"Reset" nach dem Brexit – auch im Internationalen Zivilverfahrensrecht?
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Zivilverfahren mit Bezug zwischen der EU und Großbritannien sind seit dem Brexit unübersichtlich geworden – welches Recht gilt wo und für wen? Jan von Hein gibt einen Überblick und erklärt, warum ein wenig Licht am Ende des Tunnels zu sehen ist.

Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union hatte auch im Internationalen Zivilverfahrensrecht erhebliche Umwälzungen zur Folge. Seit dem Ablauf des im Brexit-Abkommen festgelegten Übergangszeitraums am 31.12.2020 findet die Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (Brüssel Ia-VO) nur noch auf Altfälle Anwendung. Für nach diesem Stichtag eingeleitete Verfahren sind die für die Anerkennung und Vollstreckung maßgebenden Regeln hingegen bislang recht unübersichtlich. Somit stellt sich für internationale Zivilverfahren die Frage: Welche Vorschriften gelten heute überhaupt?

Einigkeit besteht darin, dass das Brüsseler Übereinkommen von 1968 im Verhältnis zwischen dem UK und den EU-Mitgliedstaaten nicht wieder aufgelebt ist. Klar ist auch, dass das UK aus dem Lugano-Übereinkommen von 2007 ausgeschieden ist. Der Versuch eines erneuten Beitritts der Briten zu diesem Übereinkommen ist am Widerstand der EU gescheitert. Ob bilaterale Staatsverträge, so im deutsch-britischen Verhältnis das Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen von 1960, zu neuem Leben erweckt werden können, wird kontrovers beurteilt. Da dieses Abkommen inhaltlich aber völlig veraltet ist und infolgedessen schwerlich Verbesserungen gegenüber dem autonomen Recht bietet, bleibt diese Frage eher akademischer Natur. Für Entscheidungen, die auf einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung beruhen, ermöglicht das Haager Übereinkommen (HGÜ) weiterhin die Anerkennung und Vollstreckung, weil das UK dieser Konvention nach dem Austritt aus der EU als souveräner Staat erneut beigetreten ist.

Übereinkommen reicht nicht an EU-Standard heran

Mit einer gewissen Spannung war daher der erste offizielle EU-UK-Gipfel nach dem Brexit am 19. Mai 2025 erwartet worden. Auf diesem Treffen hat der britische Premierminister Starmer als Gastgeber gemeinsam mit Kommissionspräsidentin von der Leyen und Ratspräsident Costa eine neue strategische Partnerschaft zwischen dem UK und der EU verkündet. In Bezug auf die justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen begrüßte man bei dieser Gelegenheit jedoch lediglich, dass das Haager Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen vom 2.7.2019 (HAVÜ), das für die EU bereits seit dem 1. September 2023 im Verhältnis zur Ukraine und zu Uruguay gilt, zum 1. Juli dieses Jahres auch für das UK in Kraft treten wird. Weitere Erleichterungen speziell im Verhältnis EU-UK sind hingegen nicht vorgesehen.

Aus diesem Anlass ist es geboten, das HAVÜ näher zu betrachten, insbesondere im Hinblick auf die Frage, welche praktischen Verbesserungen es im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage mit sich bringt. Hier ist zunächst festzuhalten, dass das Übereinkommen weit hinter dem seinerzeit in der EU mit der Brüssel Ia-VO bereits erreichten Standard zurückbleibt. Das HAVÜ beschränkt sich auf die Anerkennung und Vollstreckung. Es ist also eine sogenannte convention simple, welche die direkte Entscheidungszuständigkeit – im Gegensatz zur Brüssel Ia-VO – ausklammert. Nur als Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen, also mit indirekter Wirkung, werden bestimmte Zuständigkeitsgründe normiert (Art. 5, 6 HAVÜ). Die Europäische Kommission rechnet in ihrem am 2. Juni 2025 vorgelegten Bericht zur Anwendung der Brüssel Ia-VO nicht damit, dass weitere Arbeiten in Den Haag in absehbarer Zeit zur Festlegung direkter Entscheidungszuständigkeiten führen werden. 

Wirtschaftsrecht bleibt in weiten Teilen ausgeklammert

Ferner bleibt auch der sachliche Anwendungsbereich des HAVÜ erheblich hinter dem der Brüssel Ia-VO zurück. Neben den aus der Brüssel Ia-VO bekannten Bereichsausnahmen (insbesondere Unterhalt, Familien- und Erbrecht, Insolvenz, Schiedsgerichtsbarkeit) enthält Art. 2 Abs. 1 HAVÜ einen langen Katalog, der auch Persönlichkeitsrechtsverletzungen (lit. k und l), geistiges Eigentum (lit. m) und erhebliche Teile des Kartellrechts (lit. p) ausschließt. Für das Wirtschaftsrecht im engeren Sinne ist das HAVÜ also eher weniger attraktiv. Sein Hauptanwendungsfeld dürfte in allgemeinen vertraglichen und außervertraglichen Rechtsstreitigkeiten liegen. Dabei sind auch Klagen von Verbraucherinnen und Verbrauchern vom Anwendungsbereich des HAVÜ umfasst.

Für die Vollstreckung selbst ist im Gegensatz zur Brüssel Ia-VO (Art. 39 Brüssel Ia-VO) weiterhin eine Vollstreckbarerklärung nötig. Neben den Regelungen des Übereinkommens sind insoweit die deutschen Ausführungsbestimmungen im AVAG zu beachten. Die Anerkennung oder Vollstreckung kann aus den in Art. 7 Abs. 1 HAVÜ genannten Gründen versagt werden, die mutatis mutandis Art. 45 Abs. 1 Brüssel Ia-VO ähneln (insbesondere rechtliches Gehör, ordre public, unvereinbare Entscheidungen).

Schwächt Brüssel das HAVÜ bald zusätzlich?

Schließlich könnte die praktische Bedeutung des HAVÜ in naher Zukunft aufgrund der bevorstehenden Revision der Brüssel Ia-VO weiter eingeschränkt werden. Die Kommission hat in ihrem jüngst vorgelegten Bericht zur Anwendung der Brüssel Ia-VO erneut die Frage aufgeworfen, ob die Zuständigkeitsvorschriften der Verordnung, die derzeit grundsätzlich nur für Beklagte mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat gelten, auch auf Personen ausgedehnt werden sollen, die in einem Drittstaat wohnhaft sind. Diese Frage war bereits bei der Schaffung der heutigen Brüssel Ia-VO vor fünfzehn Jahren diskutiert worden, wurde damals aber gerade im Hinblick auf die geplante Ausarbeitung des HAVÜ zurückgestellt. Da das endgültige HAVÜ jedoch, wie bereits ausgeführt wurde, keine Regeln zur direkten Entscheidungszuständigkeit enthält, hat die Kommission das Problem nunmehr wieder aufgegriffen.

Bisher richtet sich die internationale Zuständigkeit für Beklagte mit Wohnsitz in einem Drittstaat grundsätzlich nach nationalem Zivilverfahrensrecht. Allerdings können auch solche Entscheidungen schon heute nach der Brüssel Ia-VO in anderen EU-Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt werden. Dies führt aufgrund der mangelnden Vereinheitlichung der Zuständigkeitsvorschriften zu gewissen Verzerrungen. Die weitere Entwicklung bleibt insoweit abzuwarten. Sollten nach einer reformierten Brüssel Ib-VO künftig auch Beklagte mit Wohnsitz in einem Drittstaat nach einheitlichen Kriterien in der EU verklagt werden können, würde dies den Anreiz für Kläger zur Einleitung eines Gerichtsverfahrens im UK möglicherweise mindern, sodass ein Rückgriff auf das HAVÜ für die anschließende Anerkennung und Vollstreckung in vielen Fällen entbehrlich würde. 

Kein "Reset", aber eine Verbesserung

Hingegen plant die Kommission offenbar nicht, in einer Brüssel Ib-VO einheitliche Regeln für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus Drittstaaten zu erlassen, obwohl auch dies im akademischen Raum seit einiger Zeit diskutiert wird. Ein Rückzug der EU aus dem HAVÜ so kurze Zeit nach seinem Inkrafttreten wäre nicht nur ein unfreundlicher Akt Brüssels gegenüber Den Haag, es würde auch die Möglichkeiten zur Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus EU-Mitgliedstaaten in Drittstaaten verschlechtern. Im Jahr 2026 wird das HAVÜ zudem in weiteren Drittstaaten in Kraft treten, nämlich in Albanien, Andorra und Montenegro. Ob sich darüber hinaus die USA, die das Übereinkommen bislang nur gezeichnet haben, zu einer Ratifikation entschließen werden, ist derzeit noch ungewiss.

So bleibt folgendes Fazit: Der groß angelegte "Reset" in der justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen zwischen dem UK und der EU ist mit dem Inkrafttreten des HAVÜ zwar nicht verbunden, insbesondere, wenn man es mit der vor dem Brexit geltenden Brüssel Ia-VO vergleicht. Aber das Übereinkommen bietet im Vergleich zur bisherigen Rechtslage nach dem Brexit doch eine größere Rechtssicherheit und praktische Verbesserungen, die man nicht geringschätzen sollte.

Prof. Dr. Jan von Hein ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, IPR und Rechtsvergleichung an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sowie Direktor am dortigen Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Abt. III.

Gastbeitrag von Prof. Dr. Jan von Hein, 12. Juni 2025.

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