Niedersächsische Pflegekammer muss strittige Pressemitteilung vorerst von Homepage nehmen

Die Pressemitteilung der Pflegekammer Niedersachsen mit dem Titel "Pflege darf nicht auf stumm geschaltet werden“ muss vorläufig von deren Homepage genommen werden. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg entschied, dass Äußerungen der Pflegekammer als Berufskammer mit Pflichtmitgliedschaft bestimmten rechtlichen Anforderungen unterliegen. Auch Minderheitsauffassungen zum Thema Abschaffung der Pflegekammer hätten dargestellt werden müssen.

Gründung der Pflegekammer nicht unumstritten

Die Pflegekammer Niedersachsen ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, deren Aufgabe unter anderem die Wahrnehmung der beruflichen Belange von Pflegefachpersonen ist. In der Vergangenheit gab es teils erhebliche Widerstände gegen die Gründung der Pflegekammer, gegen ihre Tätigkeit und gegen die gesetzliche Pflichtmitgliedschaft. Die Rechtmäßigkeit der Pflichtmitgliedschaft war Gegenstand mehrerer gerichtlicher Verfahren.

Pflegekammer streitet gegen eigene Abschaffung

Eine Online-Befragung unter den etwa 78.000 Mitgliedern der Pflegekammer, an der rund 15.100 Mitglieder teilnahmen, ergab, dass sich über 70% der Antwortenden für die Abschaffung der Pflegekammer aussprachen. Daraufhin erklärte die niedersächsische Sozialministerin ihre Absicht, die Auflösung der Pflegekammer Niedersachsen einzuleiten. Die Pflegekammer veröffentlichte daraufhin am 07.09.2020 auf ihrer Internetseite eine Pressemitteilung unter dem Titel "Pflege darf nicht auf stumm geschaltet werden“, mit der sie sich für ihren Erhalt aussprach. Aus dem Ergebnis der durchgeführten Umfrage könne kein Auftrag abgeleitet werden, die Pflegekammer in Frage zu stellen, da nur etwa 19% der Mitglieder an dieser teilgenommen hätten.

Antrag auf Löschung der Pressemitteilung erfolgreich

Die Antragstellerin, die selbst Mitglied der Pflegekammer ist, stellte daraufhin einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Hannover, die Pressemitteilung mit sofortiger Wirkung von der Homepage zu entfernen. Dem Antrag gab das VG mit der Begründung statt, der Inhalt der Pressemitteilung werde dem Sachlichkeitsgebot an zwei Stellen nicht gerecht und lasse insgesamt eine ausreichende Darstellung der Gegenposition vermissen. Das OVG hat diese Rechtsauffassung jetzt bestätigt und die Beschwerde zurückgewiesen.

Äußerungen der Pflegekammer unterliegen besonderen Anforderungen

Das OVG wies darauf hin, dass für Äußerungen der Pflegekammer als Berufskammer mit Pflichtmitgliedschaft bestimmte rechtliche Anforderungen gelten. Unter anderem müssten sie sachlich und objektiv sein. Inhalt der Äußerungen dürfe kein Teil- und auch kein Mehrheitsinteresse sein, so das OVG weiter. Vielmehr bringe die Pflichtmitgliedschaft es mit sich, dass ein Gesamtinteresse der Kammermitglieder vermittelt werden müsse, das durch Abwägung und Ausgleich auch widerstreitender Interessen ermittelt werde.

Minderheitsauffassungen müssen sich in Darstellung wiederfinden

Im Falle höchst umstrittener Fragen dürfe die Pflegekammer ihre Mehrheitsauffassung nicht apodiktisch mitteilen, so das OVG, sondern müsse zugleich die Minderheitsauffassung(en) offenlegen und die zur Mehrheitsauffassung führende Abwägung der verschiedenen Positionen erkennbar machen. In bedeutenden und unter den Kammermitgliedern unterschiedlich beurteilten Angelegenheiten obliege die Bildung dieses Gesamtinteresses der gewählten Kammerversammlung.

Vorstand darf nicht vorpreschen

Habe die Kammerversammlung in einer bedeutenden und unterschiedlich beurteilten Angelegenheit noch nicht zumindest eine grundsätzliche Festlegung des Gesamtinteresses getroffen, so könne der Vorstand - der im Allgemeinen für die Pressearbeit zuständig sei - in dieser Angelegenheit in der Öffentlichkeit noch nicht Position beziehen, heißt es im Beschluss weiter. Die damit verbundene Einschränkung der öffentlichen Interessenvertretung bei einzelnen Themen sei unvermeidlich, so das Gericht, weil die Pflegekammer als Berufskammer mit Pflichtmitgliedschaft in grundsätzlich anderer Weise tätig werde als ein privater Interessenverband.

Gegenposition nicht hinreichend dargestellt

Die Pressemitteilung "Pflege darf nicht auf stumm geschaltet werden" habe für den Erhalt der Pflegekammer Stellung bezogen, ohne die Gegenposition ausreichend darzustellen und die zur Bildung des Gesamtinteresses führende Abwägung erkennbar zu machen. Das sei bei diesem Thema erforderlich, so das OVG weiter, weil ein erheblicher Teil der Mitglieder gegen die weitere Tätigkeit der Pflegekammer sei. Das Thema sei außerdem so bedeutend, dass nach dem Bekanntwerden des Ergebnisses der Online-Befragung eine grundsätzliche Positionierung durch die Kammerversammlung erforderlich gewesen sei, an der es am 07.09.2020 gefehlt habe. Zudem entsprächen zwei Formulierungen nicht dem Sachlichkeitsgebot, heißt es im unanfechtbaren Beschluss.

OVG Lüneburg, Beschluss vom 22.10.2020 - 8 ME 99/20

Redaktion beck-aktuell, 27. Oktober 2020.