Rücküberstellung nach Bulgarien wieder zulässig

Alleinstehende, nicht vulnerable Personen, die in Bulgarien internationalen beziehungsweise subsidiären Schutz erhalten haben, dürfen dorthin rücküberstellt werden. Dies hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg in vier am Dienstag ergangenen Urteilen klargestellt. Das Gericht betonte, dass es aufgrund neuer Erkenntnislage diesbezüglich nicht mehr an seiner Rechtsprechung aus dem Jahr 2018 festhalte.

Streit um Abschiebungsverbote

Das Verwaltungsgericht Hannover hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge jeweils unter Bezugnahme auf die bisherige Rechtsprechung des Senats (BeckRS 2018, 781 und BeckRS 2018, 20120) verpflichtet, für die jeweiligen Kläger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Bulgarien festzustellen. Diese Urteile hat der Senat in den jetzt entschiedenen Berufungsverfahren geändert und die Klagen abgewiesen. In einem Verfahren (Az.: 10 LB 259/20) hat es die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des VG Lüneburg zurückgewiesen.

"Bett, Brot und Seife"

Zur Begründung hat das OVG ausgeführt, dass es insoweit nicht mehr an seiner Rechtsprechung aus dem Jahr 2018, die auf Grundlage der damaligen Erkenntnislage ergangen sei, festhalte. Auf Basis der aktuellen Erkenntnisse genüge die Behandlung von nicht vulnerablen international Schutzberechtigten in Bulgarien derzeit den Anforderungen nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Für die Frage der Zulässigkeit der Rücküberstellung müssten danach lediglich die Mindestbedürfnisse in dem betreffenden Mitgliedstaat der Europäischen Union gedeckt sein ("Bett, Brot und Seife"). Zwar bestünden in Bulgarien schwierige Lebensverhältnisse, die sich durch die Corona-Pandemie noch verschlechtert hätten. Es könne jedoch nicht festgestellt werden, dass alleinstehende anerkannte Schutzberechtigte, die gesund und arbeitsfähig sind, dort kein für ihren eigenen Lebensunterhalt ausreichendes Erwerbseinkommen erzielen und keine Unterkunft finden könnten. 

Versorgung weiterer Personen problematisch

Mangels staatlicher Unterstützung sei für die dauerhafte Erlangung einer menschenwürdigen Unterkunft, die derzeit auch Nichtregierungsorganisationen nicht gewährleisten könnten, die individuelle Fähigkeit des jeweiligen Schutzberechtigten, seine Lebenshaltungskosten selbst zu bestreiten, maßgeblich. Dementsprechend sei für nicht arbeitsfähige beziehungsweise kranke Schutzberechtigte und Familien mit Kindern eine andere Bewertung geboten. Auch wenn durch eigene Erwerbstätigkeit ein Einkommen erwirtschaftet werden könne, sei dies angesichts der in Bulgarien herrschenden Lebensbedingungen nicht ausreichend, wenn die Rückführung im Familienverbund erfolge und weitere Personen versorgt werden müssten.

Kein Verstoß gegen Unionsrecht

Soweit sich einzelne Kläger auf die vermutete Praxis des bulgarischen Staats berufen hätten, anerkannt Schutzberechtigten den internationalen Schutzstatus wieder zu entziehen, wenn diese ihre Identitätsnachweise nicht rechtzeitig verlängerten, sei eine Art. 4 der Grundrechtecharta der Europäischen Union widersprechende Praxis bei der Überprüfung des in Bulgarien gewährten Schutzstatus nach Auswertung der aktuellen Erkenntnismittel nicht festzustellen.

OVG Lüneburg, Urteil vom 07.12.2021 - 10 LB 278/20

Redaktion beck-aktuell, 9. Dezember 2021.