Der Hauptangeklagte im Missbrauchsprozess in Avignon ist wegen schwerer Vergewaltigung verurteilt worden. Dominique Pelicot hatte seine damalige Ehefrau fast zehn Jahre lang immer wieder mit Medikamenten betäubt, missbraucht und von Dutzenden Fremden vergewaltigen lassen. Die Taten hatte er vor Gericht gestanden.
In dem Mammutverfahren in Südfrankreich standen neben dem Hauptangeklagten 50 weitere Männer vor Gericht, denen Pelicot seine Frau für Übergriffe zur Verfügung gestellt hatte. Zum Tatzeitpunkt sollen sie zwischen 21 und 68 Jahren alt gewesen sein. Dominique Pelicot suchte den Kontakt zu ihnen auf einer Online-Plattform.
Alle wurden wegen schwerer oder einfacher Vergewaltigung zu Haftstrafen von bis zu 15 Jahren verurteilt. Lediglich einen Angeklagten verurteilte das Gericht wegen versuchter Vergewaltigung. Eine Handvoll der Verurteilten kommt wegen der bereits verbüßten Untersuchungshaft frei. In der Summe blieb das Gericht mit seinem Strafmaß aber deutlich unter den Forderungen der Staatsanwaltschaft.
Gisèle Pelicot ist zum Vorbild geworden
Der Fall hatte die Menschen weit über die Grenzen Frankreichs hinaus erschüttert. Die Urteilsverkündung wurde von einem großen Medieninteresse und außergewöhnlichen Sicherheitsvorkehrungen begleitet. Wie das Gericht mitteilte, hatten sich 180 Journalistinnen und Journalisten angemeldet, darunter 86 Medienvertreter aus dem Ausland.
Gisèle Pelicot hatte in einem ungewöhnlichen Schritt entschieden, den Prozess öffentlich und nicht hinter verschlossenen Türen führen zu lassen. Sie habe sich nichts vorzuwerfen, betonte die Anfang-Siebzigjährige. Sie wolle, dass andere missbrauchte Frauen durch sie Mut bekämen, sagte sie vor Gericht. "Ich will, dass sie keine Schande mehr verspüren. Nicht wir sollten uns schämen, sondern sie." Wegen dieser Entscheidung sehen viele in Pelicot ein Vorbild und eine feministische Ikone.
Der jahrelange sexuelle Missbrauch Pelicots war vor vier Jahren eher zufällig aufgeflogen. Dominique Pelicot war im September 2020 festgenommen worden, nachdem er Frauen im Supermarkt unter den Rock gefilmt hatte. Polizeibeamte hatten den Computer des Mannes untersucht und dabei Hunderte Fotos und Videos entdeckt, die den Missbrauch dokumentierten.
Antidiskriminierungsbeauftragte: "Jeder Gerichtsprozess hilft"
Auch in Deutschland gab es bereits erste Reaktionen auf das Urteil. Bundesfrauenministerin Lisa Paus hat die Verurteilung als wichtiges Zeichen gewürdigt. Die Grünen-Politikerin mahnte: "Der Fall von Gisèle Pelicot ist kein Einzelfall. Selbst über Landesgrenzen hinweg bilden sich Netzwerke, in denen Männer Gewalt gegen Frauen planen und umsetzen." Paus forderte, man müsse gegen die systematische Verachtung von Frauen vorgehen und prüfen, wo es Lücken mit Blick auf digitale Gewalt gebe. Zudem müsse sich die Gesellschaft klar positionieren.
Auch die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, hat die Relevanz solcher Prozesse betont. "Jeder Gerichtsprozess hilft unzähligen anderen Betroffenen", sagte sie in einem Statement. Das Verfahren in Südfrankreich zeige, dass es sich lohne, Täter vor Gericht zu bringen. "Denn es muss klar sein: Sexuelle Gewalt, und auch jede Form von sexueller Belästigung, ist verboten - auch bei uns in Deutschland", so Ataman.
Die Bundesgeschäftsführerin der Opferschutzorganisation Weißer Ring, Bianca Biwer, sagte: "Gisèle Pelicot ist nicht nur eine bewundernswert tapfere Frau - ihr ist ohne jede Einschränkung zuzustimmen, wenn sie fordert: Die Scham muss die Seite wechseln." Niemand müsse sich schämen, Opfer einer Straftat geworden zu sein, so Biwer. Für ihre Taten seien allein die Täter verantwortlich. "Ich wünsche mir sehr, dass diese Erkenntnis endlich auch in Deutschland die letzten Zweifler erreicht, die immer noch meinen, die Kleidung eines Vergewaltigungsopfers oder der Trennungswunsch eines Femizidopfers hätten etwas mit dem Verbrechen zu tun."
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Anwältin Dominique Pelicots, Béatrice Zavarro, sagte nach der Verkündung, ihr Mandant habe das Urteil zur Kenntnis genommen. Ob er in Berufung gehe, sei noch nicht entschieden.