Rich­ter ohne Roben - Kom­mu­nen su­chen bun­des­weit neue Schöf­fen

Neben Be­rufs­rich­tern sit­zen oft Schöf­fen. Sie ent­schei­den "im Namen des Vol­kes" gleich­be­rech­tigt über Schuld und Stra­fe. Die Lai­en­rich­ter ken­nen die Akten nicht, be­kom­men aber tiefe Ein­bli­cke in mensch­li­che Ab­grün­de. Mit­un­ter über­stim­men sie sogar ihre Vor­sit­zen­den. Die Kom­mu­nen su­chen der­zeit neue Eh­ren­amt­li­che für ihre Vor­schlags­lis­ten, aus denen Schöf­fen­wahl­aus­schüs­se an Ge­rich­ten dann die Lai­en­rich­ter aus­wäh­len.

An die 100.000 eh­ren­amt­li­che Rich­ter in Deutsch­land

In Deutsch­land gibt es nach Aus­kunft des Bun­des­ver­bands eh­ren­amt­li­cher Rich­ter, der Deut­schen Ver­ei­ni­gung der Schöf­fin­nen und Schöf­fen (DVS), rund 100.000 eh­ren­amt­li­che Rich­ter. Etwa 60.000 von ihnen sind Amts- und Land­ge­rich­ten zu­ge­teilt, dar­un­ter rund 20.000 als Hilfs­schöf­fen, die nur als Er­satz ein­sprin­gen. An­de­re Lai­en­rich­ter kom­men an Ver­wal­tungs-, Han­dels-, Ar­beits- und So­zi­al­ge­rich­ten zum Ein­satz. Ein klei­ner Teil ist an Fi­nanz- und Land­wirt­schafts­ge­rich­ten tätig.

Schöf­fen wider Wil­len mög­lich

"In Gro­ß­städ­ten wie Mag­de­burg, Er­furt und Dres­den gibt es Pro­ble­me, genug Leute zu fin­den“, weiß der DVS-Vor­sit­zen­de An­dre­as Höhne im thü­rin­gi­schen Greu­ßen. Dann könn­ten auch Kan­di­da­ten zu­fäl­lig aus­ge­wählt und teils gegen ihren Wil­len zum Schöf­fen ge­kürt wer­den: "Das ist ihrer Mo­ti­va­ti­on na­tür­lich nicht zu­träg­lich.“ Be­wer­ben kann sich jeder deut­sche Staats­bür­ger zwi­schen 25 und 69 Jah­ren, der Deutsch spricht. Es gibt aber Ein­schrän­kun­gen: So schei­det etwa aus, wer schon ein­mal selbst zu mehr als sechs Mo­na­ten Haft ver­ur­teilt wor­den ist oder im Fokus von Er­mitt­lun­gen steht.

Ar­beit­ge­ber muss Schöf­fen von Ar­beit frei­stel­len

Schöf­fen wir­ken in der Regel an zwölf Ver­hand­lun­gen pro Jahr mit. Vor den Amts­ge­rich­ten dau­ern viele Pro­zes­se nur we­ni­ge Stun­den. "Ich hatte aber auch schon eine Kol­le­gin in Ros­tock, die 150 Tage in einem Ver­fah­ren wegen Wirt­schafts­kri­mi­na­li­tät vor dem Land­ge­richt ge­ses­sen hat“, be­rich­tet DVS-Chef Höhne, selbst Schöf­fe und haupt­be­ruf­lich für einen gro­ßen Au­to­zu­lie­fe­rer tätig. "Das ist aber die Aus­nah­me.“ Schöf­fen be­kom­men eine Er­stat­tung ihrer Fahrt­kos­ten, eine klei­ne Ent­schä­di­gung und ge­ge­be­nen­falls einen ge­de­ckel­ten Ver­dienst­aus­fall. Ar­beit­ge­ber sind ver­pflich­tet, Schöf­fen für Pro­zes­se frei­zu­stel­len. Nicht alle Un­ter­neh­men freut das.

Sch­öf­fen­tä­tig­keit nicht all­täg­lich

Ru­he­ständ­ler und Selbst­stän­di­ge haben es da leich­ter. So auch Tors­ten Schupp, Ko­blen­zer FDP-Frak­ti­ons­chef, selbst­stän­di­ger Fri­seur, DJ und Cam­ping­platz­be­trei­ber. Als Ju­gend­hilfs­schöf­fe hat der 47-Jäh­ri­ge wie bun­des­weit viele Kol­le­gen zu­nächst zur An­schau­ung ein Ge­fäng­nis be­sucht: "Da wur­den wir auch zwei Mi­nu­ten ein­ge­sperrt, um ein Ge­fühl für den tie­fen Ein­schnitt zu be­kom­men, wenn wir je­man­dem seine Frei­heit neh­men. Das hat mich be­ein­druckt." Schöf­fen dür­fen selbst An­ge­klag­te und Zeu­gen be­fra­gen. Viele flüs­tern al­ler­dings lie­ber dem Vor­sit­zen­den ihre Fra­gen zu.

Auch für Schöf­fen gilt das Be­rufs­ge­heim­nis

Ak­ten­ein­sicht be­kom­men Schöf­fen nicht - sie sol­len un­be­fan­gen ur­tei­len. Im­mer­hin kön­nen Schöf­fen nicht nur über schul­dig oder nicht schul­dig mit­ent­schei­den, son­dern auch über das Straf­maß. Dabei haben sie wie ein Be­rufs­rich­ter eine ei­ge­ne Stim­me. Im amts­ge­richt­li­chen Schöf­fen­ge­richt mit einem Be­rufs- und zwei Lai­en­rich­tern kön­nen Schöf­fen damit sogar den Vor­sit­zen­den über­stim­men. Clau­dia Göbel, Spre­che­rin des Land­ge­richts Ko­blenz, sagt mit Blick auf das Be­ra­tungs­ge­heim­nis: "Das darf nicht nach außen ge­tra­gen wer­den." Aber tat­säch­lich seien in Deutsch­land so schon Frei­sprü­che ent­ge­gen der Über­zeu­gung des Be­rufs­rich­ters ent­stan­den.

Rich­ter ohne Robe eine gute Kon­troll­in­stanz

"Einen Pro­zess als Schöf­fe zu er­le­ben ist etwas ganz an­de­res, als ihn in der Zei­tung zu lesen", sagt die 54-jäh­ri­ge Haus­frau und drei­fa­che Mut­ter Ute Bros­set­te. "Wir haben viel Re­spekt vor der Ur­teils­fin­dung, auch wir ent­schei­den über das Wohl und Wehe von An­ge­klag­ten.“ Eg­gert Pe­ters (71), Pro­fes­sor, In­ge­nieur und Phy­si­ker im Ru­he­stand, be­tont die Not­wen­dig­keit von Le­bens­er­fah­rung und Men­schen­kennt­nis dafür. Und die Ko­blen­zer Rich­te­rin Göbel sieht in ihren Kol­le­gen ohne Robe "eine gute Kon­troll­in­stanz. Man be­kommt da­durch als Rich­te­rin einen an­de­ren Input." Bis­lang habe sie keine ne­ga­ti­ven Er­fah­run­gen mit Schöf­fen ge­macht. "Das ist ein Quer­schnitt durch die die Ge­sell­schaft. Der Gro­ß­teil ist sich sei­ner Ver­ant­wor­tung be­wusst.“

Redaktion beck-aktuell, Jens Albes und Thomas Frey, 19. April 2018 (dpa).

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