Polen: Disziplinarkammer hebt Immunität eines Richters auf

Die Disziplinarkammer von Polens Oberstem Gericht hat trotz einer einstweiligen Anordnung des Europäischen Gerichtshofs zum Stopp ihrer Tätigkeit die Immunität eines Richters aufgehoben. Die Kammer gab heute einem entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft statt, die strafrechtliche Verfolgung des Strafrichters Marek Pietruszynski zuzulassen. In Polen genießen Richter und Staatsanwälte Immunität. Sie muss gerichtlich aufgehoben werden, bevor ein Richter zur Verantwortung gezogen werden kann.

EuGH: Disziplinarkammer erfüllt Anforderungen an Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht 

Im Juli hatte der EuGH geurteilt, dass die Disziplinarkammer nicht alle Garantien für Unabhängigkeit und Unparteilichkeit bietet (BeckRS 2021, 18354). Später verfügte der EuGH mit einer einstweiligen Anordnung den Stopp der Tätigkeit der Kammer, woran sich Warschau aber nicht hält. Mittlerweile hat die EU-Kommission daher beim EuGH Sanktionen gegen Polen beantragt.

Disziplinarkammer arbeitet noch Bestandssachen ab

Die Disziplinarkammer ist das Herzstück der umstrittenen Reformen des polnischen Justizsystems der nationalkonservativen PiS-Regierung. Sie kann jeden Richter oder Staatsanwalt entlassen. Kritiker dieser Einrichtung befürchten, sie könne dazu dienen, Richter für unbotmäßige Entscheidungen zu maßregeln. Die Präsidentin des Obersten Gerichts hatte nach dem Druck der EU-Behörden zwar angeordnet, dass die Disziplinarkammer keine neuen Fälle bekommt. Sie arbeitet aber Bestandssachen ab.

Redaktion beck-aktuell, 23. September 2021 (dpa).