Pläne zum Tierhaltungslabel gehen Experten nicht weit genug

Großen Änderungsbedarf sieht die überwiegende Mehrheit der Sachverständigen am Gesetzesvorhaben der Bundesregierung, ein verpflichtendes Tierhaltungskennzeichen für Schweinefleisch einzuführen. Das ist das Ergebnis einer Anhörung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft. Der vorliegende Entwurf verbessere weder die Lebensbedingungen der Nutztiere noch werde der Verbraucherschutz erhöht.

Kritik an Aussparung von Wurstwaren

Laut Alexander Hinrichs, Geschäftsführer der "Initiative Tierwohl", ist das Vorhaben, eine verpflichtende Kennzeichnung von Lebensmitteln auf den Weg zu bringen, zwar zu begrüßen, jedoch blieben viele Bereiche ausgespart. So fehle "der wichtige Bereich der Gastronomie komplett", sagte Hinrichs. Ebenso seien be- und verarbeitete Waren wie Wurst und mariniertes Fleisch nicht mit einbezogen. Damit würden schätzungsweise zwei Drittel des Schweinefleischabsatzes in Deutschland kennzeichnungsfrei bleiben. Auch die Sauenhaltung und die Ferkelaufzucht wie auch andere Tierarten seien nicht in die Kennzeichnung einbezogen. Außerdem bestehe die Gefahr, dass bestehende Label, die der Verbraucher kenne und anerkenne, verdrängt würden.

Kennzeichnung mit Stufendefinitionen unzureichend

Neben der "Initiative Tierwohl", betonte deren Geschäftsführer, habe Anfang 2020 das "Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung" (Borchert-Kommission) Empfehlungen zum Umbau der Tierhaltung in Deutschland erarbeitet. Die Experten verwiesen auf den Abschlussbericht des Kompetenznetzwerkes. Im Vergleich dazu biete der aktuelle Gesetzentwurf ausschließlich eine Kennzeichnung mit Stufendefinitionen an. Einen Weg, wie die Tierhalter in welchem Zeitraum welches Zielbild entwickeln sollten, zeige der Gesetzentwurf hingegen nicht auf, kritisierte Hinrichs. Martin Schulz, Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e. V. (AbL) und Neuland-Schweinehalter in Niedersachsen, machte deutlich, dass eine reine Kennzeichnung nicht den großflächigen Umbau der Tierhaltung zur Folge haben werde. Dazu brauche es vor allem auch finanzielle Anreize und die Unterstützung bei der Entwicklung eines entsprechenden Marktes.

Höheres Tierwohlniveau mit Kosten verbunden

Zahlreiche privatwirtschaftliche Markenfleischprogramme, inklusive der Tierhaltung im ökologischen Landbau, hätten in den letzten Jahrzehnten einen erheblichen Teil der Tierhaltung in Deutschland auf ein höheres Tierwohlniveau bringen können. Ein Programm wie Neuland zeige seit 35 Jahren, wie eine landwirtschaftliche Tierhaltung mit wesentlich besseren Tierwohlbedingungen in artgerechten Stallsystemen in der landwirtschaftlichen Praxis auch wirtschaftlich funktionieren könne. Die Erfahrung habe jedoch auch gezeigt, dass allein aus dem Markt heraus ein Umbau der Tierhaltung finanziell nicht gelingen werde. Der größte Kritikpunkt der AbL liege darin, dass in der Kennzeichnung nur rund 60% des Schweinelebens abgebildet werde, die Sauenhaltung und die damit verbundene Ferkelaufzucht fänden dagegen keine Berücksichtigung.

Gefahr für Wettbewerbsfähigkeit deutscher Tierhaltung

Dirk Hesse, Sprecher der Initiative Schweinehaltung Deutschland (ISD), machte darauf aufmerksam, dass die Produktionskosten des deutschen Schweinefleisches bereits jetzt im weltweit oberen Drittel lägen. Dies insbesondere aufgrund der gesetzlichen Haltungsvorgaben. Bereits heute stammten mit steigender Tendenz über 28% des verzehrten Schweinefleisches aus Importen. Zusätzlich steige die Abhängigkeit von lebend importierten Ferkeln und Mastschweinen, und damit auch die Zahl der Tiertransporte. In Deutschland sei die Zahl der geschlachteten Mastschweine in den letzten sieben Jahren um mehr als 17% gesunken, mit noch stärker sinkender Tendenz. Die weitere Reduzierung der Tierhaltung werde zu zusätzlichen Arbeitsplatzverlusten bis 50% in der Nahrungsmittelbranche führen.

Fehlende Kontrollmöglichkeiten im Ausland

Auch Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, verwies auf die Ergebnisse der Borchert-Kommission. "Vor Jahren wurde damals unter etlichen anderen Punkten eine Kennzeichnungsregelung gefordert", erklärte Krüsken. Umso enttäuschender sei es aus Sicht der Landwirtschaft, dass der nun vorliegende Entwurf gravierende Schwachstellen aufweise, mit denen die angestrebte Lenkungswirkung nicht nur verfehlt, sondern in Teilen auch konterkariert werde. Die vorgesehenen Regelungen für eine freiwillige Kennzeichnung böten große Schlupflöcher für Verarbeiter, die sich der Kennzeichnung entziehen wollten, beispielsweise indem sie einen Verarbeitungsschritt ins europäische Ausland verlagerten. Solchen Umgehungsmöglichkeiten seien auch angesichts unzureichender Kontrolle Tür und Tor geöffnet. Die fehlenden Kontrollmöglichkeiten im Ausland seien völlig inakzeptabel. Schließlich bleibe noch anzumahnen, dass die weiteren Bestandteile eines schlüssigen Gesamtkonzeptes für die Weiterentwicklung der Tierhaltung – ein Tierwohl-Vorrang im Bau- und Genehmigungsrecht und ein tragfähiges und langfristig angelegtes Finanzierungskonzept für Tierwohlprämien – zügig und möglichst zeitgleich angegangen werden müssten.

Einsortieren in Haltungsstufen kein Gewinn für Tierwohl

Für Professor Lars Schrader, Leiter des Instituts für Tierschutz und Tierhaltung am Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit, geht es bei dem Gesetzentwurf in erster Linie um Verbraucherschutz und nicht in erster Linie um Tierwohl. Das Zuordnen in fünf Haltungsstufen sei "sehr formalistisch" und greife zu kurz. Er betonte, dass das "Management der Tierhaltung" entscheidend sei, das schlichte Einsortieren in Haltungsstufen führe nicht zu mehr Tierschutz. Vielmehr müsse sich der Gesetzgeber auf bauliche Standards und den Umgang der Halter mit seinen Tieren konzentrieren. Schrader betonte, er hätte sich eine freiwillige Kennzeichnung gewünscht, doch der Koalitionsvertrag sehe die Einführung einer verpflichtenden Tierhaltungskennzeichnung vor. Auch Anne Hamester, Fachreferentin für Tiere in der Landwirtschaft des Vereins Provieh, übte scharfe Kritik an dem Gesetzentwurf. Er sorge weder für mehr Transparenz noch schaffe er Anreize für bessere Tierhaltungsbedingungen. Der Einzelhandel, die Gastronomie und Außer-Haus-Verpflegung fehlten komplett. 

Kritik an Haltungsformen

Die fünf Haltungsformen im Kennzeichenentwurf seien irreführend und setzten "völlig falsche Anreize sowohl in Bezug auf defizitäre als auch tiergerechte Haltungsverfahren von Schweinen", so Hamester weiter. So sei die Haltungsform "Stall und Platz" als Stufe über dem gesetzlichen Mindeststandard aus tierschutzfachlicher Sicht untragbar. Die Haltungsform nach dem gesetzlichen Mindeststandard müsse Schweinen einen deutlichen Mehrwert bieten und sich als Haltungssystem deutlich abgrenzen. Hamester forderte, statt der Haltungsstufe "Stall und Platz" nach dem gesetzlichen Mindeststandard die Haltungsform, "Frischluftstall" folgen zu lassen. Danach solle die Haltungsform "Auslaufstall" als dritte Haltungsform folgen, in dieser Stufe sei nur die Stallhaltung mit angegliedertem Auslauf enthalten. Als zusätzliche Haltungsform solle "Freiland" für das Schweineleben auf Naturboden eingeführt werden, statt sie in die Haltungsform "Auslauf /Freiland" zu integrieren. Die Kennzeichnung müsse über die Haltung des kompletten Lebens der Tiere informieren und den Verlauf von der Geburt bis zur Schlachtung abbilden.

 

Ausschluss konventionell wirtschaftender Schweinehaltung kritisiert

Wie einige ihrer Vorredner verwies auch Nora Hammer, Geschäftsführerin Bundesverband Rind und Schwein auf die Ergebnisse des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung, der Borchert-Kommission. Damit sei bereits Anfang 2020 ein "schlüssiges Gesamtkonzept entwickelt worden". Die Umsetzung der Empfehlungen sei mit etlichen Akteuren in diversen Arbeitsgruppen diskutiert worden, und es seien Lösungsvorschläge vorgelegt worden. Der Gesetzentwurf verdeutliche hingegen, dass "künftig sehr einseitig nur noch Bio-, Neuland- und Tierschutzbund-Betriebe unterstützt werden sollen", bemängelte Hammer. Diese Betriebe machten jedoch lediglich 1% der Schweinproduktion in Deutschland aus. Die konventionell wirtschaftende Schweinehaltung werde dagegen von jedweden Perspektiven weitgehend ausgeschlossen. Das könne, insbesondere vor dem Hintergrund der Forderung nach bezahlbaren und vor allem verfügbaren tierischen Produkten, nicht mit einer bundesweiten Nutztierstrategie gewollt sein.

Redaktion beck-aktuell, 17. Januar 2023.