"Querdenken"-Demo in Leipzig: OVG Bautzen rechnete mit weniger Teilnehmern

Nach der Eskalation der "Querdenken"-Demonstration in Leipzig hagelte es scharfe Kritik für das Oberverwaltungsgericht Sachsen in Bautzen, das die Veranstaltung gegen den Willen der Stadt unter Auflagen in der Innenstadt zugelassen hatte. Nun hat das Gericht die Gründe seiner Entscheidung bekannt gegeben. Es verweist unter anderem auf die als ausreichend groß angesehene innerstädtische Versammlungsfläche.

OVG ging von 16.000 Demonstranten aus

Eingriffe in die Versammlungsfreiheit könnten zwar grundsätzlich mit dem Grundrecht Dritter auf Leben und körperliche Unversehrtheit gerechtfertigt werden, stellt das OVG in seinem Beschluss zunächst klar. Dazu gehörten auch die Bestimmungen der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung. Jedoch sei die letzte aktenkundige Gefahrenprognose der Polizeidirektion vom 05.11.2020, 19.00 Uhr, von einer Versammlung mit geschätzt 16.000 Teilnehmern ausgegangen.

Versammlungsfläche für Demonstranten als ausreichend erachtet

Die Versammlungsfläche bestehend aus Augustusplatz nebst Goethestraße bis Karl-Tauchnitz-Straße und Grimmaischer Steinweg sei nach Abzug nicht nutzbarer Flächen noch 111.401,93 Quadratmeter groß gewesen, so das OVG. Das Gesundheitsamt habe am 04.11.2020 zur Wahrung der erforderlichen Mindestabstände eine Versammlungsfläche von sechs Quadratmetern pro Teilnehmer als ausreichend angesehen. Damit habe der für 16.000 Teilnehmer nötige Platz (16.000 x 6 Quadratmeter = 96.000 Quadratmeter) zur Verfügung gestanden und die verbleibenden 15.000 Quadratmeter seien ein ausreichender Puffer gewesen.

Vermeidung ungeordneter Verteilung in der Innenstadt

Weiter führt das OVG aus, dass die ortsfeste Versammlung auf dem Augustusplatz in der Leipziger Innenstadt zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit geboten habe, dass sich die ohnehin anreisenden Teilnehmer dort überwiegend aufhalten und nicht ungeordnet in der Innenstadt verteilen. Damit sei jedoch bei der von der Stadt Leipzig verfügten Verlegung der Versammlung zur Neuen Messe zu rechnen gewesen, da der Antragsteller bereits angekündigt habe, seine Versammlung dort nicht durchzuführen.

Wesentlich mehr Demonstranten erschienen

Jedoch ging die Rechnung des OVG nicht auf: Tatsächlich versammelten sich nach dpa-Angaben am 07.11.2020 deutlich mehr als 16.000 "Querdenker" in der Leipziger Innenstadt. Die Polizei geht von 20.000 Teilnehmern aus. 90 Prozent hätten keine Masken getragen. Die Stadt Leipzig löste die Kundgebung auf. Danach erzwangen die Menschen einen Gang über den Leipziger Ring. Die Polizei hatte erst versucht, sie zu stoppen, ließ sie aber schließlich ziehen. An Polizeisperren gab es Rangeleien, es flog Pyrotechnik. Zudem wurden Journalisten attackiert.

Sachsen will nun Regeln für Versammlungen verschärfen

Nach den Ausschreitungen der Demo will Sachsen jetzt die Regeln für Versammlungen verschärfen. So soll die Zahl der Teilnehmer laut dpa künftig auf 1.000 begrenzt werden. Im Ausnahmefall sollen auch größere Kundgebungen möglich sein, wenn "technische und organisatorische Maßnahmen" getroffen werden, um das Infektionsrisiko zu senken. Schon am 13.11.2020 soll dazu die Corona-Schutzverordnung angepasst werden.

Bundespräsident kritisiert Demonstranten als rücksichtslos

Kritik an den Leipziger Demonstranten übte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. "Rücksichtslosigkeit ist kein Freiheitsrecht", sagte er am 10.11.2020 in Berlin. "Wo einige Zehntausend Menschen die Auflagen missachten, die Regeln verspotten und weder auf Abstand achten noch Masken tragen, da werden Grenzen überschritten." Das Versammlungsrecht sei ein hohes Gut, Demonstrationen müssten auch in der Pandemie möglich sein. "Aber die Demonstrationsfreiheit ist nicht die Freiheit zur Gefährdung anderer", betonte Steinmeier.

OVG Bautzen, Beschluss vom 07.11.2020 - 6 B 368/20

Redaktion beck-aktuell, 11. November 2020 (ergänzt durch Material der dpa).