Regierung will Bundestag deutlich verkleinern

In den letzten zwei Jahrzehnten ist der Bundestag immer weiter angeschwollen - von ursprünglich 598 auf zuletzt 736 Sitze. Die Parteien sind sich einig: Das ist zu viel. Über die richtige Diät zur Verschlankung des Parlaments wird jedoch seit Jahren verbittert gestritten. Nun hat sich die Ampel auf einen Gesetzentwurf geeinigt, der eine Reduzierung der Sitze vorsieht. Die Union ist nicht begeistert.

Abschaffung von Überhang- und Ausgleichsmandaten

Mit 736 Sitzen ist der aktuelle Bundestag so groß wie noch nie. Grund hierfür sind insbesondere Überhang- und Ausgleichsmandate. Da ein großes Parlament nicht nur mehr Steuergelder frisst, sondern schlichtweg auch nicht so arbeitsfähig ist, sind sich alle Parteien einig, dass der Bundestag wieder schrumpfen muss. Uneinigkeit herrscht jedoch darüber, wie dies erreicht werden soll. Der nun von der Ampel vorgelegte Gesetzentwurf packt das Übel an der Wurzel: Überhang- und Ausgleichsmandate soll es künftig nicht mehr geben. In der Folge würde es bei einer Zahl von 598 Abgeordneten bleiben. Dies entspräche auch dem mehrheitlichen Wunsch in der Bevölkerung. Wie aus einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach im Auftrag der Bertelsmann Stiftung hervorgeht, sind 78% der Deutschen der Meinung, dass der Bundestag derzeit deutlich zu viele Parlamentarier habe und er wieder auf die ursprünglich vorgesehene Größe verkleinert werden sollte.

Union hält Entwurf für verfassungswidrig

Der Haken: Ohne Überhang- und Ausgleichsmandate kann es passieren, dass eine Kandidatin oder ein Kandidat zwar die Mehrheit der Erststimmen in ihrem oder seinem Wahlkreis erhält, aber trotzdem nicht in den Bundestag einzieht, weil die Partei zu wenig Zweitstimmen erhält. Aus der Union kommt deshalb scharfe Kritik an den Ampel-Plänen. CSU-Generalsekretär Martin Huber wirft der Regierung "organisierte Wahlfälschung" vor. Stefan Müller, der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, hält den Vorschlag sogar für verfassungswidrig. "Gewählten Wahlkreiskandidaten das Mandat zu verweigern, ist eine eklatante Missachtung des Wählerwillens und des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips", sagte er dem Nachrichtenportal "The Pioneer". Er fordert die Regierung auf, gemeinsam "an machbaren Lösungen für eine Verkleinerung des Bundestages" zu arbeiten. Wie die Union hat auch die Linke Vorbehalte gegen die von der Ampel-Koalition anvisierte Wahlrechtsreform. Zwar müsse man den Entwurf noch genauer prüfen, sagte Parteichefin Janine Wissler am Montag in Berlin. Aber wenn direkt gewählte Kandidaten einzelner Wahlkreise nicht in den Bundestag kämen, berge dies die Gefahr, dass ganze Regionen nicht mehr im Parlament vertreten seien. Das halte sie für "ziemlich problematisch", sagte Wissler.

Letzte Reform 2020 von der Großen Koalition

Die Ampel-Fraktionen dringen auf eine rasche Entscheidung über den von ihnen vorgelegten Gesetzentwurf. Dadurch werde die Möglichkeit eröffnet, das neue System bereits bei der nächsten Bundestagswahl anzuwenden, sagte Till Steffen (Grüne) am Montag in Berlin. Zu dem Entwurf werde es voraussichtlich im Februar eine Expertenanhörung im Bundestag geben. Die letzte Änderung im Wahlrecht hatte die Große Koalition im Oktober 2020 gegen den Widerstand von Grüne, Linke und FDP durchgesetzt. Die Reform beinhaltete zum einen die Einführung sogenannter ausgleichsloser Überhangmandate: Bis zu drei Überhangmandate einer Partei konnten demnach nicht durch Ausgleichsmandate kompensiert werden, wenn der Bundestag seine Soll-Größe überschritten hat. Grüne, Linke und FDP hatten damals einen Verstoß gegen das Gebot der Normenklarheit aus Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs, 1 und 2 GG sowie gegen die Wahlrechtsgleichheit (Art. 38 Abs. 1 GG) und die Chancengleichheit der Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG) gerügt und waren vor das Bundesverfassungsgericht gezogen - ohne Erfolg. Zum anderen hatten Union und SPD vereinbart, die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 280 zu reduzieren. Grüne, Linke und FDP waren ihrerseits mit dem Vorschlag, die Anzahl der Wahlkreise noch weiter auf 250 zu reduzieren, gescheitert.

Neue Namen: Wahlkreisstimme und Hauptstimme

Eine (weitere) Reduzierung der Wahlkreise ist in dem nunmehr vorgelegten Ampel-Entwurf nicht mehr vorgesehen. Auch an der sogenannten Grundmandatsklausel soll nicht gerüttelt werden. Von ihr profitieren kleine Parteien, die zwar an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, aber mindestens drei Direktmandate gewinnen. Sie dürfen dann trotzdem entsprechend ihrem Zweitstimmenergebnis in den Bundestag einziehen. Geändert werden sollen jedoch die Bezeichnungen der beiden Stimmen: Aus der Erststimme soll die "Wahlkreisstimme" werden und aus der Zweitstimme die "Hauptstimme".

Wahlkreiskommission schlägt Neuabgrenzungen zahlreicher Wahlkreise vor

Passend zum Thema hat die Wahlkreiskommission ihren Bericht für die 20. Wahlperiode des Deutschen Bundestages vorgelegt. In Bezug auf die nach der geltenden Gesetzeslage Anfang 2024 in Kraft tretende Reduzierung der Wahlkreise schlägt die Kommission insbesondere eine Neuabgrenzungen zahlreicher Wahlkreise vor. Wie aus dem Bericht hervorgeht, würden sich bei einer Verteilung von 280 Wahlkreisen auf die 16 Bundesländer umfangreiche Veränderungen ergeben. So seien Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen die einzigen Länder, die nicht von der Reduzierung der Wahlkreise betroffen seien, während in den übrigen Ländern die Zahl der Wahlkreise um ein bis höchstens vier Wahlkreise zurückgehe. Auf jeweils einen Wahlkreis weniger kämen danach Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und das Saarland. In Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Niedersachsen sinke die Zahl der Wahlkreise um jeweils zwei und in Nordrhein-Westfalen um vier. Insgesamt schlägt die Kommission in 13 Ländern Neueinteilungen beziehungsweise anderweitige Anpassungen vor, von denen 124 Wahlkreise betroffen sind. Sollte die von den Ampel-Fraktionen nun vorgeschlagene Reform beschlossen werden, wäre dies obsolet. Denn laut dem Gesetzentwurf bleibt es bei der bisherigen Einteilung in 299 Wahlkreise und bei zwei Stimmen, die jede Wählerin und jeder Wähler vergeben kann.

Redaktion beck-aktuell, Miriam Montag, 16. Januar 2023 (ergänzt durch Material der dpa).