Niederländisches Gericht ruft EuGH wegen Zweifeln an Auslieferungen nach Polen an

Ein niederländisches Gericht hat wegen der Justizreformen in Polen grundsätzliche Zweifel an der Vollstreckung Europäischer Haftbefehle aus diesem Land und deshalb den Europäischen Gerichtshof angerufen. Es möchte wissen, ob ein Haftbefehl ohne weitere Einzelfallprüfung schon dann ausgesetzt werden kann, wenn die polnischen Gerichte "aufgrund struktureller und grundlegender Mängel nicht mehr unabhängig sind".

Entscheidung in wenigen Monaten möglich

In dem konkreten Fall niederländischen Fall geht es um einen Polen, der aus den Niederlanden rund 200 Kilogramm sowohl harter als auch weicher Drogen in sein Heimatland geschmuggelt haben soll. Bereits 2015 hatte das Bezirksgericht in Posen einen Haftbefehl gegen den Mann erlassen. Wann der EuGH ein Urteil in der Sache sprechen wird, ist nach Angaben des Sprechers noch unklar. Das Amsterdamer Gericht hat allerdings gebeten, seine Fragen als dringlich zu bewerten. Dies könnte bedeuten, dass es bereits in wenigen Monaten eine Entscheidung gibt.

Gericht zweifelt an Unabhängigkeit polnischer Gerichte

"Seit 2007 steht die Unabhängigkeit der polnischen Gerichte und dadurch das Recht auf einen ehrlichen Prozess immer stärker unter Druck“, teilte das Amsterdamer Gericht zu seinem sogenannten Vorabentscheidungsersuchen mit. Die Entwicklungen in den vergangenen Jahren wirkten sich so stark auf die Unabhängigkeit der polnischen Gerichte aus, dass diese nicht mehr unabhängig von der polnischen Regierung und dem polnischen Parlament sein könnten.

Gefahr unfairen Verfahrens wegen struktureller Mängel für Vollstreckungsverbot ausreichend?

Konkret will das Amsterdamer Gericht unter anderem wissen, ob ein Haftbefehl schon dann nicht ausgeführt werden kann, wenn gerichtlich festgestellt wurde, dass grundsätzlich eine "reelle Gefahr" eines unfairen Verfahrens besteht, weil die polnischen Gerichte "aufgrund struktureller und grundlegender Mängel nicht mehr unabhängig sind". Bislang ist es eigentlich so, dass im Einzelfall geprüft werden musste, ob sich Mängel auf das konkrete Verfahren des Betroffenen auswirken könnten.

EuGH verlangt zusätzlich Einzelfallprüfung

So hatte der EuGH bereits im Juli 2018 geurteilt, dass die umstrittene polnische Justizreform dazu führen kann, dass Behörden anderer EU-Länder Europäische Haftbefehle aus Polen künftig nicht vollstrecken dürfen. Allerdings baute der EuGH auch Hürden auf. Um die Vollstreckung des Haftbefehls ablehnen zu können, müssen die Behörden dem Urteil zufolge zunächst einmal geklärt haben, ob wegen systematischer oder allgemeiner Mängel im Justizsystem eine Gefahr für das Grundrecht auf ein faires Verfahren besteht. Anschließend ist dann aber auch noch zu prüfen, ob sich festgestellte Mängel im konkreten Fall auf das Verfahren des Betroffenen auswirken könnten. Dazu muss zum Beispiel untersucht werden, ob die Unzulänglichkeiten im Justizsystem auch auf jene Gerichte zutreffen, die sich mit dem Fall befassen würden. 

EuGH sah richterliche Unabhängigkeit durch Zwangspensionierung in Polen verletzt

Hintergrund des EuGH-Urteils von 2018 war damals der Fall eines in Irland verhafteten Polen, der sich gegen seine Auslieferung an die polnischen Behörden wehrte. Der wegen Drogenhandels verfolgte Mann argumentierte, wegen der Reform des polnischen Justizsystems bestehe die echte Gefahr, dass er in Polen kein faires Verfahren erhalte. Er stützte sich dabei unter anderem auf die Position der EU-Kommission, die der Ansicht ist, dass die Reform die Gewaltenteilung gefährde und die Unabhängigkeit von Gerichten einschränke. Dass dies tatsächlich so ist, befanden im November 2019 schließlich auch EuGH-Richter, als sie die Zwangspensionierung von Richtern in Polen für unionsrechtswidrig erklärten.

Auch OLG Karlsruhe hob Haftbefehl wegen Zweifel an fairem Verfahren in Polen auf

Im Februar 2020 hatte auch das OLG Karlsruhe den Haftbefehl gegen einen Verdächtigen aus Polen aufgehoben, weil es Zweifel an der Wahrung eines fairen Verfahrens in dessen Heimatland hatte. Eine endgültige Entscheidung über die Zulässigkeit der gewünschten Auslieferung werde allerdings erst erfolgen, nachdem die polnischen Behörden Gelegenheit zur Beantwortung der Anfrage des Senats hatten, hieß es damals vom Gericht.

Redaktion beck-aktuell, 5. August 2020 (dpa).