Der Auslöser und Namensgeber, Hans Puvogel (CDU), war 1976 im ersten Kabinett seines Parteifreunds Ernst Albrecht zum Justizminister in Niedersachsen ernannt worden. Etwa zwei Jahre später tauchte seine Dissertation von 1937 mit dem Titel "Die leitenden Grundgedanken bei der Entmannung gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher" wieder auf. Dort hatte er seinerzeit unter anderem erklärt: "Der Wert des Einzelnen für die Gemeinschaft bemißt sich nach seiner rassischen Persönlichkeit. Nur ein rassisch wertvoller Mensch hat innerhalb der Gemeinschaft eine Daseinsberechtigung. Ein wegen seiner Minderwertigkeit für die Gesamtheit nutzloser, ja schädlicher Mensch ist dagegen auszuscheiden." Anschließend beklagte er das vermutlich mangelnde Verständnis des Volks für solche Tötungen, immerhin begrüße es sicherlich die "Ausrottung des Sittlichkeitsverbrechers und damit die Verhütung einer asozialen Nachkommenschaft".
Da der Minister sich in der Folge nicht vom Inhalt seiner Dissertation distanzierte, leitete Kramer Auszüge – kommentarlos – an einige Kollegen weiter. Puvogel trat schließlich zurück. Im Justizressort wurde er für kurze Zeit vom Landesvater Ernst Albrecht beerbt. Auf dessen Weisung hin leitete der Präsident des OLG Braunschweig, Rudolf Wassermann, ein förmliches Disziplinarverfahren ein, da Kramer "seine Pflicht zu achtungswürdigem Verhalten gegenüber einem Dienstvorgesetzten verletzt" habe. Zu einer förmlichen Disziplinarstrafe kam es nicht, aber im Einstellungsbescheid wurde ihm bescheinigt: "Es steht dem Richter ebenso wenig wie dem Beamten zu, seinem Vorgesetzten Verfehlungen vorzuwerfen oder dessen Ansehen durch Verbreitung von Tatsachen im Bereich der Behörde zu untergraben, selbst wenn die Tatsachen zutreffend sind."
"Gewissen der Justiz"
Nach mehr als 45 Jahren wurde dieses Verdikt nunmehr aufgehoben. Die niedersächsische Justizministerin Wahlmann dankte dem ehemaligen Richter und Rechtshistoriker für sein Engagement: "Dr. Helmut Kramer war jahrzehntelang das Gewissen der niedersächsischen Justiz. Nicht zuletzt durch sein Engagement in der Puvogel-Affäre wurde er ein leuchtendes Vorbild für uns alle. Mit Mut und Beharrlichkeit hat er sich in herausragender Weise um die Aufarbeitung von Justizunrecht in der NS-Zeit und dessen Fortwirkung in der Bundesrepublik verdient gemacht."
Der Kampf des heute 94-jährigen und vielfach ausgezeichneten Juristen (so unter anderem mit dem Hans-Litten- und Fritz-Bauer-Preis) für eine Aufarbeitung des NS-Unrechts hatte dabei weder mit der Puvogel-Affäre begonnen noch endete sie damit.
1965 hatte er dafür votiert, der Mutter der zum Zeitpunkt ihrer Hinrichtung 1944 19-jährigen Erna Wazinski eine Entschädigung zuzusprechen. Die Jugendliche war als "Volksschädling" von einem Sondergericht zum Tode verurteilt worden, da sie einige Gegenstände, bei denen das Eigentum unklar war, aus ihrem ausgebombten Haus geborgen hatte. Die Frage der Entschädigung hing zuletzt von einer Aufhebung des Strafurteils durch das LG Braunschweig ab. Die Strafkammer lehnte dies ab: "Stichhaltiger Anhalt für die Annahme, dass es den damals gültigen Begriff der Volksschädlingseigenschaft verkannt oder rechtsfehlerhaft auf den festgestellten Sachverhalt angewendet hat, ist nicht ersichtlich." Das Sondergericht habe "keine andere Wahl" gehabt als die junge Frau zum Tode zu verurteilen. Auf Initiative von Kramer wurde 1991 die Verurteilung auf Grundlage neuer Zeugenaussagen doch noch aufgehoben. Sieben Jahre später wurden alle Urteile nach der Verordnung gegen Volksschädlinge durch das NS-Unrechtsurteileaufhebungsgesetz (NS-AufhG) aufgehoben.
Ein ausführliches Interview auf Deutsch mit Kramer zu seiner Arbeit findet sich auf der Seite des United States Holocaust Memorial Museum.
Eine wesentliche Rolle bei der Ablösung des früheren – restriktiveren – Rechtsberatungsgesetzes schrieb unter anderem im Jahr 2008 Römermann in seinem Beitrag zur Einführung des RDG in der NJW dem Einsatz von Kramer und der damit verbundenen öffentlichen Aufmerksamkeit zu. Dieser hatte über Jahre hinweg Menschen in rechtlicher Not beraten und sich unter anderem 1998 selbst angezeigt, um ein Zeichen gegen die Einschränkungen durch das RBerG zu setzen.