Rechtsausschuss: Experten bewerten geplante Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren überwiegend positiv

Experten haben die von der Bundesregierung geplante "moderate Lockerung" des bisherigen Verbots der Medienübertragung aus der Gerichtsverhandlung überwiegend positiv bewertet. Dies zeigte eine Anhörung des Bundestagsrechtsausschusses am 28.03.2017 zum Gesetzentwurf über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren (BT-Dr. 18/10144), wie der parlamentarische Pressedienst berichtete. Es habe aber auch Stimmen gegeben, die den Entwurf für verfehlt erachteten und die Gefahr populärer Urteile sähen.

Tonübertragungen in Medienarbeitsraum und Ausstrahlung von BGH-Entscheidungsverkündungen geplant

Der Entwurf, der im Dezember 2016 in erster Lesung vom Bundestag beraten und an den Ausschuss verwiesen wurde, sieht unter anderem eine Änderung im Gerichtsverfassungsgesetz vor, mit der Tonübertragungen in einen Medienarbeitsraum ermöglicht werden sollen. Außerdem soll die Verkündung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in besonderen Fällen in Hörfunk und Fernsehen ausgestrahlt werden können. Bei Verfahren mit herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung soll eine audio-visuelle Aufzeichnung der Gerichtsverhandlung ausschließlich für wissenschaftliche Zwecke erlaubt werden. Außerdem werden Verbesserungen für Personen mit Sprach- und Hörbehinderungen in gerichtlichen Verfahren angestrebt.

Experten bewerten Entwurf überwiegend positiv

In ihren Stellungnahmen äußerten die Experten überwiegend Zustimmung zu dem Entwurf. Der stellvertretende Ausschussvorsitzende Hendrik Hoppenstedt (CDU), sagte zu Beginn, mit der Anhörung wolle das Gremium dazu beitragen, "einen ordentlichen Gesetzentwurf zu einem guten Ende zu bringen". Dabei gelte es, die Interessen einer sich verändernden Medienlandschaft und das Informationsbedürfnis der Bürger mit dem Schutz des Persönlichkeitsrechts und dem Schutz von Opfern und Zeugen zu vereinbaren.

"Dammbruchargument" nicht nachvollziehbar

Für die Berufsgruppen der Richter und Verteidiger sprachen Ali B. Norouzi vom Deutschen Anwaltverein und Jens Gnisa vom Deutschen Richterbund und äußerten ihr grundlegendes Einverständnis mit dem Entwurf. Eine anfängliche Skepsis sei der Überzeugung gewichen, dass eine moderate Öffnung zugelassen werden könne, sagte Norouzi. Gnisa sagte, dass von einigen vorgebrachte "Dammbruchargument" könne er nicht nachvollziehen.

Zum Teil Bedenken gegen zeitgeschichtliche und wissenschaftliche Aufnahmen

Bedenken hatte Gnisa allerdings bezüglich der Erlaubnis von Bild- und Tonaufnahmen zu zeithistorischen und wissenschaftlichen Zwecken. Diese würden die Prozessführung erschweren und die Wahrheitsfindung einschränken. Aus Sicht des Richters am Bundesgerichtshof Andreas Mosbacher sind zeitgeschichtliche Aufnahmen sehr wichtig. Es müsse nur sichergestellt sein, dass jede rechtliche Nutzung der Filmaufnahmen ausgeschlossen ist. Für Übertragungen von Gerichtsentscheidungen fand Mosbacher klare Worte: "Eine selbstbewusste Justiz muss sich nicht verstecken." Viele Kollegen seien allerdings skeptischer als er, fügte er hinzu. Er, Mosbacher, glaube jedoch nicht, dass sich die Verfahren durch eine Öffnung ändern würden.

Rechtswissenschaftler hält Entwurf für verfehlt

Heiner Alwart von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena lehnte den Entwurf kategorisch ab. Medienübertragungen aus dem Gerichtssaal dienten allein der Unterhaltung und dem Zeitvertreib und nutzten niemandem. In seiner Stellungnahme kommt der Professor zu dem Ergebnis, dass "die geplanten Änderungen allesamt von Grund auf verfehlt sind". Der Entwurf sei unausgereift und gebe die Sache der Justiz banalen Bedürfnissen preis.

ARD-Rechtsredaktionsleiter verweist auf großes Interesse der Öffentlichkeit

Dem widersprach Frank Bräutigam, Leiter der ARD-Rechtsredaktion des SWR. Er verwies auf das große Interesse der Öffentlichkeit an den Entscheidungen der obersten Bundesgerichte. Die Themen spielten mitten im Leben von hunderttausenden Menschen und seien gesellschaftlich hoch relevant. Mit der seit 1998 erlaubten Übertragung von Urteilen am Bundesverfassungsgericht habe die ARD sehr gute Erfahrungen gemacht. Mit "Zirkus" oder "Gerichtsshows" habe das nichts zu tun. Wahrheitsfindung und Persönlichkeitsrechte würden nicht beeinträchtigt.

FAZ-Redakteur: Lockerung nicht erforderlich – Gefahr populärer Urteile

Dagegen hielt Reinhard Müller, verantwortlicher Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, eine Öffnung rechtlich nicht für geboten. Der Gesetzentwurf sei dem Zeitgeist geschuldet und referiere "völlig unkritisch" den Medienwandel. Wichtiger als die schnelle Berichterstattung sei die Auslegung und Einordnung von Urteilen. Zudem bestehe die Gefahr, dass volksnäher geredet und populärer geurteilt werde.

Redaktion beck-aktuell, 31. März 2017.