Russland: Kremlgegner Nawalny in Haft gestorben

Einer der bekanntesten Gegner des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Alexej Nawalny, ist nach Justizangaben in einem russischen Straflager jenseits des Polarkreises gestorben. Der 47-Jährige sei am Freitag nach einem Hofgang zusammengebrochen, teilte die Gefängnisverwaltung im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen offiziell mit.

Wiederbelebungsversuche von Sanitätern hätten keinen Erfolg gehabt. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte, Präsident Wladimir Putin sei in Kenntnis gesetzt worden. Weitere Details nannte er zunächst nicht. Putin selbst ging bei Wahlkampfauftritten nicht auf das Thema ein. Nawalnys Team erklärte, es habe bislang keine Bestätigung für den Tod des Oppositionellen erhalten. Sein Anwalt Leonid Solowjow sagte der kremlkritischen Zeitung "Nowaja Gaseta": "Auf Entscheidung von Alexej Nawalnys Familie kommentiere ich überhaupt nichts." Die russische Strafvollzugsbehörde teilte mit, sie entsende eine Kommission in das Lager, um den Tod zu untersuchen. Auch das Staatliche Ermittlungskomitee leitete ein Verfahren ein.

Nawalny ist unter anderem wegen angeblichem "Extremismus" zu insgesamt 19 Jahren Lagerhaft verurteilt worden. International jedoch wird der Politiker, der 2020 nur knapp einen Mordanschlag mit dem Nervengift Nowitschok überlebte, als politischer Gefangener eingestuft. Menschenrechtsorganisationen fordern seit langem Nawalnys Freilassung. Nachdem er sich in Deutschland von den Folgen des Giftanschlags erholt hatte, kehrte Nawalny am 17. Januar 2021 nach Russland zurück – und wurde noch am Flughafen verhaftet. Schon im vergangenen Dezember war er über mehrere Wochen verschwunden. Im Nachhinein erwies sich, dass die Justiz ihn aus dem europäischen Teil Russlands in ein Straflager im hohen Norden Sibiriens verlegt hat. Nawalny vermutete, dass er dort vor der anstehenden Präsidentenwahl im März möglichst isoliert werden sollte.

Nawalny führte immer wieder Klagen gegen den Strafvollzug wegen Verletzung seiner Rechte. Er nutzte die Gerichtsauftritte nicht zuletzt zur beißenden Kritik an Putins autoritärem System und Moskaus Krieg gegen die Ukraine. Zuletzt wurde Nawalny mit Beginn des Wahlkampfes zu den Verhandlungen nicht mehr zugeschaltet. Nawalny wurde international als politischer Gefangener anerkannt. Die USA, die EU sowie die Bundesregierung hatten sich in den vergangenen Wochen immer wieder besorgt gezeigt und die russische Führung aufgefordert, über Nawalnys Verbleib zu informieren. Russland wies dies aber als Einmischung in seine inneren Angelegenheiten zurück. Der Kreml teilte auch mit, dass er sich nicht um das Schicksal von Gefangenen in Russland kümmern könne.

Nach seinem Jura-Abschluss im Jahr 1998 arbeitete Nawalny als Jurist für verschiedene russische Unternehmen. Im Jahr 2009 erhielt er seine Zulassung als Rechtsanwalt. Nach einem Urteil im Jahr 2013 wurde ihm die Zulassung von der Rechtsanwaltskammer der Stadt Moskau entzogen.

Bestürzung bei Bürgern und Politikern

Der Tod des Oppositionspolitikers löste in vielen Ländern Bestürzung aus. Politiker warfen Putin und dem russischen Justizsystem einen politischen Mord vor. In Moskau legten Anhänger Nawalnys Blumen an einem Denkmal für die Opfer politischer Repression nieder. In Berlin zogen einzelne Demonstranten vor die russische Botschaft. Bundeskanzler Olaf Scholz reagierte entsetzt. "Wir wissen aber nun auch ganz genau, spätestens, was das für ein Regime ist", sagte der SPD-Politiker. Scholz erinnerte bei einer Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj daran, wie er Nawalny in Berlin getroffen habe, als dieser sich 2020 in Deutschland von dem Giftanschlag erholt habe. Dabei habe er mit Nawalny auch über den Mut geredet, den es erfordere, wieder zurückzugehen in das Land. Scholz: "Und wahrscheinlich hat er diesen Mut jetzt bezahlt mit seinem Leben."

Selenskyj, dessen Land von Russland mit Krieg überzogen wird, sagte: "Es ist für mich offensichtlich: Er wurde getötet. Wie andere Tausende, die zu Tode gequält wurden wegen dieses einen Menschen." Putin sollte dafür zur Verantwortung gezogen werden. Die US-Regierung nannte den Tod des russischen Oppositionspolitikers eine "schreckliche Tragödie". Der Sicherheitsberater von Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, sagte im Gespräch mit dem Radiosender NPR, dass Washington noch keine eigene Bestätigung für den Tod habe und sich daher mit Kommentaren zurückhalte. "Angesichts der langen und schmutzigen Geschichte der russischen Regierung, ihren Gegnern Schaden zuzufügen, wirft dies reale und offensichtliche Fragen darüber auf, was hier passiert ist", sagte Sullivan.

Bei der Münchner Sicherheitskonferenz rief Nawalnys Frau Julia die Weltgemeinschaft auf, gegen Putin und sein Regime zusammenzustehen und es zu besiegen. "Dieses Regime und Wladimir Putin persönlich sollten zur Verantwortung gezogen werden für all diese Gräueltaten, die sie in den letzten Jahren in meinem Land, in unserem Land Russland verübt haben", sagte Nawalnaja. Eine eigene Bestätigung für den Tod ihres Mannes habe sie nicht. Sie riet zu Skepsis gegenüber den Moskauer Angaben.

"Ich denke, das war ein Unglück. So etwas kommt vor", sagte der Abgeordnete Wladimir Dschabarow einem Moskauer Radiosender. Der prominente kremlnahe Politiker Sergej Mironow behauptete: "Der Westen steht dahinter." Einen Nutzen hätten nur die Feinde Russlands, sagte der Chef der Parlamentsfraktion der Partei Gerechtes Russland. Die Umstände des Todes müssten aufgeklärt werden. Jeder könne aber selbst Schlüsse daraus ziehen, dass Nawalny ausgerechnet jetzt sterbe, da sich im Ukraine-Konflikt die Chance von Verhandlungen zwischen dem Westen und Russland auftue.

"Ich habe mein Land und meine Überzeugungen"

Nawalny hatte eine lange Geschichte als Kremlgegner hinter sich, in der er anfangs auch den Schulterschluss mit Nationalisten suchte. Mit seinem Fonds zur Bekämpfung der Korruption veröffentlichte er Videos, in denen er Fälle von Bereicherung und Bestechlichkeit russischer Politiker auf sarkastische Weise anprangerte. Er entwarf viele Kampagnen, um die Politik der autoritären Führung zu unterlaufen, mobilisierte gerade junge Menschen in Russland. Er hoffte immer darauf, selbst als Präsident kandidieren zu können.

Die russische Justiz überzog ihn dagegen immer wieder mit Verfahren. Nawalny wurde wegen angeblichen Betrugs, aber auch unter dem Vorwurf des Extremismus zu insgesamt 19 Jahren Lagerhaft verurteilt. Wegen angeblicher Verstöße gegen die Lagerordnung wurde er immer wieder in Isolationshaft gesteckt. Dies könnte seine Gesundheit verschlechtert haben, sagte Dmitri Muratow, der frühere Chefredakteur der "Nowaja Gaseta". Zuletzt war Nawalny am Donnerstag per Video zu einem Prozess zugeschaltet worden und habe dort den Umständen entsprechend noch "fröhlich, gesund und munter" gewirkt, schrieben die Journalisten des Kanals "Sota" am Freitag auf Telegram.

"Ich habe mein Land und meine Überzeugungen", hatte Nawalny im Januar drei Jahre nach seiner Rückkehr nach Russland auf X geschrieben. Wer in Russland dafür einstehen wolle, müsse notfalls bereit sein, in Einzelhaft zu sitzen. "Natürlich bin ich nicht gerne dort. Aber ich werde weder meine Ideen noch meine Heimat aufgeben."

Redaktion beck-aktuell, ew, 16. Februar 2024 (dpa).