Viele Positionen auch nach erstem Rechtsstaatspakt nicht besetzt
Mit dem 2019 vereinbarten ersten Bund-Länder-Pakt für den Rechtsstaat sei es zwar gelungen, im Zeitraum 2017 bis 2021 mehr als 2.500 neue Stellen für Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zu schaffen. Bei aller Freude über diesen Erfolg hätte der Pakt sein Ziel aber verfehlt, die Justiz überall zu 100% des von den Ländern festgestellten Personalbedarfs auszustatten. Fehlten zum Zeitpunkt des Abschlusses des ersten Rechtsstaatspakts bundesweit rund 2.000 Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, wiesen die aktuellen Zahlen noch immer mindestens 1.500 fehlende Stellen aus. Auch bei der Amtsanwaltschaft, im Rechtspflegebereich, beim Geschäftsstellenpersonal und insbesondere bei IT-Fachkräften sei die Lage sehr angespannt. Unter dem Strich fehlten über alle Berufsgruppen hinweg einige Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Justiz, so der DRB.
Stellenzuwächse durch neue gesetzliche Aufgaben wieder aufgezehrt
Die Entlastungseffekte des ersten Pakts sind nach Mitteilung des DRB überschaubar geblieben, weil zahlreiche neue gesetzliche Aufgaben die Stellenzuwächse weitgehend wieder aufgezehrt hätten. Dabei brauche es in den kommenden vier bis fünf Jahren sogar Neueinstellungen über den aktuellen Personalbedarf hinaus, um eine bis 2030 steil ansteigende Pensionierungswelle abzuflachen, mit der sich allein in den ostdeutschen Ländern bis zu zwei Drittel aller Beschäftigten in den Ruhestand verabschieden, warnt der DRB.
DRN: Umfangreiches Investitionspaket erforderlich
"Die Ampel-Koalition im Bund muss den im Koalitionsvertrag versprochenen Rechtsstaats- und Digitalpakt jetzt zügig mit den Ländern vereinbaren", betonte DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn. Mehr als ein halbes Jahr nach Amtsantritt habe die Bundesregierung noch immer keine konkreten Ideen vorgelegt, wie sie einen Bund-Länder-Pakt 2.0 ausgestalten will. Das sorge in der Justiz für Irritationen. Angesichts erheblicher Personalprobleme und großer Digitalisierungsaufgaben brauche es ein umfangreiches Investitionspaket für die Justiz mit einer substanziellen Co-Finanzierung des Bundes mindestens für die kommenden fünf Jahre, so Rebehn.
Zivilgerichte überlastet – Lösung für "gleichförmige Fließbandklagen" gefordert
Rund 37.500 neue Dieselverfahren hätten 2021 allein die 24 Oberlandesgerichte erreicht, auch viele Landgerichte meldeten hohe Zahlen an. Auch Klagen früherer Wirecard-Aktionäre häuften sich. In mehr als 20.000 Fällen lägen bereits Rechtsschutzzusagen für diese Verfahren vor, so der DRB. Daneben beschäftigten Streitigkeiten etwa um Widerrufe von Verbraucherdarlehen oder wegen Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung zunehmend die Gerichte. Bei den Amtsgerichten seien 2021 zudem bundesweit 58.000 Klagen von Flugpassagieren wegen verspäteter oder ausgefallener Flüge aufgelaufen. "Die Ampel-Koalition muss hier dringend Abhilfe schaffen und das Zivilprozessrecht durch flexiblere Vorschriften an die neue Realität der gleichförmigen Fließbandklagen anpassen, mit denen Anwaltskanzleien und Inkassodienstleister die Gerichte überhäufen", mahnt DRB-Bundesgeschäftsführer Rebehn.
Immer wieder Entlassungen aus Untersuchungshaft wegen Verletzung des Beschleunigungsgebots
Die Strafjustiz habe nach Recherchen der Deutschen Richterzeitung im Jahr 2021 bundesweit mindestens 66 Tatverdächtige aus der Untersuchungshaft entlassen, weil deren Strafverfahren zu lange gedauert haben. Die Zahl sei im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegen. Im Jahr 2020 hätten die Justizverwaltungen der Länder 40 Fälle gemeldet. In den zurückliegenden fünf Jahren seien damit fast 300 Tatverdächtige wegen Verletzung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen wieder aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Mehr Fälle als 2021 hätten die Länder nur 2019 gemeldet, als es 69 Haftentlassungen waren. Erst in der vergangenen Woche habe das Oberlandesgericht Frankfurt am Main sechs Angeschuldigte aus der Untersuchungshaft entlassen. "Es fehlt nach wie vor vielerorts deutlich an Staatsanwälten und Strafrichtern, sodass die Strafjustiz selbst vorrangige Haftsachen nicht immer mit der rechtsstaatlich gebotenen Beschleunigung erledigen kann", betont Rebehn. Hinzu komme, dass viele Strafverfahren immer aufwendiger würden, weil zum Beispiel die auszuwertenden Datenmengen durch die Digitalisierung sprunghaft stiegen, so der DRB-Bundesgeschäftsführer.