Den Nervenkitzel des Wartens auf die Klausurnoten kennen wohl alle, die schon mal ein juristisches Staatsexamen geschrieben haben. Größer dürfte er noch einmal sein, wenn das Bestehen auf Messers Schneide steht. So lief es im Fall eines Prüflings im zweiten Staatsexamen, der sich nach einem gescheiterten Anlauf bereits im zweiten Versuch befand und auch hier im schriftlichen Teil - zumindest vorläufig - durchgefallen ist. Zur mündlichen Prüfung darf er aber möglicherweise trotzdem antreten, wie das VG Göttingen entschieden hat (Beschluss vom 13.06.2025 – 2 ME 26/25).
Der Mann hatte am 1. September 2021 sein Referendariat begonnen und im Anschluss daran die schriftlichen Aufsichtsarbeiten der Zweiten Juristischen Staatsprüfung zunächst nicht bestanden. Nach einem Ergänzungsvorbereitungsdienst und einem Wiederholungsversuch im Januar 2024 teilte ihm das Justizprüfungsamt mit, dass er die Prüfung abermals nicht bestanden habe. Der Prüfling legte daraufhin Widerspruch ein und erhob schließlich Klage zum VG Göttingen, die noch nicht entschieden ist. Zugleich beantragte er einstweiligen Rechtsschutz, um vorläufig zur mündlichen Prüfung zugelassen zu werden.
Das VG Göttingen lehnte den Eilantrag als unzulässig ab und argumentierte, dass die vorläufige Zulassung zur mündlichen Prüfung keinen statthaften Gegenstand eines Anordnungsverfahrens nach § 123 Abs. 1 VwGO darstelle. Es führte aus, dass die Berechnung der Prüfungsgesamtnote nach § 12 Abs. 4 NJAG im Anschluss an die mündliche Prüfung nicht möglich sei, da die Bewertung der Aufsichtsarbeiten in die Gesamtnote eingehe und der Antragsteller nicht die nötigen drei Aufsichtsarbeiten mit mindestens "ausreichend" bestanden habe.
Prüferinnen und Prüfer müssen im Zweifel Notizen aufbewahren
Außerdem argumentierte das VG, eine Abweichungsentscheidung des Prüfungsausschusses nach § 12 Abs. 5 NJAG sei nicht möglich, wenn nicht die endgültigen und für ein Bestehen ausreichenden schriftlichen Leistungen vorlägen. Dabei handelt es sich um die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit des Prüfungsausschusses, von der eigentlich errechneten Prüfungsgesamtnote bis zu einem Punkt abzuweichen, wenn dies aufgrund des Gesamteindrucks den Leistungsstand der geprüften Person besser kennzeichnet und die Abweichung auf das Bestehen keinen Einfluss hat. Regelmäßig laufen hierunter Fälle, die sich in den Klausuren "unter Wert geschlagen" haben und denen mit Blick auf einen guten Eindruck in der "Mündlichen", sowie gute AG- und Stationsnoten noch zu einem Notensprung im Endergebnis verholfen werden soll. Das VG war der Meinung, den Eindruck aus der mündlichen Prüfung könne die Kommission aber Monate später nicht mehr so einfach "wiederbeleben".
Das OVG Lüneburg sah dies nun auf die Beschwerde des Examenskandidaten jedoch anders. Es argumentierte, dass § 12 Abs. 4 NJAG keinen konkreten Berechnungszeitpunkt für die Ermittlung der Gesamtprüfungsnote festlege. Die endgültige Note könne auch erst nach dem rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens ermittelt werden. Zudem sei eine Abweichungsentscheidung des Prüfungsausschusses auch zu einem späteren Zeitpunkt möglich, da der Gesamteindruck auch später noch feststellbar sei. Es sei den Prüferinnen und Prüfern "nicht schlechthin unmöglich oder unzumutbar, diesen Gesamteindruck über den Tag der mündlichen Prüfung hinaus präsent zu halten bzw. die ihn widerspiegelnden Prüfungsunterlagen, -protokolle und gegebenenfalls -notizen bis zu einer späteren Gesamtnotenbildung aufzubewahren", meinte das Gericht.
Nun muss das VG Göttingen erneut prüfen, ob der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat. Das OVG Lüneburg hat das Verfahren zur Entscheidung an das VG zurückverwiesen, damit dieses eine umfassende Sachentscheidung unter vollständiger Würdigung des Sachverhalts treffen kann.