Rechtsprechung in Zeiten der Pandemie – die Justiz und das Virus

Die Coronavirus-Krise stellt auch Gerichte und Gefängnisse auf eine Belastungsprobe. Vorkehrungen zur Verlangsamung der Ausbreitung des Coronavirus verzögern den Betrieb. "Es ist richtig, den Zugang zu den Gerichten jetzt auf das absolut notwendige Minimum herunterzufahren, um die Gesundheit aller Beteiligten zu schützen", erklärten die Co-Vorsitzenden des Deutschen Richterbunds (DRB), Barbara Stockinger und Joachim Lüblinghoff, am 18.03.2020 in Berlin. Die Justiz werde ihre Kernaufgaben aber erfüllen können, versicherten sie. Ein Überblick zur Lage in einigen Ländern.

Bayern

In Bayern sollen nach dem Willen des Justizministeriums derzeit nur noch "in eiligen und dringenden Fällen" Verhandlungstermine stattfinden. Zu einem Eklat kam es in München: Dort zeigte ein Anwalt einen Richter des Landgerichtes München I wegen versuchter Körperverletzung an, weil er trotz der aktuellen Corona-Pandemie auf einer Verhandlung bestand. Das LG Regensburg, an dem mehrere wichtige Prozesse laufen, will den Betrieb hingegen weitgehend aufrechterhalten – aber unter Auflagen: Im Saal muss jeder zweite Stuhl frei bleiben und es sollen Fieberthermometer zur Kontrolle am Einlass beschafft werden.

Hessen

In mindestens zwei Fällen wurden in Hessen Prozesse wegen der Pandemie verschoben. Generell müssten die Gerichte selbst entscheiden, hieß es. An vielen Gerichten wird allerdings nur noch im Ausnahmefall mündlich verhandelt. Verfahren ohne mündliche Verhandlung finden hingegen in der Regel weiterhin statt. Auch Klagen und Schriftsätze können den Angaben der Gerichte zufolge eingereicht und bearbeitet werden. Staatsanwaltschaften und Gerichte sollen aber nach Möglichkeit zunächst telefonisch kontaktiert werden. Bei einer Verhandlung vor dem LG Wiesbaden um einen Mordversuch mit vergifteter Nudelsuppe saßen Richter und Schöffen mit möglichst großem Abstand voneinander.

Hamburg

Auch Hamburgs Justiz fährt die Arbeit zum Schutz von Beschäftigten und Betroffenen herunter. Strafsachen und dringliche Fälle etwa zu Stromsperrungen, Wohnungsräumungen oder Inobhutnahmen liefen weiter, sagte Justizsenator Till Steffen (Grüne) am 18.03.2020. "Dafür werden andere Verfahren zurückgestellt werden müssen", sagte Steffen. Er nannte etwa über Jahre laufende Bauprozesse, bei denen Urteile nun länger dauern könnten. Insgesamt solle die Zahl der mündlichen Verhandlungen auf das Nötigste reduziert werden. Auch die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen, zum Beispiel wenn ein Schwarzfahrer seine Geldstrafe nicht zahlen kann, wird in den meisten Fällen zunächst befristet aufgeschoben.

Baden-Württemberg

Die Justiz in Baden-Württemberg fährt die Arbeit in Gerichten und Gefängnissen ebenfalls so weit wie möglich herunter. Häftlinge dürfen bis auf Weiteres nicht mehr besucht werden, es werden nur noch wichtige Prozesse verhandelt und die meisten Angestellten und Beamten nach Hause geschickt, wie Justizminister Guido Wolf (CDU) in Stuttgart ankündigte. Als Ausgleich für die fehlenden Besuche sollen die Häftlinge länger telefonieren dürfen.

Nordrhein-Westfalen

In Nordrhein-Westfalen fährt die Justiz den Betrieb auf das zwingend notwendige Maß herunter und schränkt den Publikumsverkehr ein. Der interne Dienstbetrieb soll aber aufrechterhalten werden. Darauf verständigten sich das Justizministerium und Vertreter von Behörden und Gerichten am 17.03.2020. Per Erlass gibt das Ministerium vor, dass Verhandlungen nur durchgeführt werden, wenn sie keinen Aufschub dulden, wie zum Beispiel bei Haftsachen. Wer Symptome einer Covid-19-Erkrankung zeige, dem dürfe der Zutritt zum Gericht verwehrt werden. Das gilt auch für Besucher, die zuletzt Risikogebiete besucht haben.

Mecklenburg-Vorpommern

Als Vorsichtsmaßnahme gegen das neuartige Coronavirus werden Neuzugänge in den Gefängnissen Mecklenburg-Vorpommerns separat untergebracht. Besuche sollen bis auf weiteres mit Trennwänden stattfinden. Sie könnten auch untersagt werden, wenn dies aus medizinischen Gründen geboten erscheine. Besucher würden befragt, ob sie aus Risikogebieten kommen oder vor kurzem dort waren.

Niedersachsen

Zur Entlastung der Justizvollzugsanstalten angesichts der Coronakrise sollen in Niedersachsen vorerst keine Ersatzfreiheitsstrafen mehr angetreten werden. Diese Regel gelte zunächst für einen Zeitraum von drei Monaten, teilte das Justizministerium mit.

Bundesjustizministerium plant Regelung zu laufenden Strafprozessen

Das Bundesjustizministerium will übrigens verhindern, dass laufende Strafprozesse wegen der Coronavirus-Einschränkungen platzen. Man arbeite an einer Regelung, die eine Pause in Strafprozessen von maximal drei Monaten und zehn Tagen gestattet. Bisher sind höchstens drei Wochen oder – wenn es mehr als zehn Verhandlungstage gab – ein Monat Pause vorgesehen.

BVerfG will keine großen Verhandlungen mehr ansetzen

Zudem will das Bundesverfassungsgericht bis Ende April 2020 keine großen Verhandlungen und Urteilsverkündungen mehr ansetzen. Ausgenommen seien unaufschiebbare Angelegenheiten, teilte das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe am 18.03.2020 mit. Die Arbeit in den Kammern sei sichergestellt, weil die Richter auch von zu Hause aus arbeiten könnten.

Redaktion beck-aktuell, 20. März 2020 (dpa).