Sperrzeit und Alkohol-Außer-Haus-Verkaufsverbot in Niedersachsen gekippt

Die für Gastronomiebetriebe in Niedersachsen geltende Sperrzeit und das Verbot, Alkohol außer Haus zu verkaufen, sind vorerst gekippt worden. Beide Regelungen stammen aus der Corona-Verordnung des Landes in der Fassung vom 22.10.2020. Das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg rügt die konkrete Ausgestaltung der Maßnahmen, die so für den Infektionsschutz nicht notwendig seien.

Sperrzeit und Alkohol-Verkaufsverbot bei Überschreitung bestimmter Inzidenz

Konkret geht es um § 10 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung. Satz 1 ordnet für jeden Gastronomiebetrieb eine Sperrzeit an, die um 23.00 Uhr beginnt und um 6.00 Uhr endet, wenn in Bezug auf das Gebiet des Landkreises oder der kreisfreien Stadt, in dem oder in der der Gastronomiebetrieb liegt, die Zahl der Neuinfizierten im Verhältnis zur Bevölkerung 35 oder mehr Fälle je 100.000 Einwohner kumulativ in den letzten sieben Tagen beträgt. § 10 Abs. 2 Satz 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung untersagt es den Betreibern von Gastronomiebetrieben unabhängig von der Sperrfrist, alkoholische Getränke im Außer-Haus-Verkauf abzugeben, wenn die Zahl der Neuinfizierten im Verhältnis zur Bevölkerung 50 oder mehr Fälle je 100.000 Einwohner kumulativ in den letzten sieben Tagen beträgt.

Barbetreiberin begehrt Normenkontrolle

Die Antragstellerin betreibt in Delmenhorst eine Bar. Mit ihrem Normenkontrolleilantrag vom 23.10.2020 begehrt sie die vorläufige Außervollzugsetzung des § 10 Abs. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung, den sie für zu unbestimmt und auch sonst für rechtswidrig erachtet. Die Sperrzeit und das Außer-Haus-Verkaufsverbot seien keine notwendigen Infektionsschutzmaßnahmen. Gaststätten hätten nach den Feststellungen des Robert Koch-Instituts überhaupt keinen wesentlichen Anteil am Infektionsgeschehen. Deren zeitweise Schließung würde Zusammenkünfte und Feiern in private Bereiche abdrängen, die ein deutlich höheres Infektionsrisiko aufwiesen. Der weitere Vollzug der Verordnung sei für sie mit erheblichen, ihre wirtschaftliche Existenz gefährdenden Umsatzeinbußen verbunden.

OVG moniert konkrete Ausgestaltungen

Der Antrag hat Erfolg. Das OVG stellt zwar deutlich heraus, dass angesichts der derzeit stark steigenden Infiziertenzahlen in weiten Teilen des Bundesgebiets und Niedersachsens die gesetzlichen Voraussetzungen für ein staatliches Handeln durch infektionsschützende Maßnahmen erfüllt seien. Die Sperrzeit und das Alkohol-Außer-Haus-Verkaufsverbot für Gastronomiebetriebe in ihrer konkreten Ausgestaltung in § 10 Abs. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung stellten aber keine notwendigen infektionsschutzrechtlichen Schutzmaßnahmen dar.

Geeignetheit grundsätzlich gegeben

Eine Sperrzeit und auch ein Alkohol-Außer-Haus-Verkaufsverbot könnten zwar grundsätzlich geeignete Mittel sein, einen Beitrag zur effektiven Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 zu leisten, weil sie die Kontaktmöglichkeiten in den Gastronomiebetrieben während des Zeitraums von 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr beschränkten und verhinderten, dass sich wechselnde Gäste oder Gästegruppen zu dieser Zeit in den Einrichtungen einfänden. Zudem würden die Kontaktmöglichkeiten auf dem Weg von und zu gastronomischen Einrichtungen und die erhöhte Attraktivität des öffentlichen Raums reduziert.

Konkrete Ausgestaltung aber zu beanstanden

Die konkrete Ausgestaltung der Sperrzeit und des Alkohol-Außer-Haus-Verkaufsverbots in der allein zu beurteilenden abstrakten Regelung des § 10 Abs. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung sei aber zu beanstanden. Dies gelte zum einen mit Blick auf das tätigkeitsbezogene Infektionsgeschehen. Der Verordnungsgeber habe nicht nachvollziehbar erklären können, warum gerade der Aufenthalt in Gastronomiebetrieben zwischen 23.00 Uhr und 6.00 Uhr sowie der ganztägige Außer-Haus-Verkauf alkoholischer Getränke ein erhöhtes Infektionsrisiko mit sich brächten.

Parallele zum Beherbergungsverbot

Die Erforderlichkeit fehle aber auch mit Blick auf das gebietsbezogene Infektionsgeschehen, das der Verordnungsgeber in § 10 Abs. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung allein abstrakt anhand der Sieben-Tage-Inzidenz von 35 beziehungsweise 50 oder mehr Fällen Neuinfizierter je 100.000 Einwohner beschreibe. Diese Anknüpfung sei, wie schon im Verfahren zur Niedersächsischen Corona-Beherbergungs-Verordnung festgestellt, nicht ausreichend. Die Untersagung des gegenüber der Sperrzeit zeitlich unbegrenzten Alkohol-Außer-Haus-Verkaufsverbots bewirke schließlich eine Ungleichbehandlung gegenüber nicht gastronomischen Betrieben, denen ein Außer-Haus-Verkauf alkoholischer Getränke nicht untersagt worden sei.

Infektionsgeschehen in konkretem Gebiet nicht betrachtet

Nicht zu betrachten hatte das OVG hingegen, ob die verordneten Maßnahmen aufgrund eines konkreten gebietsbezogenen Infektionsgeschehens, etwa in dem Gebiet, in dem gerade die Antragstellerin ihren Gastronomiebetrieb betreibt, oder aber auch in einem deutlich darüber hinausgehenden Gebiet unter Berücksichtigung aller gebotenen Umstände für erforderlich erachtet werden könnten. Die vorläufige Außervollzugsetzung sei allgemeinverbindlich und der Beschluss unanfechtbar, so das OVG.

Redaktion beck-aktuell, 30. Oktober 2020.