Pro und Contra zur Reform der juristischen Ausbildung

Zwei Anträge zur Weiterentwicklung der juristischen Ausbildung – vor allem im Zusammenhang mit der fortschreitenden Digitalisierung - waren Gegenstand einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am 11.12.2020. Die geladenen acht Sachverständigen bewerteten die Anträge in ihren schriftlichen Stellungnahmen differenziert, standen einer weiteren Digitalisierung aber grundsätzlich positiv gegenüber.

Hirte verweist auf Regierungsentwurf zu ähnlichen Themen

Konkret ging es um einen Antrag der FDP-Fraktion mit dem Titel "Rechtsstandort Deutschland stärken – Juristische Ausbildung an das digitale Zeitalter anpassen" (BT-Drs. 19/23121) und einen der Fraktion Die Linke unter der Überschrift "Juristische Ausbildung reformieren, Transparenz und Qualität erhöhen, Chancengleichheit gewährleisten" (BT-Drs. 19/24643). Der stellvertretende Ausschussvorsitzende Heribert Hirte (CDU) verwies auf einen seit Mitte November 2020 vorliegenden Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Modernisierung des notariellen Berufsrechts und zur Änderung weiterer Vorschriften, wonach schriftliche juristische Prüfungen künftig auch elektronisch durchgeführt werden sollen und ein Teilzeitreferendariat ermöglicht werden soll.

Digitalisierung vor allem bei Rechtsfindung zu beachten

Heribert Anzinger von der Universität Ulm erklärte, digitale Geschäftsmodelle und der Bedeutungszuwachs von Daten und elektronischer Kommunikation und Prozessführung seien Herausforderungen für die Fortentwicklung des Rechts, die aber im bestehenden Kanon der juristischen Ausbildung gut bewältigt werden könnten. Etwas anderes gelte für die möglichen Einflüsse der Digitalisierung und eines Bedeutungszuwachses statistischer Methoden auf den Prozess der Rechtsfindung selbst. Hier seien Impulse zur Stärkung der Innovationsfähigkeit der juristischen Ausbildung geboten, die auch vom Bundesrecht ausgehen müssten.

Klausurbearbeitung am Computer soll möglich werden

Auch nach Ansicht von Michael Beurskens von der Universität Passau ist eine Klarstellung zur Berücksichtigung der Digitalisierung in den Pflichtfächern nicht erforderlich. Die klarstellende Aufnahme von für alle Studierenden notwendigen Kompetenzen in Fragen der Digitalisierung sei jedoch zu befürworten. Um die Juristenausbildung attraktiv zu gestalten, sei die Einführung der Klausurbearbeitung am Computer geboten. Ein konkreter Handlungsbedarf im Hinblick auf integrierte Bachelorabschlüsse bestehe nicht, und auch eine bundesweite Regelung zum Teilzeitreferendariat sei nicht geboten.

Qualität trotz Reformbedürftigkeit als ausreichend erachtet

Barbara Dauner-Lieb, Universität zu Köln, erklärte, es werde kaum noch bestritten, dass die juristische Ausbildung und vor allem die Praxis des Examens in verschiedenen Punkten reformbedürftig sind. Allerdings überzeichneten Charakterisierungen als "aus der Zeit gefallen", "nicht sehr studierendenfreundlich", "fehlende Transparenz und Chancengleichheit" wie im Antrag der Linken den Zustand der Juristenausbildung. Trotz aller Kritik und Probleme im Detail gewährleisteten die beiden Staatsexamina eine solide Qualitätssicherung des Nachwuchses der reglementierten juristischen Berufe.

Bei Digitalisierung gesamte Ausbildung in den Blick zu nehmen

Martin Groß, Präsident des Gemeinsamen Juristischen Prüfungsamtes Berlin-Brandenburg, betonte, bei der Entscheidung, in welcher Form die Digitalisierung in die juristische Ausbildung zu integrieren ist, sei die gesamte Ausbildung in den Blick zu nehmen: das Studium und das Referendariat, darüber hinaus die Fortbildung parallel zur beruflichen Praxis. Die Anwaltsakademie und die Richterakademie leisteten hier ebenfalls Beachtliches. Er halte daher die Anregungen zur Ergänzung des Richtergesetzes für entbehrlich.

DAV offen für digitale Neuerungen

Sven Hasenstab vom Deutschen Anwaltverein erklärte, die Diskussion zu der Frage, wie es gelingen kann, die fortschreitende Digitalisierung des Rechts auch in die juristische Ausbildung zu integrieren, werde begrüßt. Die Einführung eines Fachs "Digitalisierung des Rechts" im Grundstudium sei wünschenswert. Auch sonst sei der DAV gegenüber weiteren Anpassungen des Ausbildungssystems grundsätzlich aufgeschlossen, sofern darin keine Abkehr vom Staatsexamen und von der stärkeren Praxisorientierung liege. Der DAV begrüße es, dass das Thema "Legal Tech" nunmehr auch stärker in den Fokus der juristischen Ausbildung gerückt werden soll. Der Vorschlag, Prüfungsleistungen künftig auch digital erbringen zu können, werde unterstützt.

Erstes Staatsexamen als reformbedürftig erachtet

Nach Ansicht von Elisa Hoven von der Universität Leipzig ist das erste juristische Staatsexamen dringend reformbedürftig. Das derzeitige Prüfungssystem honoriere Auswendiglernen und unreflektiertes "Runterschreiben" und nicht ein grundlegendes Verständnis des juristischen Denkens und Arbeitens. Der Antrag der Links-Fraktion sei daher sehr zu begrüßen. Auch der Antrag der Fraktion der FDP verdiene Zustimmung. Der Digitalisierung werde in Zukunft eine entscheidende Bedeutung zukommen. Die schriftlichen Prüfungsleistungen sollten, dem Antrag der Linken folgend, künftig ebenfalls digital erbracht werden.

Studie: Studierende und Referendare sehen Defizite in Bereich "Recht der Digitalisierung"

Sebastian Omlor von der Philipps-Universität Marburg verwies auf eine Studie, wonach die Studierenden und Rechtsreferendare den größten Nachholbedarf für ihre Ausbildung im Bereich des Rechts der Digitalisierung sehen. Genau dort sollte auch der Schwerpunkt einer Reform der juristischen Ausbildung liegen. Dem Klausurschreiben per Computer in den juristischen Staatsprüfungen stünden keine grundsätzlichen Bedenken entgegen. Zur Frage eines in die Ausbildung integrierten Bachelors erklärte Omlor, der Bund könne dies bereits mangels Zuständigkeit nicht vorschreiben.

Einführung von Bachelorabschlüssen begrüßt

Anne Sanders von der Universität Bielefeld erklärte, eine Integration der technischen Entwicklung und ihrer Auswirkungen auf die Rechtsanwendung sei dringend geboten. Die von der FDP vorgeschlagene Gesetzesänderung hätte allerdings allein eher klarstellende Symbolwirkung. Auch Sanders hält die negative Bewertung der Juristenausbildung im Linken-Antrag für übertrieben. Das deutsche juristische Staatsexamen sichere eine vergleichsweise hohe Qualität der juristischen Ausbildung, die von der Praxis geschätzt werde. Trotzdem seien Reformen angezeigt. So würde sie die Einführung von Bachelorabschlüssen begrüßen.

Redaktion beck-aktuell, 14. Dezember 2020.