OVG-Ur­teil bringt AfD-Ver­bots­de­bat­te zu­rück
© Noah Wedel

Der Ver­fas­sungs­schutz darf die ge­sam­te AfD als rechts­ex­tre­mis­ti­schen Ver­dachts­fall füh­ren. Die Hoch­stu­fung zur ge­si­chert rechts­ex­tre­mis­ti­schen Be­stre­bung ist wahr­schein­lich, die For­de­run­gen nach einem AfD-Ver­bots­ver­fah­ren wer­den wie­der lau­ter. Doch was gibt das Ur­teil aus Müns­ter dafür wirk­lich her?

Das OVG in Müns­ter hat die Ein­stu­fung der AfD als rechts­ex­tre­mis­ti­schen Ver­dachts­fall ge­bil­ligt. Damit darf das Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz (BfV) die Par­tei wei­ter­hin mit nach­rich­ten­dienst­li­chen Mit­teln be­ob­ach­ten (Ur­tei­le vom 13.05.2024 - 5 A 1216/22, 5 A 1217/22 und 5 A 1218/22). Das Ge­richt habe ge­nü­gend tat­säch­li­che An­halts­punk­te für ver­fas­sungs­feind­li­che Be­stre­bun­gen ge­fun­den, be­ton­te der Vor­sit­zen­de Rich­ter des 5. Se­nats, Ge­rald Buck, die gegen die Men­schen­wür­de be­stimm­ter Per­so­nen­grup­pen sowie gegen das De­mo­kra­tie­prin­zip ge­rich­tet seien.

Als mög­li­chen nächs­ten Schritt nach dem Ur­teil könn­te der Ver­fas­sungs­schutz die ge­sam­te AfD als ge­si­chert rechts­ex­tre­mis­ti­sche Be­stre­bung ein­stu­fen. Hoch­schul­leh­rer Mar­kus Ogo­rek von der Uni­ver­si­tät zu Köln hält das für wahr­schein­lich: "Es ist ein of­fe­nes Ge­heim­nis, dass im Bun­des­amt seit ei­ni­gen Mo­na­ten ein weit­ge­hend fer­tig­ge­stell­tes Fol­ge­gut­ach­ten vor­liegt, das die Hoch­stu­fung der AfD als ‚ge­si­chert ex­tre­mis­ti­sche Be­stre­bung‘ zum Ge­gen­stand hat".

Man habe je­doch die Müns­te­ra­ner Ent­schei­dung ab­war­ten wol­len, was Ogo­rek für rich­tig hält: "Das erst­in­stanz­li­che Ur­teil des Ver­wal­tungs­ge­richts Köln weist an ei­ni­gen Stel­len ar­gu­men­ta­ti­ve Lü­cken auf, die das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt in sei­nen schrift­li­chen Grün­den nun si­cher­lich schlie­ßen wird", sagte der Di­rek­tor des In­sti­tuts für Öf­fent­li­ches Recht und Ver­wal­tungs­leh­re ge­gen­über beck-ak­tu­ell. "Nach mei­ner Wahr­neh­mung wird der Ver­fas­sungs­schutz ver­su­chen, die Hoch­stu­fung noch vor den drei ost­deut­schen Land­tags­wah­len im Herbst um­zu­set­zen."

Soll­te die Ge­samt­par­tei tat­säch­lich zur "ge­si­chert ex­tre­mis­ti­schen Be­stre­bung" er­ho­ben wer­den, droh­ten zu­min­dest für Par­tei­mit­glie­der auf der Ebene des Ver­wal­tungs­rechts ein­schnei­den­de­re Fol­gen, etwa waf­fen- und ins­be­son­de­re be­am­ten­recht­li­cher Art, so Ogo­rek.

Wich­ti­ger Be­stand­teil für ein Ver­bots­ver­fah­ren?

Be­reits we­ni­ge Stun­den nach der Ur­teils­ver­kün­dung brach­ten Po­li­ti­ker und Po­li­ti­ke­rin­nen von Die Linke und von Bünd­nis 90/Die Grü­nen er­neut ein Par­tei­ver­bot ins Ge­spräch. Eine ent­spre­chen­de For­de­rung stell­te etwa der Par­la­men­ta­ri­sche Ge­schäfts­füh­rer der Grü­nen, Till Stef­fen. Das Ur­teil sei ein sehr wich­ti­ger Be­stand­teil für die Ma­te­ri­al­samm­lung, die es für die Prü­fung eines AfD-Ver­bots­an­trags brau­che, sagte der Rechts­po­li­ti­ker ge­gen­über t-on­line.

Auch der ehe­ma­li­ge CDU-Ost­be­auf­trag­te Marco Wan­der­witz kün­dig­te laut Zeit-on­line an, einen dies­be­züg­li­chen An­trag im Bun­des­tag auf den Weg zu brin­gen. Bun­des­jus­tiz­mi­nis­ter Marco Busch­mann (FDP) äu­ßer­te sich da­ge­gen vor­sich­ti­ger. Das Wich­tigs­te sei nach wie vor, rechts­po­pu­lis­ti­sche Par­tei­en po­li­tisch zu be­kämp­fen.

"Ganz an­de­rer Be­wer­tungs­maß­stab als im Ver­bots­ver­fah­ren"

Staats­recht­ler Chris­ti­an Wald­hoff von der HU Ber­lin warnt auf beck-ak­tu­ell-An­fra­ge davor, aus dem Ur­teil vor­ei­li­ge Schlüs­se auf ein even­tu­el­les Ver­bots­ver­fah­ren zu zie­hen. "Das Ur­teil be­han­delt nur die nach­rich­ten­dienst­li­chen Be­fug­nis­se des Bun­des­amts für Ver­fas­sungs­schutz. Bei einem even­tu­el­len Ver­bots­ver­fah­ren würde ein ganz an­de­rer Be­wer­tungs­maß­stab an­ge­legt", so der Pro­fes­sor, der mit einem Kol­le­gen als Pro­zess­ver­tre­ter des Bun­des­rats das – letzt­lich er­folg­lo­se - Par­tei­ver­bots­ver­fah­ren sowie das er­folg­rei­che Fi­nan­zie­rungs­aus­schluss­ver­fah­ren gegen die NPD (heute: Die Hei­mat) für Bun­des­tag, Bun­des­rat und Bun­des­re­gie­rung ge­führt hat.

Eine Pro­gno­se will er nicht wagen. Selbst wenn der Ver­fas­sungs­schutz in den kom­men­den Wo­chen die Ein­stu­fung der ge­sam­ten Par­tei als ge­si­chert rechts­ex­tre­mis­tisch vor­neh­men soll­te, sei der Maß­stab in einem Ver­bots­ver­fah­ren immer noch viel stren­ger. "Eine se­riö­se Aus­sa­ge zu Er­folgs­aus­sich­ten eines Ver­bots­ver­fah­rens gegen die AfD könn­te man je­doch nur tref­fen, wenn man die Ma­te­ri­al­samm­lung der Ver­fas­sungs­schutz­be­hör­den kennt."

Auch Ogo­rek sieht ein Par­tei­ver­bot nicht in greif­ba­re Nähe ge­rückt. "In Karls­ru­he ginge es nicht wie im Ver­fas­sungs­schutz­recht um tat­säch­li­che An­halts­punk­te, son­dern um den Voll­be­weis, dass die Par­tei in ihrer ge­sam­ten Brei­te ver­fas­sungs­feind­li­che Po­si­tio­nen ver­tritt. Ins­be­son­de­re bei der AfD, die trotz ihrer fort­dau­ern­den Ra­di­ka­li­sie­rung in So­zia­len Netz­wer­ken merk­lich um­sich­ti­ger agiert und ein weit­ge­hend un­an­greif­ba­res Par­tei­pro­gramm vor­hält, fiele ein sol­cher Be­weis wohl sehr schwer. Zu­min­dest bis die Ge­samt­par­tei als "ge­si­chert ex­tre­mis­tisch" ein­ge­stuft und diese Ka­te­go­ri­sie­rung eben­falls durch die Ver­wal­tungs­ge­richts­bar­keit be­stä­tigt wurde, bleibt ein Ver­bots­ver­fah­ren recht un­rea­lis­tisch."

Einen An­trag für ein Ver­bots­ver­fah­ren könn­ten der Bun­des­tag, die Bun­des­re­gie­rung oder der Bun­des­rat stel­len, ent­schei­den würde das BVerfG.

Re­vi­si­on nicht zu­ge­las­sen

Die AfD wehrt sich in dem Ver­wal­tungs­ver­fah­ren da­ge­gen, dass der Ver­fas­sungs­schutz die ge­sam­te Par­tei, den of­fi­zi­ell mitt­ler­wei­le auf­ge­lös­ten AfD-"Flü­gel" und die Ju­gend­or­ga­ni­sa­ti­on Junge Al­ter­na­ti­ve als ex­tre­mis­ti­schen Ver­dachts­fall führt. Beim "Flü­gel" ging es zudem um die Ein­stu­fung als ge­si­chert rechts­ex­tre­mis­tisch. Das OVG hat diese Ein­stu­fun­gen wie zuvor schon das VG Köln ge­bil­ligt: Es be­stehe der be­grün­de­te Ver­dacht, dass es den po­li­ti­schen Ziel­set­zun­gen je­den­falls eines ma­ß­geb­li­chen Teils der AfD ent­spre­che, deut­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen mit Mi­gra­ti­ons­hin­ter­grund nur einen recht­lich ab­ge­wer­te­ten Sta­tus zu­zu­er­ken­nen. Dies stel­le eine nach dem Grund­ge­setz un­zu­läs­si­ge Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund der Ab­stam­mung dar, die mit der Men­schen­wür­de­ga­ran­tie nicht zu ver­ein­ba­ren sei, stell­te das OVG fest.

Ver­fas­sungs­wid­rig und mit der Men­schen­wür­de un­ver­ein­bar sei nicht die de­skrip­ti­ve Ver­wen­dung eines "eth­nisch-kul­tu­rel­len Volks­be­griffs", aber des­sen Ver­knüp­fung mit einer po­li­ti­schen Ziel­set­zung, mit der die recht­li­che Gleich­heit aller Staats­an­ge­hö­ri­gen in Frage ge­stellt wird. Hier be­stün­den hin­rei­chen­de tat­säch­li­che An­halts­punk­te für der­ar­ti­ge dis­kri­mi­nie­ren­de Ziel­set­zun­gen. Dem Senat liege eine große An­zahl von gegen Mi­gran­ten ge­rich­te­ten Äu­ße­run­gen vor, mit denen diese auch un­ab­hän­gig vom Aus­maß ihrer In­te­gra­ti­on in die deut­sche Ge­sell­schaft sys­te­ma­tisch aus­ge­grenzt wer­den und trotz ihrer deut­schen Staats­an­ge­hö­rig­keit ihre voll­wer­ti­ge Zu­ge­hö­rig­keit zum deut­schen Volk in Frage ge­stellt werde. Da­ne­ben be­stün­den hin­rei­chen­de An­halts­punk­te für den Ver­dacht, dass die AfD Be­stre­bun­gen ver­folgt, die mit einer Miss­ach­tung der Men­schen­wür­de von Aus­län­dern und Mus­li­men ver­bun­den sind. In der AfD wür­den in gro­ßem Um­fang her­ab­wür­di­gen­de Be­grif­fe ge­gen­über Flücht­lin­gen und Mus­li­men ver­wen­det, zum Teil in Ver­bin­dung mit kon­kre­ten, gegen die gleich­be­rech­tig­te Re­li­gi­ons­aus­übung von Mus­li­men ge­rich­te­ten For­de­run­gen. Nach Auf­fas­sung des Se­nats lie­gen bei der AfD dar­über hin­aus An­halts­punk­te für de­mo­kra­tie­feind­li­che Be­stre­bun­gen vor, wenn auch nicht in der Häu­fig­keit und Dich­te wie vom Bun­des­amt an­ge­nom­men.

Der Prä­si­dent des BfV, Tho­mas Hal­den­wang, fei­er­te den "Sieg auf gan­zer Linie" sei­ner Be­hör­de, Bun­des­in­nen­mi­nis­te­rin Nancy Fae­ser (SPD), in deren Ver­ant­wor­tungs­be­reich das BfV fällt, be­wer­tet das Ur­teil als Be­stä­ti­gung der Ar­beit des Ver­fas­sungs­schut­zes. Die AfD, die nach ei­ge­nen An­ga­ben schon seit Wo­chen von einer Nie­der­la­ge in Müns­ter aus­ging, hat be­reits an­ge­kün­digt, da­ge­gen das BVer­wG in Leip­zig an­ru­fen zu wol­len. Das dürf­te al­ler­dings gar nicht ganz ein­fach wer­den.

"Da das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt die Re­vi­si­on zum Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt nicht zu­ge­las­sen hat, steht für die AfD-An­wäl­te nun zu­nächst die auf­wän­di­ge und kom­ple­xe Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de an, bevor sie ihrem ei­gent­li­chen Ziel – einer Ver­fas­sungs­be­schwer­de – näher kom­men", er­läu­tert Ogo­rek.

OVG Münster, Urteil vom 13.05.2024 - 5 A 1216/22

Redaktion beck-aktuell, Denise Dahmen, 13. Mai 2024 (ergänzt durch Material der dpa).

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