Sachsen-Anhalt: Normenkontrollanträge gegen Corona-Maßnahmen teilweise erfolgreich

In Sachsen-Anhalt war ein Normenkontrollantrag gegen die grundsätzliche coronabedingte Untersagung der Öffnung von Ladengeschäften jeder Art über 800 Quadratmeter Verkaufsfläche erfolgreich. Das Oberverwaltungsgericht Magdeburg entschied, dass die zugrunde liegende Regelung zu unbestimmt und damit unwirksam war. Keinen Erfolg hatte dagegen eine Gaststättenbetreiberin, die die Regelung zur Schließung von Gaststätten für den Publikumsverkehr angegriffen hatte.

Maßnahmen beruhten jeweils auf 4. SARS-CoV-2-EindV

Beide Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Rechtsgrundlage für die streitgegenständlichen Maßnahmen war jeweils die – mittlerweile außer Kraft getretene – Vierte Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Sachsen-Anhalt (4. SARS-CoV-2-EindV), die am 20.04.2020 in Kraft trat, in der geänderten Fassung vom 21.04.2020. Die Antragstellerin im Verfahren 3 K 55/20 betreibt im gesamten Bundesgebiet, unter anderem in Sachsen-Anhalt, eine Vielzahl von Warenhäusern mit branchenübergreifendem Sortiment, das neben allgemein nachgefragten Konsumgütern insbesondere auch Lebensmittel sowie Hygiene- und Drogerieartikel für den täglichen Bedarf umfasst. Alle Warenhäuser hätten eine Verkaufsfläche von deutlich mehr als 800 Quadratmetern, im Durchschnitt circa 12.500 Quadratmeter je Warenhaus. Die Antragstellerin begehrt die Feststellung, dass § 7 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 2a der 4. SARS-CoV-2-EindV, der die Untersagung der Öffnung von großen Ladengeschäften regelte, unwirksam war.

OVG hält Regeln für zu unbestimmt und daher unwirksam

Das OVG hat dem Antrag stattgegeben und festgestellt, dass die streitgegenständlichen Verordnungsregelungen unwirksam waren. Die Regelungen seien inhaltlich zu unbestimmt gewesen. Zwar hätten sie in § 7 Abs. 1 und 2 der 4. SARS-CoV-2-EindV für sich betrachtet unmissverständlich deutlich gemacht, welche Ladengeschäfte unter welchen Bedingungen für den Publikumsverkehr geöffnet werden dürfen (Ladengeschäfte jeder Art mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmeter, größere Ladengeschäfte nur, wenn sie in Abs. 2 der Regelung aufgezählt waren). Ladengeschäfte mit einer Verkaufsfläche über 800 Quadratmeter seien danach unmissverständlich geschlossen zu halten gewesen. Die konkrete inhaltliche Reichweite der Regelung in § 7 Abs. 1 der 4. SARS-CoV-2-EindV sei indes in der Zusammenschau nicht nur mit Absatz 2, sondern auch mit Absatz 2a zu bestimmen. Dort sei wie in Abs. 2 eine weitere Ausnahme von dem grundsätzlichen Schließungsgebot für Ladengeschäfte jeder Art über 800 Quadratmeter Verkaufsfläche vorgesehen gewesen. Nach § 7 Abs. 2a der 4. SARS-CoV-2-EindV sei Ladengeschäften mit Mischsortiment nach § 5 Abs. 4 der Dritten SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung, deren Öffnung im Geltungszeitraum der Dritten SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung als zulässig angesehen wurde, weil der Anteil des nach § 5 Abs. 2 der Dritten SARSCoV-2-Eindämmungsverordnung zugelassenen (privilegierten) Sortiments einen nicht nur unerheblichen Anteil am Gesamtsortiment umfasst, weiterhin die Öffnung unabhängig von der Einhaltung der Größenbegrenzung von 800 Quadratmetern nach Absatz 1 zu gestatten gewesen.

Erforderlicher Anteil privilegierten Warensortiments an Gesamtsortiment unklar

Wann von einem "nicht nur unerheblichen Anteil am Gesamtsortiment" zu sprechen ist, sei hingegen offengeblieben, rügt das OVG. Für den durchschnittlichen (objektiven) Normadressaten sei unklar geblieben, wann von einem "nicht nur unerheblichen Anteil" des privilegierten Warensortiments am Gesamtsortiment auszugehen ist. Folge sei gewesen, dass die Öffnung auch eines Ladengeschäfts mit Mischsortiment und einer Verkaufsfläche von über 800 Quadratmeter abweichend von § 7 Abs. 1 Satz 1 der 4. SARS-CoV-2-EindV ausnahmsweise doch gestattet gewesen sei. Der Wortlaut der Regelung des § 7 Abs. 2 der 4. SARS-CoV-2-EindV lasse insoweit keine hinreichend bestimmbare Interpretation dahingehend zu, welche (größeren) Ladengeschäfte des nichtprivilegierten Einzelhandels der Verordnungsgeber von der grundsätzlichen Schließungsanordnung ausnehmen wollte. Auch die amtliche Begründung zur 4. SARS-CoV-2-EindV habe hierzu keinen voraussehbaren Aufschluss gegeben.

Anordnung der Schließung von Gaststätten dagegen rechtswirksam

Ohne Erfolg blieb hingegen der Antrag einer Gaststättenbetreiberin auf Feststellung der Unwirksamkeit der Schließungsanordnung von Gaststätten für den Publikumsverkehr nach § 6 Abs. 1 der 4. SARS-CoV-2-EindV (Az.: 3 K 72/20), wonach Gaststätten im Sinn des Gaststättengesetzes des Landes Sachsen-Anhalt für den Publikumsverkehr zu schließen waren. Das OVG meint, die Regelung sei weder formell noch materiell zu beanstanden. Insbesondere sei die Maßnahme geeignet gewesen, die Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 zu verhindern und damit den Erhalt der Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens und insbesondere der Krankenhäuser zu gewährleisten. Insoweit sei sie auch erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne gewesen. Zwar habe die Antragstellerin neben einer Vielzahl anderer Gastronomiebetriebe einen empfindlichen Eingriff in ihre Berufsausübung und massive Einkommenseinbußen mit der Gefahr existentieller Folgen hinnehmen müssen. Es sei jedoch durch eine Reihe von flankierenden staatlichen Maßnahmen versucht worden, diese Eingriffe und Folgen aufzufangen, wenn möglich zu vermeiden beziehungsweise zu kompensieren. Das private, vorwiegend wirtschaftliche Interesse der Betroffenen einschließlich der Antragstellerin bleibe hinter dem öffentlichen Interesse an Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit der Bevölkerung zurück. 

OVG Magdeburg, Urteil vom 30.06.2022 - 3 K 55/20

Redaktion beck-aktuell, 30. Juni 2022.