Die Ver­fas­sungs­ge­rich­te vor Ver­fas­sungs­fein­den schüt­zen
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Die Pläne, das BVerfG vor einer Ent­mach­tung durch un­de­mo­kra­ti­sche Kräf­te zu schüt­zen, neh­men of­fen­bar Form an. Laut dem BMJ wer­den erste Ge­sprä­che ge­führt, die Jus­tiz­mi­nis­ter­kon­fe­renz prüft Maß­nah­men und nam­haf­te Staats­recht­ler mel­den sich zu Wort. 

 

Könn­te, was seit 2017 nicht wirk­lich vor­an­ging, jetzt plötz­lich ganz schnell gehen? Seit dem ver­gan­ge­nen Wo­chen­en­de nimmt die Dis­kus­si­on um mehr „Re­si­li­enz“ für das BVerfG ra­sant an Fahrt auf. Nach­dem sich zu­nächst Ver­tre­te­rin­nen und Ver­tre­ter der Bun­des­re­gie­rung dafür aus­spra­chen, „die Ver­fas­sungs­ge­richts­bar­keit re­si­li­en­ter zu ma­chen gegen Fein­de der De­mo­kra­tie“ (Ste­phan Tho­mae, FDP), zeig­te sich auch die Uni­ons­frak­ti­on in der Folge offen ge­gen­über mög­li­chen Grund­ge­setz­än­de­run­gen.

Auch ju­ris­ti­sche In­ter­es­sen­ver­tre­te­rin­nen und -ver­tre­ter si­gna­li­sie­ren Zu­stim­mung. Der Deut­sche An­walt­ver­ein (DAV) for­der­te am Diens­tag, die Jus­tiz müsse vor ge­ziel­ter Ent­mach­tung eben­so ge­schützt wer­den wie vor pas­si­ver Blo­cka­de. Die Neue Rich­ter­ver­ei­ni­gung (NRV) zog nach und er­in­ner­te an ihren „Stress­test“ vom März 2023, der Struk­tur­de­fi­zi­te im deut­schen Rechts­staat of­fen­bart habe. Die ge­leb­te Pra­xis, die dem BVerfG eine Un­ab­hän­gig­keit gibt, die viele Bür­ge­rin­nen und Bür­ger lange Jahre für selbst­ver­ständ­lich hiel­ten, ist nicht im Grund­ge­setz ge­re­gelt, son­dern ein­fach­ge­setz­lich weit­ge­hend im Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts­ge­setz, das durch ein­fa­che Mehr­hei­ten ge­än­dert wer­den kann.

Neu ist die Dis­kus­si­on nicht, schon in den 90-er Jah­ren des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts be­schäf­tig­ten sich Dis­ser­ta­tio­nen mit der Frage, wie man das BVerfG bes­ser ab­si­chern könn­te. Ge­führt wird die Dis­kus­si­on seit jeher weit­ge­hend be­zo­gen auf die Bun­des­ebe­ne, aber viele Lan­des­ver­fas­sungs­ge­rich­te sind ge­setz­lich nicht bes­ser ab­ge­si­chert als ihr Pen­dant in Karls­ru­he. Doch was bis vor we­ni­gen Jah­ren noch eher wie Glas­per­len­spie­le aus dem El­fen­bein­turm er­schien, wurde zeit­gleich in meh­re­ren Staa­ten über­all auf der Welt schnell Rea­li­tät. Die Jus­tiz­mi­nis­ter­kon­fe­renz hat daher auf ihrer Herbst­kon­fe­renz be­schlos­sen, zur Prü­fung von  Maß­nah­men eine Ar­beits­grup­pe ein­zu­rich­ten.

„Den Ver­fas­sungs­hü­ter be­hü­ten“: Eine alte ju­ris­ti­sche Dis­kus­si­on

Es braucht eine Zwei­drit­tel­mehr­heit in Bun­des­tag und Bun­des­rat für die Wahl der Rich­te­rin­nen und Rich­ter in Karls­ru­he. Ihre Amts­zeit be­trägt zwölf lange Jahre– eine Wie­der­wahl ist aus­ge­schlos­sen.

Das klingt gut. Und doch kon­sta­tie­ren Ex­per­tin­nen und Ex­per­ten, dass das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt stel­len­wei­se schlech­ter gegen po­ten­zi­el­le au­to­kra­ti­sche Ent­mach­tung ab­ge­si­chert sei als sein pol­ni­sches Pen­dant es war. Der „Jus­tiz­re­form“ im Nach­bar­land und der De­mon­ta­ge des mitt­ler­wei­le durch­weg mit von der PiS ein­ge­setz­ten Rich­te­rin­nen und Rich­tern be­setz­ten Ver­fas­sungs­ge­richts schaut Eu­ro­pa seit Jah­ren zu.  

„Wir haben es in Polen, Un­garn und auch den USA ge­se­hen: Wenn Au­to­kra­ten und Po­pu­lis­ten po­li­ti­sche Mehr­hei­ten er­rin­gen, we­cken ins­be­son­de­re die Be­set­zung und die Be­fug­nis­se der Ver­fas­sungs­ge­rich­te schnell Be­gehr­lich­kei­ten“, sagte DAV-Vi­ze­prä­si­dent Ul­rich Kar­pen­stein am Diens­tag in Ber­lin. Seit 2017 dis­ku­tie­ren deut­sche Ver­fas­sungs­recht­le­rin­nen und Ver­fas­sungs­recht­ler  auf Fach­ver­an­stal­tun­gen, in Sym­po­si­en und Fach­zeit­schrif­ten dar­über, ob und wie das höchs­te deut­sche Ge­richt ge­si­chert wer­den könn­te gegen un­de­mo­kra­ti­sche Stür­me. Kar­pen­stein, der auch Mit­her­aus­ge­ber der Neuen Ju­ris­ti­schen Wo­chen­schrift ist, rief be­reits im Jahr 2019 in einem NJW-Edi­to­ri­al dazu auf, „den Ver­fas­sungs­hü­ter zu be­hü­ten“.

Doch nun wird es vi­ru­lent. Auf der Jus­tiz­mi­nis­ter­kon­fe­renz im ver­gan­ge­nen Herbst schaff­te der wehr­haf­te Rechts­staat es auf Top 1 der Agen­da, die Jus­tiz­mi­nis­te­rin­nen und -mi­nis­ter der Län­der setz­ten eine Ar­beits­grup­pe ein, die vor­beu­gen­de Maß­nah­men im Bun­des- und Lan­des­recht prü­fen soll, um eine mög­li­che Schwä­chung des Rechts­staa­tes zu ver­hin­dern.

In die­ser Woche, nach­dem sich meh­re­re Ab­ge­ord­ne­te po­si­tiv äu­ßer­ten, be­rich­te­ten ver­schie­de­ne Me­di­en über ein Pa­pier unter dem Titel „Vor­schlä­ge Re­si­li­enz BVerfG“, das drei Va­ri­an­ten vor­schlägt, um das BVerfG kri­sen­si­cher zu ma­chen, und das an­geb­lich in der Bun­des­re­gie­rung und unter Ab­ge­ord­ne­ten kur­sie­re. Das Pa­pier, das beck-ak­tu­ell vor­liegt, ist al­ler­dings of­fen­bar nicht Grund­la­ge ak­tu­el­ler po­li­ti­scher Dis­kus­sio­nen. Nach In­for­ma­tio­nen von beck-ak­tu­ell han­delt es sich bei den drei Vor­schlä­gen auch nicht  um neue Ideen, son­dern um seit Jah­ren immer wie­der er­gänz­te Zu­sam­men­fas­sun­gen der Über­le­gun­gen meh­re­rer Ver­fas­sungs­recht­le­rin­nen und Ver­fas­sungs­recht­ler.

Ex-BVR: "We­sent­li­che Struk­tu­ren dem ein­fa­chen Ge­setz­ge­ber ent­zie­hen"

Ähn­li­che Vor­schlä­ge wie in dem Pa­pier fan­den sich am 10. Ja­nu­ar öf­fent­lich in der FAZ, und das aus dop­pelt be­ru­fe­nem Munde. Unter dem Titel „Mehr Wi­der­stands­kraft“ schlu­gen die ehe­ma­li­ge Bun­des­ver­fas­sungs­rich­te­rin Ga­brie­le Britz, ehe­mals auf Vor­schlag der SPD nach Karls­ru­he ge­wählt wor­den, und der eher dem kon­ser­va­ti­ven Lager zu­ge­rech­ne­te Ex-Bun­des­ver­fas­sungs­rich­ter Mi­cha­el Eich­ber­ger ge­mein­sam vor, das BVerfG in sei­nen we­sent­li­chen Struk­tu­ren dem ein­fa­chen Zu­griff des Ge­setz­ge­bers zu ent­zie­hen. Kon­kret spre­chen Britz und Eich­ber­ger sich dafür aus, „die Re­ge­lun­gen über die Rich­ter­wahl, ihre Amts­dau­er, den Aus­schluss der Wie­der­wahl und wo­mög­lich auch über die Ge­set­zes­kraft und Bin­dungs­wir­kung der Ent­schei­dun­gen des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts ins Grund­ge­setz“ auf­zu­neh­men. Für wei­te­re Be­stim­mun­gen über Or­ga­ni­sa­ti­on und Ver­fah­ren könn­ten sie sich ein Mehr­heits­quo­rum von zum Bei­spiel 60 % vor­stel­len.

Zudem er­in­nern die bei­den daran, dass auch po­li­ti­sche Blo­cka­den bei der Nach­wahl von Rich­te­rin­nen und Rich­tern des BVerfG ver­hin­dert wer­den müss­ten. Sie hal­ten es für sinn­voll, bei einer Blo­cka­de die Wahl auf an­de­re Ver­fas­sungs­or­ga­ne, spe­zi­ell den Bun­des­rat zu über­tra­gen.  

Es sind bei wei­tem nicht die ers­ten Vor­schlä­ge, die Deutsch­lands Ver­fas­sungs­ge­richt ei­ner­seits ab­si­chern und an­de­rer­seits Blo­cka­den und Ver­stei­ne­rungs­ef­fek­te ver­hin­dern sol­len. Ideen dafür fin­den sich seit Jah­ren in der ju­ris­ti­schen Fach­li­te­ra­tur. Doch wohl noch nie gab es so viel po­li­ti­sches und me­dia­les Be­wusst­sein für den Schutz einer un­ab­hän­gi­gen Jus­tiz vor der suk­zes­si­ven Ent­mach­tung.  Die Ideen ehe­ma­li­ger Bun­des­ver­fas­sungs­rich­te­rin­nen und -rich­ter, von denen man an­neh­men darf, dass sie mit ihren am­tie­ren­den Kol­le­gen in Kon­takt ste­hen, dürf­ten dabei mit be­son­de­rem In­ter­es­se zur Kennt­nis ge­nom­men wer­den. Bun­des­jus­tiz­mi­nis­ter Marco Busch­mann (FDP) pos­te­te am Mitt­woch in meh­re­ren so­zia­len Me­di­en, es wür­den be­reits Ge­sprä­che ge­führt, wie man das Grund­setz und seine In­sti­tu­tio­nen best­mög­lich vor ver­fas­sungs­feind­li­chen Ein­flüs­sen schüt­zen könne. Das BVerfG habe da eine be­son­de­re Stel­lung. „Die viel­fäl­ti­gen Ideen, die der­zeit dis­ku­tiert wer­den, lie­fern dafür wert­vol­le Bei­trä­ge“, so Busch­mann. Die von der Ju­Mi­Ko ein­ge­setz­te Ar­beits­grup­pe könn­te dem Ver­neh­men nach schon in den kom­men­den Wo­chen erste Maß­nah­men vor­schla­gen. 

Redaktion beck-aktuell, Pia Lorenz, 31. Januar 2024.

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