Politisch motivierte Kriminalität erreicht neuen Höchststand

Das Bundeskriminalamt (BKA) hat im vergangenen Jahr insgesamt 58.916 politisch motivierte Straftaten erfasst. Dies entspricht einer Steigerung um über 7% im Vergleich zum Vorjahr. Das geht aus der Jahresstatistik für 2022 hervor. Damit befindet sich die politisch motivierte Kriminalität (PMK) auf dem höchsten Stand seit Einführung der Statistik im Jahr 2001. Die meisten Gewaltopfer verzeichneten die Behörden durch rechtsmotivierte Straftaten.

Maßgebliche Faktoren: Corona, Ukrainekrieg, Angst vor Versorgungsengpass

"Wir müssen unsere Demokratie mit aller Kraft verteidigen - gegen innere genauso wie gegen äußere Bedrohungen", so Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die die aktuellen Fallzahlen gemeinsam mit BKA-Präsident Holger Münch in Berlin vorstellte. Der Anstieg der PMK bedeute im Zehn-Jahres-Vergleich nahezu eine Verdopplung (2013: 31.645), so die Pressemitteilung des Ministeriums. Das Allzeithoch sei vor allem eine Folge der besonders stark gestiegenen Straftaten, die nicht den klassischen Bereichen der politisch rechts oder politisch links motivierten Kriminalität zuzuordnen sind. Diese Delikte machten inzwischen 40,8% der gesamten politisch motivierten Straftaten aus. Ein wesentlicher Teil dieser Taten stehe im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Corona-Einschränkungen. Die Zahlen seien aber auch mit dem Krieg in der Ukraine und der Sorge vor einem Versorgungsengpass zu begründen. Zu den verübten Straftäten zählten etwa das Verwenden verbotener Symbole, Sachbeschädigungen, Beleidigung und Bedrohung sowie Körperverletzungen.

Rechtsextremismus bleibt größte Bedrohung

Gleichzeitig belege ein Anstieg der rechtsmotivierten Straftaten um gut 7% gegenüber dem Vorjahr, dass der Rechtsextremismus die größte Bedrohung für die freiheitliche demokratische Gesellschaft bleibt. Auch bei den Gewalttaten sei ein Anstieg um rund 12% registriert worden. Im vergangenen Jahr seien 41% aller erfassten Gewaltopfer von rechtsmotivierten Tätern verletzt worden."Die Bekämpfung der PMK ist deshalb weiterhin hoch priorisiert – im BKA genauso wie in den anderen Sicherheitsbehörden", beteuerte Münch. "Gemeinsam mit den Länderpolizeien halten wir daher an den Bekämpfungskonzepten fest und entwickeln diese weiter. Wir werden vorhandene Instrumente im Risikomanagement, wie die ‘Regelbasierte Analyse potentiell destruktiver Täter zur Einschätzung des akuten Risikos‘ (RADAR-rechts), konsequent anwenden und ausbauen, in komplexe Ermittlungsverfahren investieren und die Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet im BKA - einschließlich unserer Kooperationen mit NGOs - weiter ausbauen. Die Polizei bleibt auch in Krisenzeiten ein Garant für Stabilität in Demokratie und Gesellschaft", so Münch.

Mehr Straftaten von Reichsbürgern: Faeser fordert Verschärfung des Waffenrechts

Einen deutlichen Anstieg um knapp 40% auf 1.865 Fälle verzeichnete die Polizei im vergangenen Jahr auch bei den von sogenannten Reichsbürgern und Selbstverwaltern verübten Straftaten. Den Schwerpunkt bildeten hier den Angaben zufolge Nötigungen, Bedrohungen und Beleidigungen. Reichsbürger sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Der Verfassungsschutz rechnete der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter 2022 deutschlandweit etwa 23.000 Menschen zu. Ende 2022 hätten noch etwa 400 Reichsbürger über eine Erlaubnis zum Waffenbesitz verfügt, sagte Faeser. Um beim Entzug dieser Erlaubnisse schneller voranzukommen, müsse die von ihr vorgeschlagene Reform des Waffenrechts umgesetzt werden. Gegen Faesers Vorschlag gibt es unter anderem Bedenken beim Koalitionspartner FDP.

Rückgang antisemitischer Straftaten kein Grund zur Entwarnung

Die antisemitischen Straftaten seien demgegenüber im Jahr 2022 um 12,5% zurückgegangen. Nach dem Höchststand im Jahr 2021 sei dies allerdings kein Grund zur Entwarnung, zumal die Zahl der Gewalttaten auch in diesem Jahr erneut gestiegen ist. Der weit überwiegende Anteil von knapp 83% aller antisemitischen Gewalttaten seien dem Phänomenbereich rechts zuzurechnen. Zugleich sei ein immer lauterer islamistisch geprägter Antisemitismus zu beobachten. Die Innenministerin warnte davor, Hass und Hetze zu verharmlosen. Sie verwies auf den starken Anstieg von Straftaten, die sich gegen Asylunterkünfte und Geflüchtete richteten. Dass diese Straftaten zugenommen hätten, habe etwas mit dem gesellschaftlichen Klima zu tun, sagte Faeser. Deshalb müsse man bei diesem Thema immer überlegen, "wie wird die Kommunikation geführt, und da will ich vor allem noch einmal nach rechts außen auch zur AfD zeigen". Da aus Worten oft Taten würden, sei sie auch froh, dass der Verfassungsschutz rechtsextremistische Gruppierungen klar benenne. "Da ist ja unter anderem die Jugendorganisation der AfD dabei", sagte die SPD-Politikerin. Sie fügte hinzu: "Das sind wichtige Meilensteine".

Themenschwerpunkt Klimaproteste

Auch im Phänomenbereich "PMK links" sei die Zahl der Delikte deutlich um rund 31% gesunken, was insbesondere auf den Rückgang meist niedrigschwelliger Delikte im Kontext "Wahlen" nach dem "Superwahljahr" 2021 zurückzuführen ist (etwa Beschädigung von Wahlplakaten). Der Schwerpunkt linksmotivierter Straftaten im Jahr 2022 habe im Bereich Klimaproteste gelegen. In den beiden Themenfeldern "Klima" und "Umweltschutz" hätten die Behörden rund doppelt so viele Straftaten wie im Vorjahr registriert. "Wir behalten die Entwicklung im Bereich der Klimaproteste genau im Blick. Wir werden nicht zulassen, dass der für die Bekämpfung der Klimakrise dringend notwendige Rückhalt in unserer Gesellschaft durch Straftäter aufs Spiel gesetzt wird", so Faeser. Der Klimaschutz sei zwar ein wichtiges Anliegen, das sie selbst auch teile, betonte Faeser. "Aber ich teile nicht, dass man dafür Straftaten begehen muss und dass andere Menschen verletzt werden", fügte sie hinzu. Ihr mache es auch Sorge, "dass häufig Rettungswagen behindert werden". Die Frage, ob sie bei der Gruppe Letzte Generation Radikalisierungstendenzen sehe, verneinte die Ministerin.

Redaktion beck-aktuell, Miriam Montag, 15. Mai 2023 (ergänzt durch Material der dpa).

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