Umfassendes Prostitutionsverbot in Niedersachsen vorläufig außer Vollzug gesetzt
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Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat das umfassende Verbot der Ausübung der Prostitution und der Erbringung von Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Prostitution in der niedersächsischen Corona-Verordnung vorläufig außer Vollzug gesetzt. Es sei angesichts des aktuellen Infektionsgeschehens nicht mehr erforderlich und auch unter Aspekten der Gleichbehandlung nicht gerechtfertigt.

Bordellbetreiber begehrte vorläufige Außervollzugsetzung des Komplettverbots

Der Antragsteller betreibt in Niedersachsen eine Prostitutionsstätte. Er wandte sich mit einem Normenkontrolleilantrag gegen das umfassende Verbot der Ausübung der Prostitution und der Erbringung von Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Prostitution nach § 10c der niedersächsischen Corona-Verordnung. Er machte geltend, die vollständige Untersagung sei keine notwendige Infektionsschutzmaßnahme mehr und es liege ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vor.

OVG: Komplettverbot angesichts aktuellen Infektionsgeschehens nicht mehr erforderlich

Der Normenkontrolleilantrag hatte Erfolg. Unter Berücksichtigung des aktuellen Infektionsgeschehens und der Relevanz der Prostitutionsausübung für das Infektionsgeschehen sei das umfassende und ausnahmslose Verbot der Ausübung der Prostitution und der Erbringung von Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Prostitution, wie es in der gerügten Regelung angeordnet werde, offensichtlich nicht mehr erforderlich. Den Regelungsadressaten könnten vielmehr mildere Beschränkungen auferlegt werden, die gleichermaßen zur Förderung des legitimen öffentlichen Zwecks des Gesundheitsschutzes geeignet seien.

Ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber anderen körpernahen Dienstleistungen

Darüber hinaus verletze das umfassende Verbot der Ausübung der Prostitution und der Erbringung von Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Prostitution den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Unter Berücksichtigung des infektionsschutzrechtlichen Gefahrengrades der verbotenen Tätigkeiten und auch aller sonstigen relevanten Belange bestünden insbesondere mit Blick auf die sonstigen körpernahen Dienstleistungen, wie sie in § 10b der niedersächsischen Corona-Verordnung behandelt worden seien, keine nachvollziehbaren sachlichen Gründe, die eine weitere Aufrechterhaltung des umfassenden und ausnahmslosen Prostitutionsverbots rechtfertigen könnten.

Außervollzugsetzung der gesamten Regelung geboten

Die konstatierten Freiheits- und Gleichheitsverstöße führten zu einer Verletzung des Antragstellers in seinen Grundrechten aus Art. 12 Abs. 12 Abs. 1 GG und 3 Abs. 1 GG und begründeten mit Blick auf die Verletzung der Berufsfreiheit der Betreiber/innen von Prostitutionsstätten und Prostitutionsfahrzeugen, der Veranstalter/innen von Prostitutionsveranstaltungen, der Erbringerinnen und Erbringer von sexuellen Dienstleistungen, von Leistungen der Prostitutionsvermittlung sowie von erotischen Massagen in einer Prostitutionsstätte oder einem Prostitutionsfahrzeug sowie den in der Straßenprostitution Tätigen aus Art. 12 Abs. 1 GG zugleich einen gewichtigen Nachteil, der eine vorläufige Außervollzugsetzung des § 10c der niedersächsischen Corona-Verordnung in Gänze gebiete.

Bis Neuregelung gelten allgemeine Beschränkungen für körpernahe Dienstleistungen

Eine Unterminierung der fraglos komplexen Pandemiebekämpfungsstrategie des Landes Niedersachsen stehe demgegenüber nicht zu befürchten. Denn die vorläufige Außervollzugsetzung habe zwar zur Folge, dass das umfassende Verbot der Prostitutionsausübung als solches nicht mehr zu beachten ist. Bis zu einer etwaigen Neuregelung durch den Verordnungsgeber seien aber die allgemeinen Beschränkungen des § 10b der niedersächsischen Corona-Verordnung zu beachten, die für die Erbringung aller körpernahen Dienstleistungen gelten.

OVG Lüneburg, Beschluss vom 08.06.2021 - 08.06.2021 13 MN 298/21

Redaktion beck-aktuell, 8. Juni 2021.

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