Durch einen Exklusivbericht des "Tagesspiegel" vom 08.01.2023 hatte die Republik erfahren, dass die Generalstaatsanwaltschaft Berlin prüfte, ob bezüglich Christian Lindner der Anfangsverdacht einer Straftat besteht. Die Zeitung stützte sich dabei auf eine Presseerklärung der Berliner Staatsanwaltschaft, die wiederum aufgrund eines Berichts des "Spiegel" aus dem vergangenen Herbst prüfte, ob sie Ermittlungen aufnehmen wollte. Es ging um ein Grußwort des Bundesfinanzministers bei einer Bank, bei der Lindner auch einen Kredit aufgenommen hatte. Ende Januar gab die Behörde dann bekannt, dass sie mangels strafbaren Verhaltens keine Ermittlungen aufnehmen werde.
Der "Tagesspiegel" wollte es genauer wissen und stellte der Generalstaatsanwaltschaft Berlin eine Reihe von Fragen, so wann der Finanzminister über das Prüfverfahren informiert worden sei. Generalstaatsanwältin Margarete Koppers lehnte die Beantwortung ab, unter anderem, weil sie zum Schutz der Beteiligten bei Vorermittlungen grundsätzlich keine Auskünfte erteilen dürfe. Zu Unrecht, wie nach dem Verwaltungsgericht Berlin jetzt auch das OVG Berlin-Brandenburg rechtskräftig im einstweiligen Rechtsschutz entschieden hat.
Nur eine Vorprüfung? Kein Argument gegen Auskunft
Ein solcher Grundsatz existiert nach Ansicht des OVG nicht. Richtig sei, dass immer eine Abwägung zwischen dem Schutz des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen und der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG stattfinden müsse. Richtig sei auch, dass bei einer reinen Vorprüfung, also in einer Situation, wo ein Mindestmaß an belegbaren Tatsachen regelmäßig fehle, diese Abwägung meistens zugunsten des Betroffenen ausgehe.
Den Schluss, dass nie zu Vorermittlungen Stellung genommen werden dürfe, lehnt das Gericht aber ab. Dabei weist es darauf hin, dass es zuvor die Staatsanwaltschaft selbst gewesen war, welche die Vorermittlungen gegen Christian Lindner bekanntgegeben hatte.
Die GenStA habe auch nicht erklärt, warum die Berichterstattung über das Prüfverfahren zwangsläufig zu einer "fortgesetzten Stigmatisierung" Lindners führen müsse, sodass die Abwägung zugunsten des Ministers hätte ausfallen müssen. Das OVG erinnert in diesem Zusammenhang an einen Punkt, den schon das VG Berlin der GenStA entgegengehalten hatte: Die Presse dürfe nicht über alles, was sie erfährt, berichten. Journalisten treffe insoweit eine – auch zivilrechtliche – Verantwortung gegenüber dem Betroffenen. Im Grundsatz dürfe man davon ausgehen, dass die Presse mit ihr überlassenen Informationen verantwortungsbewusst umgehe.
Schließlich weist das OVG die Kritik der Behörde zurück, das VG Berlin hätte die einstweilige Anordnung schon nicht erlassen dürfen, weil der Fall keinen Nachrichtenwert biete. Es handele sich um ein aktuelles Geschehen und es sei nicht Aufgabe der Gerichte, zu entscheiden, welche Themen berichtenswert seien. Das sei Aufgabe der Presse selbst, wie der Senat betont. Das VG habe sich zu Recht mit einer Einschätzung zurückgehalten.
Der "Tagesspiegel" hat in der Angelegenheit bisher auf ganzer Linie obsiegt, im Juni entschied das VG Berlin bereits, dass auch das Bundesfinanzministerium die Presseanfragen beantworten muss.