenn – wie im Entwurf vorgesehen – ab 2024 nur noch die Pflegepersonalkosten qualifizierter Pflegekräfte, die in der unmittelbaren Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen eingesetzt werden, im Pflegebudget berücksichtigt werden können, konterkariere dies das Ziel einer verbesserten "Pflege am Bett" und verschärfe den Fachkräftemangel. Sollten Hebammen wie geplant nicht mehr in das Pflegebudget gehören, werde die Finanzierung ihrer Stellen für die Kliniken fast unmöglich gemacht, kritisierte der Deutsche Hebammen-Verband. Auf Wochenbettstationen und für die Betreuung von Risikoschwangeren müssten dann reguläre Pflegekräfte eingesetzt werden, die dafür nicht ausgebildet seien und an anderer Stelle benötigt würden.

Lob und Kritik für Absenkung der Umsatzschwelle für "Orphan Drugs"

Gegen die geplante Absenkung der Umsatzschwelle für sogenannte Orphan Drugs (Medikamente zur Behandlung seltener Krankheiten) bei der Nutzenbewertung von derzeit 50 Millionen Euro auf 20 Millionen Euro sprach sich der Verband der forschenden Pharmaunternehmen aus. Dies sei nicht sachgerecht, sondern gefährlich. Die gute Versorgung der Patienten im Bereich seltener Erkrankungen werde durch diese und die weiteren im Gesetzentwurf für Orphan Drugs geplanten Maßnahmen aufs Spiel gesetzt. Anders bewertete das der Gemeinsame Bundesausschuss, der diese Maßnahme begrüßte. Sie diene der Dämpfung der Arzneimittelausgaben, ohne den Zugang innovativer Arzneimittel in den Markt zu behindern oder die Patientenversorgung zu gefährden, hieß es.

Wegfall der Neupatientenregelung stößt auf Ablehnung

Auf Ablehnung beim Spitzenverband Fachärzte Deutschland stieß die beabsichtigte Streichung der extrabudgetären Vergütung "und damit die Abschaffung einer kostendeckenden Vergütung für gegenüber Neupatienten erbrachten fachärztlichen Leistungen". Die Streichung der erst 2019 eingeführten Vergütung stelle einen politisch schwerwiegenden Vertrauensbruch dar. Auch aus Sicht der Kassenärztlichen Bundesvereinigung wird der Wegfall der Neupatientenregelung "negative Auswirkungen für die Versorgung der Patienten mit sich bringen".

Steigende Preise stellen ein Problem dar

Der Einzelsachverständige Michael Strobach vom Verband der privaten Krankenkassen-Anstalten in Bayern verwies auf die aus seiner Sicht existenzbedrohende Situation im Rehabilitationsbereich angesichts gesunkener Erlöse und inflationsbedingt steigender Kosten. Strobach forderte einen pauschalen Energiekosten- und Inflationszuschlag in Höhe von 10% auf den Tagespflegesatz. Nach Ansicht des Deutschen Caritasverbandes sorgen die steigenden Preise bei allen sozialen Leistungen für "exorbitante Kostensteigerungen". Das von der Bundesregierung geplante Heizkostenzuschussgesetz reiche nicht, weil es sich nur auf künftige Preisverhandlungen beziehe. Benötigt werde aber eine Regelung, "die auch retrospektiv wirkt".

Apotheker-Bundesvereinigung wehrt sich gegen Belastung durch Sparmaßnahmen

Kritik gab es auch von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Apotheken seien keinesfalls als Kostentreiber zu sehen, hieß es. Ihr Anteil an den GKV-Gesamtausgaben sei in den letzten 20 Jahren vielmehr von 3% auf 1,9% gesunken. Es gebe keinerlei Begründung dafür, dass sie trotzdem durch Sparmaßnahmen massiv belastet werden sollen.

Redaktion beck-aktuell, 29. September 2022.