Robert Servatius: Der Anwalt, dem die Nazis vertrauten
Servatius während einer Pressekonferenz nach seinem ersten Treffen mit Adolf Eichmann / © dpa | DB UPI

NS-Zwangsarbeitsdiktator Fritz Sauckel, Hitlers Leibarzt Karl Brandt oder den Holocaust-Logistiker Adolf Eichmann – Robert Servatius vertrat eine Vielzahl von NS-Funktionären. Sebastian Felz hat Dirk Stolpers Lebensgeschichte des Kölner Rechtsanwalts gelesen.

Es war ein Jahrhundertprozess. Vor dem Jerusalemer Bezirksgericht klagte 1961 Generalstaatsanwalt Gideon Hauser den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann an. Die Anklage umfasste 15 Punkte, von "Verbrechen gegen das jüdische Volk" über Kriegs- und Menschlichkeitsverbrechen bis hin zur Mitgliedschaft in verbrecherischen Organisationen. Hauptanklagepunkt war Eichmanns Mitwirkung am Holocaust. Eichmann hatte in der NS-Zeit im Reichssicherheitshauptamt das Referat IVB4 geleitet und war dort für die Deportationen der europäischen Juden in die deutschen Vernichtungslager zuständig gewesen. Nun stand eine Schlüsselfigur des "SS-Staates" in Israel vor Gericht.

In Bonn herrschte indes blanke Panik: Würde der Prozess dem Ansehen der Bundesrepublik in der Welt schaden? Auch die Rolle des Verteidigers von Adolf Eichmann war damit eine eminent politische. Wer sollte und wollte dieses Mandat übernehmen? Vielleicht jemand, der schon in einem anderen Jahrhundertprozess – dem Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess – als Verteidiger aufgetreten war? Die Wahl fiel am Ende auf den Kölner Rechtsanwalt Robert Servatius.

Die Finanzierung der Eichmann-Verteidigung: Ein Projekt des BND und alter Nazis

Dessen Werdegang ist der Historiker Dirk Stolper in ausführlichen Archivrecherchen in Deutschland, Israel, den USA und Großbritannien nachgegangen. Insbesondere eine Quelle hat er ausgewertet, nämlich 1.300 unveröffentlichte autobiographische Aufzeichnungen des Eichmann-Verteidigers. Auch Briefe an den Rechtsanwalt oder die Presseberichterstattung über die Prozessauftritte von Servatius hat er analysiert. Stolper konnte so unter anderem zeigen, wie ein Informant des BND den Kontakt zwischen Eichmann und seinem späteren Verteidiger Servatius einfädelte.

Nachdem die "Rechtsschutzstelle" des Auswärtigen Amtes aufgrund der negativen Presseberichterstattung die Finanzierung der Eichmann-Verteidigung ausgeschlossen hatte, gingen die Mittelsmänner des BND damals ungewöhnliche Wege. Sie versuchten, in Kairo die israelfeindliche Militärregierung zur Finanzierung des Rechtsbeistandes Eichmanns zu überzeugen. Die Finanzierung von Servatius wurde schließlich durch weitere Veröffentlichungen Eichmanns sowie vom BND finanziert. Das Mandat Eichmann brachte Servatius Geld vom BND (5.000 DM), dem Staat Israel (20.000 Dollar) und 50.000 DM durch die Verwertung von Schriften des Angeklagten. Doch der BND steuerte Servatius nicht nur finanziell, auch sein Assistent im Eichmann-Prozess war Zuträger des BND.

Von Sauckel bis Eichmann: Robert Servatius als Anwalt hochrangiger Nazis

Woher rührte der gute Ruf von Robert Servatius in alten NS-Seilschaften und Geheimdienstkreisen? Servatius hatte, als er das Mandat Eichmann übernahm, schon eine Vielzahl von ehemaligen Nationalsozialisten verteidigt. Angefangen im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess, wo er neben Fritz Sauckel, einem Hauptverantwortlichen für den Zwangsarbeitereinsatz, auch die Gruppe der "Politischen Leiter" verteidigte, übernahm er in den Nürnberger Nachfolgeprozessen auch die Verteidigung von Hitlers Leibarzt Karl Brandt, der sich im Ärzteprozess wegen Euthanasieverbrechen verantworten musste, sowie im "Wilhelmstraßenprozess" das Mandat von Paul Pleiger. Der war Vorstandsvorsitzender der Hermann-Göring-Werke und Reichsbeauftragter für Kohle im Dritten Reich gewesen. Servatius verteidigte Gestapo-Beamte in Luxemburg, den ehemaligen Gauleiter Kölns sowie den Reichskommissar für Belgien und Nordfrankreich, Josef Grohé, außerdem Polizisten, SS-Männer und NS-Verwaltungsbeamte.

Von Köln über Nürnberg nach Jerusalem: Der Weg des Robert Servatius

Servatius wurde 1894 in Köln geboren. Direkt nach dem Abitur kämpfte er ab 1916 im Ersten Weltkrieg, studierte anschließend in München, Bonn, Berlin und Marburg Rechtswissenschaften. Er wurde bei Albert Hensel in Bonn mit einer steuerrechtlichen Arbeit promoviert. In den 20er-Jahren belegte er Englischkurse in London und interessierte sich auch für das Russische und die UdSSR. Die Sowjetunion war damals ein wichtiger Handelspartner des Deutschen Reiches. 1934 reiste er unter anderem nach Moskau, wo er wohl auf Mandate hoffte. Nach seiner Rückkehr sah er sich indes Untersuchungen der Gestapo ausgesetzt, die aufgrund der Denunziation seines Sprachlehrers eingeleitet worden waren: Servatius sei Kommunist. Diesen Vorwurf konnte er entkräften, allerdings sollen die Rechtsanwaltskammer Köln und der NS-Juristenbund dafür gesorgt haben, dass Servatius nicht vor Sondergerichten auftreten durfte und keine Pflichtverteidigungen übertragen bekam.

Servatius war im Dritten Reich einzig Mitglied des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes. Ab 1939 kämpfte er in der Wehrmacht – ob er an Kriegsverbrechen und am Holocaust beteiligt war, wie es ihm während des Eichmann-Prozesses vereinzelt vorgeworfen wurde, lässt sich heute nicht archivalisch erhärten. Nach Kriegsende soll er auf einem Kohlezug nach Nürnberg gereist sein, um sich dort den Amerikanern als Verteidiger zur Verfügung zu stellen.

"Er hatte das Unglück, einer unmenschlichen Regierung verpflichtet zu sein"

Welche Verteidigungsstrategien verfolgte Servatius als Nazi-Vertreter? Servatius übernahm die allgemeinen Argumente des "nulla poena sine lege", des Befehlsnotstandes sowie, dass Individuen nicht für Staatsakte verantwortlich gemacht werden könnten. Bei Fritz Sauckel versuchte er, eine Ausweitung des Requisitionenrechts aus Artikel 52 der Haager Landkriegsordnung in Anschlag zu bringen und die Sklavenarbeit als Dienstleistungen für die Bedürfnisse des Besatzungsheeres zu rechtfertigen. Außerdem habe der Abtransport der "Fremdarbeiter" Gefährdungen durch Partisanen minimieren sollen. Außerdem griff er mit "tu-quoque"-Konstruktionen die Kriegsführung der Alliierten mit Bombardierungen, Atomwaffeneinsatz sowie Deportationen an. Schließlich verfolgte auch Servatius das "blame game", den toten Nazi-Größen Himmler, Goebbels oder Thierack die alleinige Schuld für Verbrechen zuzuschieben. 

Im Verfahren gegen die politischen Leiter der NSDAP versuchte er, den Personenkreis von de facto rund 600.000 auf angeblich 2,5 Millionen leitende Parteifunktionäre auszuweiten und führte das Verbot einer Kollektivbestrafung nach Art. 50 Haager Landkriegsordnung an. Im Hinblick auf die Euthanasie-Morde von Hitlers Leibarzt Karl Brandt führte er an, dieser habe aus Mitleid für die "Geisteskranken" getötet. Den Vorstandsvorsitzenden der Hermann-Göring-Werke und Reichsbeauftragten für Kohle, Paul Pleiger, verteidigte er mit dem Hinweis, dass das Industriekonglomerat kein Rüstungskonzern, sondern ein normales gewinnorientiertes Unternehmen gewesen sei, in dem nur Göring das Sagen gehabt habe und der Einsatz von "Fremdarbeitern" auf Initiative von lokalen Führungskräften ausgegangen sei. Im Eichmann-Prozess erklärte Servatius, das Gericht sei gar nicht zuständig, die Richter befangen und das israelische "Naziverbrechergesetz" sei völkerrechtswidrig. Er zog sich außerdem auf die Act-of-State-Doctrine zurück: "Er hatte das Unglück, einer unmenschlichen Regierung verpflichtet zu sein".

"Kampf gegen Nürnberg" an der "juristischen Front"

Seit der bahnbrechenden Studie Hubert Seligers über die "Politischen Anwälte" in den Nürnberger Prozessen sind die damaligen Rechtsbeistände Objekte der historischen Forschung geworden. 

Mit Robert Servatius hat Dirk Stolper einen der wichtigsten dieser Advokaten aus verschiedenen Perspektiven untersucht. Er porträtiert einen Rechtsanwalt, dem es um Geld, Prestige und den "Kampf gegen Nürnberg" ging, und zwar an "der juristischen Front". Damit hat er ein eindrucksvolles Servatius-Lebensbild und ein umfassendes historisches Panorama gezeichnet. Robert Servatius war – horrible dictu – ein deutscher Jahrhundertanwalt. 

Dirk Stolper, Eichmanns Anwalt. Robert Servatius als Verteidiger in NS-Verfahren, Frankfurt a. M./New York 2025, Campus, 498 Seiten, gebundene Ausgabe, ISBN 978-3-593-517113-1, 49 €.

Der Autor Dr. Sebastian Felz ist Mitglied des Vorstandes des "Forum Justizgeschichte".

Gastbeitrag von Dr. Sebastian Felz, 14. Juli 2025.

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