Erstmals hatte das OVG dabei eigenen Angaben zufolge auch das Erstarken der Protestbewegung im Iran seit September 2022 einzubeziehen (Entscheidungen vom 12. und 14.12.2023 – 2 LB 8/22, 2 LB 9/22, 2 LB 7/22, 2 LB 2/2). Die Revision wurde in allen Verfahren nicht zugelassen.
Im Verfahren einer 2016 nach Deutschland eingereisten Iranerin (2 LB 8/22) stellte das OVG klar, dass Frauen mit einem identitätsprägendes Bekenntnis zu "westlichen" Werten, die sich nicht diesen Werten widersprechenden Vorschriften des iranischen Staates unterwerfen wollen, nicht zugemutet werden könne, sich im Iran anzupassen. Ihnen sei daher Schutz zu gewähren.
"Westlicher" Lebensstil muss identitätsprägend sein
Zum Verhalten, das die Identifikation mit westlichen Werten zeige, zähle, kein Kopftuch zu tragen, sich für die Gleichheit der Geschlechter einzusetzen oder sonstige regimekritische Handlungen zu begehen, die eine Verfolgungsgefahr auslösen. Eine Verfolgungsgefahr bejahte das OVG im Fall der 2016 Eingereisten auch deshalb, weil sie sich "hervorgehoben exilpolitisch betätigt habe". Ein Foto, das sie bei einer Demonstration zum Jahrestag des Todes von Jina Mahsa Amini zeige, sei mit ihrem Namen in einer namhaften überregionalen Tageszeitung veröffentlicht worden und im Internet leicht auffindbar
Der "westliche" Lebensstil einer anderen Iranerin reichte dem OVG indes nicht aus. Zwar trage sie kein Kopftuch, arbeite in Deutschland und an habe an Demonstrationen teilgenommen. Auch sei ihre Familie zum Christentum konvertiert. Allein einen längeren Aufenthalt im westlichen Ausland, eine Asylantragstellung im Ausland, die illegale Ausreise, eine reine Formalkonversion zum Christentum durch Taufe sowie eine bloße Demonstrationsteilnahme in Deutschland ohne weitere hinzutretende Umstände machten eine Verfolgungsgefahr aber noch nicht hinreichend wahrscheinlich.
Einsetzen für Belange der Ahwazi kann Verfolgungsgefahr begründen
In einem weiteren Fall (2 LB 7/22) stellt das OVG klar, dass Angehörige der Ahwazi im Iran keiner Gruppenverfolgung durch den iranischen Staat ausgesetzt seien – auch wenn sie oft faktisch diskriminiert und eingeschränkt würden. Das Einsetzen für die Belange der Ahwazi könne aber vom Iran als regimekritisch bewertet werden. Einem Iraner, der aufgrund seiner namentlichen Nennung als Mitorganisator einer Demonstration in Deutschland auf einer Internetseite eines Vereins, der sich für Menschenrechte der Ahwazi einsetzt, drohe daher im Iran die Gefahr einer Verfolgung. Er sei schutzberechtigt.
Auch die Berufung eines weiteren iranischen Staatsangehörigen war erfolgreich (2 LB 2/23). Dieser hatte bereits zuvor erfolglos ein Asylverfahren in der Bundesrepublik durchlaufen und 2020 einen Folgeantrag gestellt, da seines Erachtens neue relevante Umstände eingetreten waren. Das OVG bejaht einen Anspruch des Mannes auf inhaltliche Prüfung seines Antrags. Der Folgeantrag sei nicht schon aufgrund der allgemein veränderten Lage im Iran zulässig. Der Iraner habe aber im Berufungsverfahren substantiiert – seine Person betreffenden – neuen Sachverhalt vorgetragen, nach dem eine Schutzgewährung in einem Folgeverfahren möglich sei. Dass er die vorgetragenen Nachfluchttatbestände selbst geschaffen habe (vgl. § 28 Abs. 2 AsylG), sei bei der inhaltlichen Prüfung, nicht jedoch bei der Zulässigkeit des Asylfolgeantrags zu berücksichtigen.