Abschiebung ausreisepflichtiger Familie ohne 16-jährigen Sohn rechtmäßig

Die Abschiebung einer vollziehbar ausreisepflichtigen Familie in ihr Heimatland Armenien ohne ihren 16-jährigen Sohn, der sich der gemeinsamen Abschiebung durch Flucht entzogen hatte, war rechtmäßig. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht Koblenz. Denn der Sohn habe die primäre Ursache für die Aufhebung der Familieneinheit durch seine Flucht selbst gelegt. Mit 16 Jahren bedürfe er zudem nicht mehr der ständigen Betreuung und Fürsorge durch die Eltern.

Sohn entzieht sich erst und stellt sich dann

Die Antragsteller sind ein armenisches Ehepaar und ihre 2009 bzw. 2016 geborenen Kinder. Sie reisten zusammen mit einem weiteren Sohn, der im Januar 2005 geboren ist, nach Deutschland ein und stellten Asylanträge, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ablehnte. Die hiergegen erhobene Klage blieb ohne Erfolg, das Verfahren ist seit August 2020 rechtskräftig abgeschlossen. Obwohl die Antragsteller seitdem vollziehbar ausreisepflichtig sind, kamen sie ihrer Ausreisepflicht nicht nach. Bei der deshalb von der Ausländerbehörde der Stadt Ludwigshafen veranlassten Abschiebung am 30.03.2021 wurden zunächst alle Familienmitglieder in ihrer Wohnung angetroffen. Im Lauf der Maßnahme entzog sich aber der 16-jährige Sohn der Abschiebung durch Flucht. Die Abschiebung der Eltern und der Geschwister wurde trotzdem durchgeführt, der Sohn meldete sich im Mai 2021 bei der Polizei und wurde daraufhin bei den in Ludwigshafen lebenden Großeltern und sodann in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht.

Antrag der Eltern auf Rückkehr nach Deutschland ohne Erfolg

Im April 2021 stellte der Bevollmächtigte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht den Antrag, die Stadt Ludwigshafen im Weg einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sie nach Deutschland zurückzuholen. VG und OVG lehnten den Antrag jeweils ab. Die Fortsetzung der Abschiebung ohne den 16-jährigen Sohn, nachdem sich dieser der Abschiebung zu Beginn der laufenden Abschiebungsmaßnahme durch Flucht entzogen habe, sei aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falles auch mit dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz der Familie vereinbar gewesen. Denn die Antragsgegnerin habe bei ihrer Entscheidung davon ausgehen dürfen, dass diese nur zu einer vorübergehenden Trennung des minderjährigen Sohnes von seinen Eltern und Geschwistern für einen überschaubaren Zeitraum führen werde, weil auch er in absehbarer Zeit in das gemeinsame Heimatland Armenien zurückkehren und dort die Familieneinheit wiederhergestellt werde. Denn der Sohn sei nach dem unanfechtbaren negativen Abschluss des Asylverfahrens vollziehbar ausreisepflichtig.

Flucht minderte Schutzwirkung der Familieneinheit

Bei der Gewichtung der Schutzwirkungen des verfassungsrechtlichen Schutzes der Familie sei der Umstand zu berücksichtigen, dass die primäre Ursache für die Aufhebung der Familieneinheit durch die Entscheidung des 16-jährigen Sohnes gesetzt worden sei, sich der gemeinsamen Abschiebung mit den Eltern und Geschwistern durch Flucht zu entziehen. Dieser Umstand mindere die Schutzwürdigkeit der Familieneinheit der Antragsteller mit ihrem 16-jährigen Sohn und damit das Gewicht des verfassungsrechtlichen Schutzes der Familie.

Minderjährigkeit stand Abschiebung nicht entgegen

Dem stand laut OVG auch nicht entgegen, dass dieser Sohn minderjährig war. Es handele sich bei ihm nicht um ein minderjähriges Kind, sondern um einen Jugendlichen im Alter von 16 Jahren, der in der Lage gewesen sei, die Folgen seiner Trennung von den übrigen Familienmitgliedern altersentsprechend zu überblicken. Der Sohn habe auch zumutbarerweise vorübergehend in Deutschland ohne seine Eltern verbleiben können, weil er mit 16 Jahren in einem Alter sei, in dem er nicht mehr der ständigen Betreuung und Fürsorge durch die Eltern bedürfe. Zudem hätten die im selben Anwesen wohnenden Großeltern für ihn als Anlaufstelle zur Versorgung und Unterbringung zur Verfügung gestanden.

OVG Koblenz, Beschluss vom 24.08.2021 - 7 B 10843/21.OVG

Redaktion beck-aktuell, 31. August 2021.