Niedersächsische Quarantäne-Verordnung bleibt vorerst in Kraft

Das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen in Lüneburg hat am 30.11.2020 einen Antrag auf vorläufige Außervollzugsetzung der Quarantänepflicht für Reiserückkehrer nach der bis Ende November 2020 gültigen Quarantäne-Verordnung des Landes abgelehnt. Mit Blick auf das derzeitige Infektionsgeschehen, den Gesundheitsschutz und die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitswesens müsse der Antragsteller den durch die Quarantäneanordnung bewirkten Eingriff gegenwärtig hinnehmen.

Eckpunkte der Quarantäne-Verordnung

Der Beschluss betrifft die Quarantäne-Verordnung in der Fassung, die am 30.11.2020 außer Kraft getreten ist. Die am 01.12.2020 in Kraft getretene neue Fassung enthält jedoch in § 1 eine vergleichbare Regelung. Nach § 1 der Quarantäne-Verordnung sind Personen, die aus dem Ausland nach Niedersachsen einreisen und sich zu einem beliebigen Zeitpunkt innerhalb von zehn Tagen vor ihrer Einreise in einem Risikogebiet aufgehalten haben, verpflichtet, sich unverzüglich in eine zehntägige Quarantäne zu begeben. Sie müssen die zuständigen Behörden informieren und unterliegen der Beobachtung durch diese. Die Einstufung als Risikogebiet erfolgt mit Ablauf des ersten Tages nach Veröffentlichung durch das Robert Koch-Institut (RKI), nachdem das Bundesministerium für Gesundheit, das Auswärtige Amt und das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat darüber entschieden haben.

Antrag nach Folgenabwägung abgelehnt

Gegen diese Regelungen, die auf der Muster-Quarantäneverordnung von Bund und Ländern basieren, hatte sich ein Antragsteller mit einem Normenkontrolleilantrag gewandt, der im ländlichen Teil Spaniens, einem vom RKI ausgewiesenen Risikogebiet, eine Ferienwohnung besitzt. Er hält die Quarantäne für unverhältnismäßig. In dem Gebiet, in dem sich seine Ferienwohnung befinde, sei das Infektionsrisiko geringer als in seiner niedersächsischen Heimat und anderen Regionen Deutschlands. Das OVG hat den Antrag nach einer Folgenabwägung abgelehnt. Es sei derzeit offen, ob § 1 Abs. 1 bis 3 der Niedersächsischen Quarantäne-Verordnung in einem Hauptsacheverfahren für rechtmäßig oder für unwirksam zu erklären sei, heißt es im Beschluss.

Formelle und materielle Rechtmäßigkeit bejaht

Es sei davon auszugehen, so das OVG, dass die Verordnungsregelungen auf einer tragfähigen Rechtsgrundlage beruhen und formell rechtmäßig sind. Zweifel an der materiellen Rechtmäßigkeit bestünden angesichts des aktuellen weltweiten Infektionsgeschehens auch nicht mit Blick auf das "Ob" eines staatlichen Handelns.

Quarantäne auch bei geringerem Infektionsrisiko im Ausland

Auch dass möglicherweise am Rückkehrort, in Teilen oder gar in der gesamten Bundesrepublik ein gleiches oder höheres Infektionsrisiko wie in einem Risikogebiet bestehe, schließe die Anordnung einer Quarantäne tatbestandlich nicht aus, so das OVG weiter. Die Feststellung, Ansteckungsverdächtiger zu sein, sei nicht in Abhängigkeit vom durchschnittlichen Infektionsrisiko in der Bevölkerung zu sehen, sondern liege immer dann vor, wenn aufgrund von Tatsachen angenommen werden könne, dass die betroffene Person Krankheitserreger aufgenommen habe.

Offene Fragen bleiben

Offen ließen die Lüneburger Richter aber die Frage, ob die streitgegenständlichen Verordnungsregelungen in ihrer konkreten Ausgestaltung nach Art und Umfang als notwendige Schutzmaßnahmen anzusehen sind, insbesondere ob ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vorliegt und die Verhältnismäßigkeit gewahrt ist. Die Pandemielage sei aktuell dadurch gekennzeichnet, so das OVG, dass der Aufenthalt in Niedersachsen und einem Großteil der übrigen Bundesländer mit einer vergleichbaren Infektionsgefahr verbunden sein dürfte wie der Aufenthalt in einem gemäß der Niedersächsischen Quarantäne-Verordnung benannten Risikogebiet.

Bewertung von Auslandsreisen mit Blick auf Gleichheitssatz

Vor diesem Hintergrund sei die Argumentation, Auslandsreisen würden keine signifikante zusätzliche Infektionsgefahr begründen (so das OVG Nordrhein-Westfalen in Münster), nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen. Dass dies eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte und damit einen Verstoß gegen den grundgesetzlichen Gleichheitssatz darstelle, sei jedoch nicht zwingend anzunehmen, meint das OVG Niedersachsen. Denn eine unterschiedliche Behandlung von Rückkehrern aus dem Ausland könne auch nach der Entscheidung des OVG Münster grundsätzlich gerechtfertigt sein, wenn und soweit mit Blick auf Unklarheiten der Reisewege, das Zusammentreffen einer Vielzahl von unbekannten Reisenden oder unklaren Infektionslagen in Drittländern ein sachlicher Differenzierungsgrund bestehe.

Bewegungs- und Kontaktprofil von Auslandsreisenden zu beachten

Auch das Bewegungs- und damit Kontaktprofil von Auslandsreisenden unterscheide sich typischerweise von dem Daheimgebliebener, so das OVG Lüneburg weiter. Durch die stärkere Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, öffentlicher Infrastruktur (Flughäfen, Beherbergungsbetriebe) und die bei Auslandsreisen oft eintretende Kontaktaufnahme mit Personen, die nicht dem alltäglichen Umfeld entstammten, sei das Verhalten von Auslandsreisenden typisierbar eher gefahrengeneigt.

Vergleich zwischen Daheimgebliebenen und Auslandsreisenden schwierig

Das Verhalten von Auslandsreisenden unterscheide sich auch gegenüber innerdeutsch Reisenden, da hierzulande etwa Beherbergungsbetriebe für touristische Zwecke, Gastronomie- und Kulturbetriebe vollständig geschlossen seien. Ein Vergleich der Infektionsgefahren für Reisende aus dem Ausland einerseits und Daheimgebliebene anderseits sei damit nur durch Berücksichtigung vieler Faktoren möglich. Eine Quarantäne-Verordnung müsse nicht alle diese Faktoren abbilden. Würde sie es tun, wäre sie voraussichtlich unübersichtlich und schwer handhabbar und würde damit ihren infektionsschützenden Zweck verfehlen.

Generalisierende Regelungen aus Praktikabilitätsgründen möglich

Gesichtspunkte der Praktikabilität und der Einfachheit des Rechts könnten generalisierende Regelungen rechtfertigen, so das OVG. Verbleibende ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen könnten durch Befreiungen überwunden werden. Dies sei jedenfalls im Rahmen der summarischen Prüfung nicht als von vorneherein untaugliches Mittel zur Sicherstellung des Gleichheitsgrundrechts anzusehen, heißt es im Beschluss abschließend.

Redaktion beck-aktuell, 2. Dezember 2020.