BRAK und DAV gegen Castellucci-Entwurf
In der Anhörung äußerten sich 11 Sachverständige aus Medizin, Rechtswissenschaft, Medizinethik sowie der Hospizarbeit zu den Entwürfen. Thematisch ging es vor allem um die allgemeine rechtliche Bewertung der Entwürfe vor dem Hintergrund des Verfassungsgerichtsurteils, die Einordnung der unterschiedlichen Beratungskonzepte sowie die Bedeutung von Suizidprävention. Von den fünf geladenen Sachverständigen mit juristischem Hintergrund sprachen sich vier gegen den Gesetzentwurf der Gruppe von 85 Abgeordneten um Lars Castellucci (SPD) aus. So prognostizierte der Vorsitzende des Ausschusses Strafprozessrecht der Bundesrechtsanwaltskammer, Christoph Knauer, dass der Castellucci-Entwurf vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben würde. Die vorgeschlagene Regelung enge die reale Zugangsmöglichkeit zum assistierten Suizid, den das Gericht angemahnt hatte, zu sehr ein. Das vorgesehene Beratungs- und Untersuchungsverfahren sei eine "Überregulierung" und konterkariere die Vorgaben des Gerichts. Ähnliche Argumente brachte Gina Greeve für den Deutschen Anwaltsverein gegen den Castellucci-Entwurf in Stellung. Dieser sei nicht vereinbar mit den verfassungsgerichtlichen Vorgaben. Durch die strafrechtliche Regelung würde ein freiverantwortlich gefasster Sterbewunsch faktisch ins Leere laufen und unterbunden.
Überregulierung und Überforderung
Der Rechtswissenschaftler Karsten Gaede von der Bucerius Law School in Hamburg betonte, es gebe keine "verfassungsrechtliche Schutzpflicht", die erneut eine allumfassende Strafrechtsnorm erzwinge. Die im Castellucci-Entwurf vorgesehenen Regelungen drohten vielmehr alle Beteiligten zu überfordern. Wie auch andere Sachverständige betonte der Rechtswissenschaftler Helmut Frister von der Heinrich Heine Universität Düsseldorf die Notwendigkeit einer Regulierung in dem Bereich. Das gelte etwa für den Schutz vor nicht freiverantwortlichen Suizidentscheidungen in Form einer Verpflichtung auf ein Verfahren zur Feststellung der Freiverantwortlichkeit. Dieses Verfahren müsse notwendigerweise schlank ausgestaltet werden. In seiner schriftlichen Stellungnahme kritisierte Frister am Castellucci-Entwurf die "teilweise überzogenen Verfahrensanforderungen". Ob sich der Entwurf damit im Bereich der Verfassungswidrigkeit bewegt, wollte Frister in der Anhörung nicht beurteilen.
Befürworter verweist auf mehr Transparenz
Hingegen argumentierte der Rechtswissenschaftler Arndt Sinn von der Universität Osnabrück, dass der Entwurf den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspreche und einen legitimen Zweck, nämlich die Autonomie der suizidwilligen Person einerseits und das Rechtsgut Leben zu schützen andererseits, verfolge. Er führte aus, dass es aktuelle viel Unklarheit in dem Bereich gebe. Der Castellucci-Entwurf gehe nicht über die geltende Rechtslage hinaus, führe aber zu mehr Transparenz über Gebote und Verbote. Den Vorwurf, es gehe im Kern nicht um das Strafrecht, wies Sinn zurück. Am Ende stelle sich jeder Hilfswillige die Frage nach Strafbarkeit. Der Rechtswissenschaftler übte zudem Kritik an den beiden anderen Entwürfen - sie blieben hinter dem Schutzkonzept des Castellucci-Entwurfes zurück. So sehe der Entwurf der Gruppe von 68 Abgeordneten um die Liberale Katrin Helling-Plahr nur ein Recht auf Beratung vor. Damit werde der Schutz der autonomen Entscheidung nicht abgedeckt, es werde nicht sichergestellt, dass ein freiverantwortlicher Wille vorliegt. Mit Blick auf den Gesetzentwurf der 45 Abgeordneten um Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte der Rechtswissenschaftler die darin in einer bestimmten Konstellation vorgesehene Behördenentscheidung. Das sei eher abschreckend, als dass damit der Autonomie zur Geltung verholfen werde.
Diskussion um mögliche Behörden-Entscheidung
Hingegen argumentierte Gaede, dass es jenseits behandlungsbedürftiger Erkrankungen keinen Grund gebe, eine alleinige Entscheidung der Ärzteschaft über die Verschreibung tödlich wirkender Medikamente vorzusehen und kritisierte damit die Entwürfe der Gruppen Castellucci und Helling-Plahr. Das im Künast-Entwurf vorgesehene Kriterium einer medizinischen Notlage, die den Einbezug von Ärztinnen und Ärzten vorsieht und in anderen Fällen einen Einbezug von Behörden, sei hingegen praktikabel. Ähnlich argumentierte die Vertreterin des Deutschen Anwaltsvereins. Die Differenzierung sei - auch hinsichtlich des Urteils des Verfassungsgerichts - zulässig und erforderlich, meinte Greeve. Kritischer sah die Unterscheidung zwischen schwerkranken Suizidwilligen und nicht-schwerkranken Rechtsanwalt Knauer von der BRAK. Dies sei nicht vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts gedeckt. Wie auch der Rechtswissenschaftler Frister sah Knauer die Einbindung von Behörden eher kritisch.
Experte: Ideale Sterbehilfe gleichbedeutend mit Lebensqualität
Aus medizinethischer Sicht sprach sich Bettina Schöne-Seifert von der Universität Münster für eine Beratungspflicht aus und betonte die Notwendigkeit, Ärztinnen und Ärzte in den Prozess einzubeziehen. Der Sachverständige Maximilian Schulz schilderte seine Sicht auf die Sterbehilfe, zu der auch öffentlich im "Spiegel" Stellung bezogen hatte. Er sprach sich für einen möglichst einfachen und ungehinderten Zugang aus und unterstütze den Entwurf der Gruppe Helling-Plahr. "Die ideale Sterbehilfe bedeutet für mich Lebensqualität! Sie schenkt mir Zeit, die ich nicht darauf verwenden muss, die Art und den Zeitpunkt eines würdigen Todes entweder strafrechtlich abzustimmen oder von meiner medizinischen Notlage abhängig machen zu müssen", sagte Schulz.
Für eine stärkere Suizidprävention
Die beiden Sachverständigen mit medizinischem Hintergrund sprachen sich insbesondere für eine stärkere Suizidprävention aus. Ute Lewitzka (Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden) sagte, es brauche "vor einer Regelung der Suizidassistenz dringend eine Regelung der Suizidprävention im Sinne einer gesetzlichen Regelung." In ihrer Stellungnahme stellte sie sich hinter die im Castellucci-Entwurf vorgesehene mindestens zweimalige Beratung von Sterbewilligen durch Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie. Barbara Schneider (LVR-Klinik Köln) argumentierte aus der Perspektive der Suizidologie und führte aus, dass Menschen in suizidalen Krisen in ihrer Wahrnehmung und Entscheidungsfindung eingeschränkt seien. Das bedeute aber nicht, dass ihre Freiverantwortlichkeit eingeschränkt sei. Darum bedürfe es eines Schutzkonzeptes für Menschen in suizidalen Krisen. Die bislang vorgestellten Konzepte für die Beratung sehe sie kritisch, führte Schneider aus. Menschen, die einen Suizid in Erwägung ziehen, bräuchten keine kurzen Gespräche, sondern langfristige Angebote und einfühlsame, vertrauensvolle, psychosoziale und gegebenenfalls therapeutische Begleitung.
Stärkung der Palliativ- und Hospizarbeit angeregt
Winfried Hardinghaus, Vorsitzender des Deutschen Hospiz- und Palliativ-Verbands, und Kerstin Kurzke, Leiterin der Hospiz- und Trauerarbeit des Malteser Hilfsdiensts in Berlin, sprachen sich vor allem dafür aus, dass Träger des Gesundheits- und Sozialwesens nicht dazu gezwungen werden dürften, Suizidhilfe in ihren Einrichtungen durchzuführen beziehungsweise zu dulden. Beide berichteten zudem aus ihrer Berufspraxis und forderten eine deutliche Stärkung der Palliativ- und Hospizarbeit sowie der Suizidprävention.