In Zeiten, in denen Eigenbedarfskündigungen bei unbefristeten Mietverträgen weiter zunehmen, rückt die sog. "Sozialklausel" immer mehr in den Mittelpunkt gerichtlicher Entscheidungen. Der VIII. Zivilsenat des BGH hat in den letzten Jahren vermehrt Anlass gehabt, sich in diesem Kontext mit Fragen der "gesundheitlichen Härte" zu befassen.
Ausgangspunkt ist die Regelung des § 574 BGB, wonach ein Mieter einer Kündigung widersprechen kann, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn, seine Familie oder Angehörige seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Dabei geht es in der Praxis oft um gesundheitliche Folgen, wenn die Betroffenen ihre Wohnung verlassen müssen. Trägt der Mieter oder die Mieterin also vor, der Auszug habe für ihn oder sie eine erhebliche Verschlechterung seiner Gesundheit zur Folge und belegt dies durch eine ärztliche Bescheinigung, so muss das Gericht in der Regel ein ärztliches Sachverständigengutachten einholen. Kritisch sind vor allem die Fälle, in denen der Mieter oder die Mieterin vorträgt, er oder sie würde bei einer Räumung Suizid begehen.
Sozialklausel greift nicht bei Zeitmietverträgen
Während also das gerichtliche Prozedere für unbefristete Mietverträge im Wesentlichen feststeht, sieht es bei den befristeten Mietverträgen i.S.d. § 575 BGB anders aus. Für Zeitmietverträge gilt die Sozialklausel nach dem eindeutigen gesetzgeberischen Willen und Wortlaut der §§ 574ff. BGB nicht. Mietet also ein Mieter eine Wohnung für vier Jahre fix (befristet) und sieht der Vertrag vor, dass nach Ablauf der vier Jahre der Vermieter die Wohnung für seine Tochter nutzen darf und entwickelt der Mieter etwa nach zwei Jahren eine schwere Depression, die in Suizidgefahr mündet, so ist dies nach der gegenwärtigen Rechtslage irrelevant. § 575a II BGB regelt nur die Geltung der Härteklausel in den seltenen Fällen der Mietverhältnisse, die auf bestimmte Zeit eingegangen werden, aber außerordentlich mit gesetzlicher Frist gekündigt werden können (z.B. der Fall der Fortsetzung des Mietverhältnisses mit den Erben). Für die "normalen" befristeten Mietverhältnisse gibt es also keinen "Sozialklauselschutz": der Mieter muss nach vier Jahren raus.
Geschützt werden Mieterinnen und Mieter bei befristeten Mietverhältnissen wie auch alle Mieter im Übrigen ggf. nur durch die Ausnahmevorschrift zum Vollstreckungsschutz des § 765a ZPO. Im BGB* fehlt es jedoch an einer entsprechenden Schutzregelung.
Gehen Mieterinnen und Mieter sehenden Auges ins Unglück?
Nun kann man versuchen, für diese unterschiedliche Behandlung des Gesetzgebers Gründe zu finden. Ein möglicher Grund wäre, auf die unterschiedlichen Interessenlagen in beiden Fällen zu verweisen. Der Mieter, bzw. die Mieterin einer nur befristet vermieteten Wohnung wisse ja schließlich schon bei Abschluss des Vertrages, worauf er oder sie sich einlasse – damit verzichte man praktisch auf weitergehende Schutzrechte. Dies überzeugt indes nicht. Die Interessenlage einer Vermieterin und ihres Mieters ist im Vergleich zu unbefristeten Verträgen identisch: die Vermieterin möchte den Mieter schnell aus der Wohnung haben, der erkrankte und ggf. noch suizidgefährdete Mieter möchte möglichst lange dort wohnen bleiben.
Einen Verzicht auf den Schutz der Härtefallklausel wird man zudem schwerlich konstruieren können, geht es doch beim erkrankten Mieter gerade um sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, das vom BGH bei unbefristeten Mietverträgen immer wieder hervorgehoben wird. Einen Verzicht auf die Sicherung des eigenen Lebens und der körperlichen Unversehrtheit wird man ihm kaum unterstellen können. Zudem ist sehr zweifelhaft, ob ein Mieter, der noch nichts von seiner späteren Erkrankung ahnt, bei der Vertragsunterschrift überhaupt ahnt, auf diese Rechte zu verzichten.
Staatliche Schutzpflicht für das Leben des Mieters
Die kaum zu erklärende Ungleichbehandlung durch den Gesetzgeber wird noch deutlicher, wenn man sich die letzten Entscheidungen des VIII. Zivilsenats des BGH zu § 574 BGB ansieht. So hat der Senat in seiner Entscheidung vom 10. April 2024 (VIII ZR 114/22) besonders hervorgehoben, dass der Staat verpflichtet sei, sich schützend und fördernd vor das Leben des Einzelnen auch dann zu stellen, wenn der angedrohte Suizid Ausdruck einer freien Willensbestimmung des Mieters sei. Diese Überprüfung habe schon – wie der Senat früher stets entschied – bereits auf der Ebene des § 574 BGB und nicht erst auf vollstreckungsrechtlichen Ebenen (§§ 721, 765a ZPO) stattzufinden. Mieterinnen und Mieter auf die Möglichkeiten des Vollstreckungsrechtes zu verweisen, wären ohnehin eher begrenzter Natur; so darf die Räumungsfrist nach § 721 Abs. 5 S. 1 ZPO nicht mehr als ein Jahr betragen; § 765a III ZPO setzt Anträgen eine Zweiwochenfrist, zudem sind die Anforderungen an Räumungsschutz dort höher ("sittenwidrige Härte").
Somit ist das Argument, Mieterinnen und Mieter bei befristeten Wohnräumen seien durch das Vollstreckungsrecht ohnehin geschützt, nur auf den ersten Blick richtig. Wäre dies so, könnte man auch § 574 BGB problemlos streichen und hätte keinerlei verfassungsrechtliche Probleme damit. Indes sind BVerfG und die herrschende Meinung in der Literatur der Ansicht, dass § 574 BGB gerade eine einfachgesetzliche Ausprägung mieterrechtlichen Grundrechtsschutzes ist (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 GG), womit sich erneut die Frage stellt: Warum nicht auch bei befristeten Verträgen? Das BVerfG sieht die grundrechtlichen geschützten Interessen von Mieterinnen und Mietern durch § 574 BGB (damals noch § 556a a.F. BGB) "bei sachgerechter Anwendung durch die Fachgerichte […] angemessen und ausreichend geschützt und durchsetzbar" (Beschluss vom 20.02.1995 – 1 BvR 665/94). Die Sozialklausel ist also eine verfassungsrechtlich gebotene einfachgesetzliche Umsetzung von Mietergrundrechten, eine Streichung verbietet sich daher.
Hilfe durch den Gesetzgeber
Es ist also nicht erkennbar, warum diese verfassungsrechtlichen Aspekte nicht auf befristete Mietverträge übertragbar wären. Das Wohnraummietrecht ist hier aus verfassungsrechtlicher Sicht lückenhaft. Nun hat der Gesetzgeber einen Spielraum, wie er bestimmte Problem regelt und gestaltet. Dieser Spielraum ist indes durch die Verfassung selbst eingeschränkt. Gesetze, die gegen Grundrechte verstoßen, verbieten sich. Vor diesem Hintergrund ist die Regelung in § 575 BGB verfassungsrechtlich problematisch genug. Eine verfassungskonforme Auslegung kommt angesichts des eindeutigen Wortlauts des Gesetzes und des historischen Willens des Gesetzgebers nicht in Frage.
Der Gesetzgeber dürfte also auch hier gefragt sein, sofern die Fragen nicht zuvor bereits in Karlsruhe landen. Denn die Tatgerichte könnten in diesen Fallkonstellationen ihre Verfahren gem. Art. 100 GG aussetzen und das BVerfG anrufen. Angesichts der Wohnraumknappheit jedenfalls in Ballungszentren ist damit zu rechnen, dass es bald zu entsprechenden Vorlagen kommen wird. Es kommt hinzu, dass der Bereich der psychischen Erkrankungen (ICD-10 F00-F99) in den letzten zehn Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen hat. Für Anwältinnen und Anwälte, die Mieterinnen oder Mieter vertreten, die trotz des Berufens auf die Sozialklausel bei gesundheitlicher Härte zur Räumung verurteilt werden, gibt es beruflich kaum etwas Schlimmeres als die Nachricht, dass sich die aus der Wohnung geräumte Mandantin nach dem Auszug das Leben genommen hat.
Der Autor Dr. Michael Selk ist Fachanwalt für Strafrecht, Miet- und WEG-Recht sowie für Bau- und Architektenrecht. Er ist Partner bei Weiland Rechtsanwälte in Hamburg.
*Anm. d. Red.: Tippfehler korrigiert am Tag der Veröffentlichung, 18.47 Uhr, mam